Elisabeth Klar: Die Relevanz der unzuverlässigen Erzählinstanz im Comic

Roundtable zum Unzuverlässigen Erzählen 3

Gibt es Erzähler_innen im Comic?

Dass Erzählen im Comic stattfindet, dass Comics folglich zumeist narrativ sind und anhand narratologischer Fragestellungen analysiert werden können (Erzählzeit, Fokalisation usw.), trifft auf einen breiten Konsens. Ich folge hier Martin Schüwer allerdings insofern, als er beim Comic eher von einer „Wahrnehmungsillusion“ denn von einer „Erzählillusion“ spricht (2008: 389), und schließe mich damit seiner Trennung zwischen dem Erzählen an sich und der Erzählinstanz (der Illusion einer Erzählstimme) an. Bei der Erzählinstanz stimme ich Schüwer auch insofern zu, dass diese im Comic hauptsächlich (nicht ausschließlich) über verbale Mittel (z.B. Blocktexte) eingeführt wird. Die Erzählinstanz ist in einem Comic jedoch nicht unbedingt relevant und wird als solche von Lesern_innen auch nicht unbedingt wahrgenommen oder beachtet. Sie muss erst aktiv über textuelle Signale für Rezipienten_innen kenntlich gemacht werden. Gibt es aber ohne eine von Lesern_innen wahrgenommene Erzählinstanz auch eine_n unzuverlässige_n Erzähler_in? Es stellt sich hier auch die Frage, was unter einem_r unzuverlässigen Erzähler_in überhaupt zu verstehen ist. Geht es um moralische Werte, um das Involvement der erzählenden Figur in die Geschichte oder um eine inkorrekte Repräsentation der fiktiven/ realen Welt? Oder aber geht es um narrative Inkongruenzen? (siehe hier auch Ferenz 2008: 17-44).

Erzählt der Comic zuverlässig?

Sehen wir von der Erzählinstanz ab und sprechen wir weniger von dem_r unzuverlässigen Erzähler_in als vom unzuverlässigen Erzählen überhaupt, so ist Burkhard Ihmes Argumentation (siehe sein Beitrag zum Thema) zuzustimmen, dass der Comic als zuverlässiger Bericht eines Geschehens allein deshalb versagt, da der gutter zwischen den Panels immer auch auf erzählerische „Informationslücken“ verweist.

Dass das zuverlässige Erzählen im Comic in jedem Fall problematisch ist, zeigt sich auch an der prekären Identität von Comic-Zeichen, insbesondere der komplexen Körper-Zeichen, die über stereotype Merkmale wiedererkannt werden können. Die Identität dieser komplexen Zeichen bleibt aber immer Interpretation: Ob die Figur, die wir in einem Panel sehen, mit der im Blocktext genannten Figur Nick Knatterton identisch ist, und ob andere Figuren diese richtig als Nick Knatterton identifizieren oder aber eine Verwechslung vorliegt, ist Interpretationssache und vom Kontext der Geschichte abhängig (vgl. Klar 2011). Dass Identitäts-Verwechslungen vorliegen können, beweisen zahlreiche Doppelgängergeschichten (z.B. Hergé, Le Sceptre d’Ottokar). Dafür, dass Alter, Gender, und andere Aspekte der Identität von Figuren vom Körper-Zeichen im Comic nur performiert werden können, nie aber gesichert sind, ist die unklare Gender-Identität der Figur Krazy Kat ein gutes Beispiel (siehe Herriman 2007: 17, Abbildung 1). Eine unglaubwürdige und damit unzuverlässige Performanz von Identität kann aber auch unfreiwillig erfolgen: So interpretierte die Comic-Zeichnerin Alison Bechdel Kathleen Martindale zufolge die Comic-Figur Minnie Mouse als Mickey in drag, was vermutlich nicht im Interesse der Erschaffer_innen Minnies lag (siehe Martindale 2011: 351). Damit besteht immer ein zumindest potentieller Konflikt zwischen Blocktexten, in denen von bestimmten Figuren und deren Alter, Gender, usw. gesprochen wird, und den restlichen Comic-Zeichen.

herriman

Abbildung 1: George Herriman (2008), S. 17. Zum Vergrößern des Bildes, dieses bitte anklicken.

Geht man nun, Ole Frahm (2010) folgend, davon aus, dass Comics eine strukturelle Parodie darauf sind, „dass Zeichen und Gegenstand etwas miteinander zu tun haben sollen” (36), dass sie folglich die Idee des Originals selbst parodieren, so, könnte man behaupten, erübrigt sich der Begriff des unzuverlässigen Erzählens im Comic. Das Konzept unzuverlässigen Erzählens impliziert immer auch eine mögliche zuverlässige Erzählung, d.h. es impliziert den Bezug auf ein Original – entweder den Bezug auf eine (fiktive) Realität, die ein_e Erzähler_in inkorrekt darstellt, oder den Bezug auf moralische Werte, die ein_e Erzähler_in nicht teilt. Wird aber eben dieser Bezug auf ein Original im Comic strukturell unglaubwürdig gemacht, so können auch Erzähler_innen im Comic nicht mehr auf glaubwürdige Weise zuverlässig oder unzuverlässig sein.

Die unzuverlässige Erzählinstanz als Erzähltechnik

Das Beispiel Alison Bechdels zeigt allerdings bereits, dass die Zuschreibung von Unzuverlässigkeit auch eine Frage der Rezeptionsästhetik ist, worauf in der Narratologie bereits hingewiesen wurde (siehe Ferenz 2008: 17-44). Hier von Scripts und Schemata auszugehen, die bei der Lektüre eines Textes aktiviert werden (siehe ebd.), hilft möglicherweise zu erklären, warum bestimmte Comics/ Erzähler_innen trotz aller struktureller Parodie als zuverlässig gelesen werden und andere eben nicht. Und diese wie jene Lektüre hängt wiederum vom Kontext, der Lektüresituation und den Lesern_innen ab.

Damit wird aber gleichzeitig impliziert, dass auch Autoren_innen auf bestimmte ihnen bekannte Erzählkonventionen beim Gestalten der Comics zurückgreifen können – und warum sollten sie nicht unter anderem auch auf die aus der Literatur bekannte Tradition der unzuverlässigen Erzählinstanz zurückgreifen? Es spricht damit nichts dagegen, dass unzuverlässige Erzähler_innen im Comic genauso wie in der Literatur und im Film von Autoren_innen erschaffen und von Lesern_innen anhand von textuellen Signalen als solche erkannt werden. In diesem Fall kann zwischen zuverlässigen und unzuverlässigen Erzählinstanzen unterschieden werden und in diesem Fall ist dann auch eine Analyse der unzuverlässigen Erzählinstanz sinnvoll und zielführend.

Unzuverlässige Erzählinstanz vs. Comic-Realität

Einschränkungen sind hier jedoch insofern zu machen, als der Begriff der unzuverlässigen Erzählinstanz eben nur dann im Comic greift, wenn im jeweiligen Text ein fiktives Universum erschaffen wird, das Bezug auf eine außertextuelle (fiktive) Realität nimmt. Comics, die die Materialität der Zeichen auf der Comic-Seite und damit die Spezifika der Kunstform Comic im Sinne der strukturellen Parodie nach Ole Frahm (2010) in die fiktive Realität ihrer Geschichte miteinbeziehen beziehungsweise die fiktive Realität ihrer Geschichte sogar auf diesen Spezifika aufbauen, können mit dem Begriff des unzuverlässigen Erzählens wahrscheinlich nur unzulänglich beschrieben werden. Ein Beispiel dafür ist folgende bereits von Thierry Groensteen (2010: 213) zitierte Stelle aus der Adaption Hunt Emersons des Romans Lady Chatterley’s Lover von D. H. Lawrence (siehe Emerson 1986: 13, Abbildung 2): Die Figur Connie Chatterley imaginiert bei ihrem ersten Treffen mit Mellors den perfekten Liebhaber. Dieses Idealbild, das zunächst nur innerhalb der Gedankenblase realisiert wird, wird den realen Liebhaber Mellors über den Comic hinweg allmählich vollständig ersetzen. Trotzdem wir also mit Vorgängen konfrontiert werden, in denen die Vorstellungen einer Figur die Realität zu verfälschen scheinen, greift die Interpretation, Connie sei eine unzuverlässige Erzählerin, zu kurz: Einerseits stellt sich die berechtigte Frage, ob Connie hier überhaupt als Erzählerin interpretiert werden kann. Vor allem aber wird Mellors auf materieller Ebene – der der Zeichen auf der Comic-Seite – durch seine idealisierte Version ersetzt und der Comic gibt uns keinen Hinweis dafür, dass die Verwandlung im erschaffenen fiktiven Universum nicht als real zu interpretieren ist.

Abbildung 2: Hunt Emerson (1986), S. 13

Abbildung 2: Hunt Emerson (1986), S. 13

Hunt Emerson spielt hier mit der Möglichkeit des Comics, durch die Wiederholung und Variation von Figuren auch körperliche Transformationen zu ermöglichen. Da Connie und Mellors sich eben nicht auf eine außertextuelle Realität beziehen sondern Comic-Zeichen sind und sich selbst auch als solche verstehen, können sie sich tatsächlich verwandeln. Connie ist damit keine unzuverlässige Erzählerin, sondern greift über ihre Wünsche direkt in Mellors‘ körperliche Realität ein und formt diese um: Sie besitzt gestalterische Macht über die fiktive Realität der Geschichte.

Auch Herrimans Figur Krazy Kat ist vermutlich kein_e unzuverlässige_r Erzähler_in, obwohl sich die Katze in ihren Aussagen zur eigenen Gender-Identität mehrmals widerspricht. Aber auch alle anderen Figuren haben Schwierigkeiten, Krazy Kat in ein bestimmtes Gender einordnen – und es ist zumindest anzuzweifeln, dass Herriman selbst der fiktiven Figur ein fixes Gender zugeschrieben hat. Krazy Kat begreift sich als wiederholtes Zeichen, als Striche auf Papier – und damit sind die Aussagen der Katze auch nicht widersprüchlich im eigentlichen Sinne, da ein Comic-Zeichen kein fixes sondern nur ein im Rahmen eines Narrativs performiertes Geschlecht haben kann.

Der_die unzuverlässige Erzähler_in als eine innerhalb des fiktiven Universums durch den Autor (vermittels Blocktext oder anderer Mittel) erschaffene und durch den Leser aktivierte Instanz ist folglich von der Zuschreibung von Unzuverlässigkeit durch Leser_innen (Minnie Mouse als Drag-Queen) zu unterscheiden. Ebenso ist diese unzuverlässige Erzählinstanz von der Annahme zu unterscheiden, dass Comics als korrekte Abbildung der (fiktiven) Welt und als zuverlässiger Bericht eines (fiktiven) Geschehens immer problematisch sind. Nicht immer ist deshalb der_die unzuverlässige Erzähler_in bei narrativen Inkongruenzen und Konflikten zwischen den Textelementen und den restlichen Comic-Zeichen als Interpretationsmaßstab zielführend, und insbesondere dann nicht, wenn der jeweilige Comic seine Zeichen bis zu einem gewissen Grad als selbstreferentiell und damit nicht als der (fiktiven) Realität sondern den medialen Gesetzen des Comics selbst gehorchend versteht.

Elisabeth Klar

Quellen

Emerson, Hunt (1986): Lady Chatterley’s Lover!, London: Knockabout Publications.

Ferenz, Volker (2008): Don’t believe his lies. The unreliable narrator in contemporary American cinema. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.

Frahm, Ole (2010): Die Sprache des Comics, Leipzig: Philo Fine Arts.

Groensteen, Thierry (2010): Parodies. La bande dessinée au second degré, Paris: Skira/Flammarion.

Herriman, George (2008): Krazy & Ignatz. „Necromancy by the Blue Bean Bush“. Compounding the Complete Full-Page Comic Strips, with some extra Rarities. 1933-34. Edited by Bill Blackbeard and erya Ataker. Seattle: Fantagraphics Books.

Klar, Elisabeth (2011): „Wir sind alle Superhelden! Über die Eigenart des Körpers im Comic – und über die Lust an ihm“. In: Barbara Eder/ Elisabeth Klar/ Ramón Reichert (Hg.), Theorien des Comics. Ein Reader, Bielefeld: transcript, S. 219-236.

Martindale, Kathleen (2011): „Zurück in die Zukunft mit Dykes To Watch Out For und Hothead Paison“. In: Barbara Eder/ Elisabeth Klar/ Ramón Reichert (Hg.), Theorien des Comics. Ein Reader, Bielefeld: transcript, S. 341-364.

Schüwer, Martin (2008): Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.

4 Gedanken zu „Elisabeth Klar: Die Relevanz der unzuverlässigen Erzählinstanz im Comic“

  1. „Hunt Emerson spielt hier mit der Möglichkeit des Comics, durch die Wiederholung und Variation von Figuren auch körperliche Transformationen zu ermöglichen. Da Connie und Mellors sich eben nicht auf eine außertextuelle Realität beziehen sondern Comic-Zeichen sind und sich selbst auch als solche verstehen, können sie sich tatsächlich verwandeln. Connie ist damit keine unzuverlässige Erzählerin, sondern greift über ihre Wünsche direkt in Mellors‘ körperliche Realität ein und formt diese um: Sie besitzt gestalterische Macht über die fiktive Realität der Geschichte.“

    Das halte ich für eine unzutreffende Beschreibung des Comics von Hunt Emerson. Die von der im Comic gezeigten Realtität abweichenden Bilder in den Denkblasen sind Imaginationen der Protagonisten. Dies hat Auswirkungen auf ihr Denken, Handeln und Fühlen, eine Transformation der Gestalten findet aber nicht statt.
    Wir haben es eher mit einer auktorialen Erzählsituation zu tun: Hunt Emerson zeigt dem Leser nicht nur den äußeren Anschein, er kennt auch die Gedanken und Wünsche seiner Protagonisten und vermittelt sie ihm bildlich in den Denkblasen.

  2. Elisabeth Klar

    Vielen Dank zunächst für das Kommentar, das ich, wie meine lange Antwort zeigt, sehr anregend fand.

    Dass bei Hunt Emersons Comic nicht reale Transformationen stattfinden sondern nur Gedanken und Wünsche verbildlicht werden, ist, finde ich, eine valide Interpretation. Trotzdem besitzt Lady Chatterley’s Lover! (1986) doch einige Besonderheiten, dich mich davon überzeugt haben, hier mehr als nur eine auktoriale Erzählinstanz zu sehen, die die emotionale Innenwelt der Figuren visualisiert.

    Zunächst ist die Welt, in der die Figuren agieren, alles andere als realistisch oder kontinuierlich. Der Hintergrund zum Beispiel bleibt keineswegs gleich. Hier ist als Beispiel die Billardszene zu nennnen, in der der Tisch, auf dem Tante Eva Billard spielt, zuerst eine Fläche für Billard, im nächsten Panel aber schon für Minigolf, dann für Tischfußball und dann für Monopoly bietet (16). Ebenso wie in dieser Szene wäre auch in einer anderen Szene (36), in der Connie und Mellors durch die Nacht spazieren und sich der Hintergrund von Panel zu Panel deutlich wandelt, unklar, wessen Gedanken und Gefühle hier letztlich verbildlicht werden sollen.
    Auch treten Figuren (Tiere, anthropomorphisierte Gegenstände) immer wieder in Panels auf, verschwinden wieder, und sprechen dazwischen direkt zu den Lesenden, ohne dass dies viel Relevanz für die Handlung oder die Figuren hätte.
    Kurz gesagt: Emerson arbeitet mit visuellen Metaphern, der Variation von Zeichen und anderen Techniken, die die erschaffene Welt einer realistischen Welt entfernen, ohne dass es dabei immer einen nachvollziehbaren Bezug zum Innenleben irgendeiner relevanten Figur gäbe. Die intertextuellen Verweise, Widersprüchlichkeiten, Diskontinuitäten und Verwandlungen werden von den Figuren ignoriert oder hingenommen.

    In dieser wechselhaften Umgebung ist jedoch die allmähliche Verwandlung des Mellors eine Konstante. Wenn Mellors‘ Verwandlung auf der materialen Ebene stattfindet, so tut sie dies recht wörtlich: Schließlich wird das Zeichen für den alten Mellors tatsächlich durch jenes für den neuen ersetzt. Dass Mellors‘ Aussehen und damit das Zeichen für ihn dabei von Panel zu Panel schwankt, zeigt für mich nur umso deutlicher, wie effektiv Emerson mit der Wiederholung und damit auch mit der möglichen Variation von Zeichen spielt. Jeder Mellors, den er zeichnet, ist wiedererkennbar, und dennoch sieht er jedes Mal ein wenig anders aus, und dennoch sind im Leseprozess zwei distinkte Mellors identifizierbar: einerseits der Mellors, dem wir anfangs begegnen und der am Ende des Comics vollständig ausgelöscht ist, andererseits der Mellors, der am Ende des Comics Bauer wird mit mit der Sense die Hühner schneidet. Das erinnert gerade auch an die Verwandlung des Dr. Jekyll in Mr. Hyde, wie sie von Guido Crepax in Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1996) dargestellt wird. Dafür, dass es sich um eine tatsächliche Transformation handelt, spricht auch, dass der idealisierte Mellors am Schluss die Überhand gewinnt, sowie das letzte Wort. Auch wird die Transformation, außer anfangs, nicht durch Gedankenblasen eingerahmt, sie wird also indirekt als real „markiert“.

    Auch stellt sich die Frage, warum Connie, wenn sie am Ende des Comics von Mellors einen Brief erhält, in dem er von seinem Leben als Bauer erzählt, sich diesen die Hühner mit der Sense schneidend vorstellen/wünschen sollte. Das Panel, das ihn auf dem Bauernhof zeigt, unterwandert selbst in den kleinsten Details seine Glaubwürdigkeit als guter Landwirt: Auf der Wand der (brennenden) Scheune steht sogar das wenig Gutes versprechende „Four legs good, two legs bad“ geschrieben (54).

    Natürlich lässt sich zumindest ein Teil der oben genannten Inkohärenzen darüber erklären, dass eine auktoriale Erzählinstanz die visualisierten Gedanken und Wünsche der Personen wiederum ironisiert. Zu sagen, dass Mellors‘ Transformation gar nichts mit Connies Wünschen zu tun hätte, wäre sicherlich unzutreffend – manche Panels unterstützen auch konkret diese Interpretation (z.B. auf S. 31). Die Frage ist nur, ob mit der Etablierung einer auktorialen Erzählinstanz, die „nur“ Gedanken von Figuren verbildlicht, ansonsten aber eine kohärente Welt mit realistischen Körpern zeigt, hier genug gesagt ist. Es zeigt sich gerade bei Emerson doch ein Spiel mit den Zeichen, das über eine Vermittlung der Handlung und der Figurenpsychologie weit hinausgeht (und sich unter anderem in unzähligen Verweisen auf britische (Pop-)Kultur zeigt). Im Vergleich dazu konzentriert sich zum Beispiel Mary Fleeners einseitige Version desselben Comics viel deutlicher auf eine Vermittlung der Geschichte und der Gedanken und Gefühle der Figuren, obwohl sie gleichzeitig einen kubistischen, dem realistischen Zeichenstil noch weiter entfernten Stil verwendet.

    Ich hoffe, in diesem Kommentar nicht allzusehr ausgeufert zu sein, ich liefere gern auch noch Bilder nach. Ich habe – zur Referenz – sowohl Mary Fleeners „Lady Chatterley’s Lover“ (in: Alice im Comicland, herausgegeben von Irene Mahrer-Stich, 1993) als auch Hunt Emersons Lady Chatterley’s Lover! in meiner Diplomarbeit, „Der Körper und seine strukturelle Parodie in Literatur und Comic, gezeigt anhand von erotischen Literaturadaptationen“, genauer auf den Aspekt des Körpers hin analysiert. Ich freue mich natürlich über Rückantworten.

  3. Da der Erzähler der abgebildeten Seite (und nur auf sie kann ich mich beziehen) die Gedanken aller Beteiligten kennt, handelt es sich wohl (solange keine dem widersprechenden Informationen vorliegen) um einen auktorialen Erzähler (und nicht um Connie, wie oben behauptet). Nach deiner Beschreibung weiterer Seiten möglicherweise um einen unzuverlässigen auktorialen Erzähler (etwas, das in Comics meines Wissens häufiger vorkommt, als in Romanen).
    Absolute Eindeutigkeit ist wahrscheinlich selten.
    In diesem Beispiel ist nicht wirklich klar: Handelt es sich um einen auktorialen Ich-Erzähler, einen unzuverlässigen Ich-Erzähler, der nur vorgibt, die Gedanken seiner Gegenüber zu erraten, oder zeigt uns das Panel die Sicht des Erzählers auf seine Umwelt und den Umgang, den sie mit ihm pflegt.

  4. Elisabeth Klar

    Vermutlich ist der Auszug einer einzelnen Seite aus dem Comic missverständlich, danke für den Hinweis. Bestimmt kann man auch das gesamte Lady Chatterley’s Lover! von Hund Emerson im Sinne eines_r auktorialen unzuverlässigen Erzählers_in interpretieren. Hier gebe ich dir also auch Recht.
    Ich denke mir, dass jedoch das Spiel mit den Zeichen und deren Materialität auf der Seite, das bei Emerson so dominant und auffällig ist – und das ich anhand der Einzelseite zugebenermaßen nicht gut zeigen konnte -, nicht vernachlässigt werden sollte.
    Die Frage stellt sich einfach, ob Emerson mit seiner Version des Romans überhaupt eine Welt konstruiert, in der ein_e (un)zuverlässige_r Erzähler_in Platz hat, wo es also eine eindeutige zuverlässige Erzählung geben könnte.
    Hier verweise ich wiederum auf das unbestimmte Gender von Krazy Kat. Sieht man hier eine unzuverlässige Erzählinstanz, so geht man davon aus, das Krazy Kat ein bestimmtes Gender hat, das aber für Lesende (von wem auch immer) verdeckt/verborgen/verfälscht wird. Geht man davon aus, dass hier grundsätzlich mit Zeichen und ihrer Mehrdeutigkeit gespielt wird, so kann auch die Figur Krazy Kat kein bestimmtes Gender haben, es kann ihr nur in einem bestimmten textuellen Kontext ein bestimmtes Gender zugeschrieben werden. Damit kann auch die Erzählinstanz nicht unzuverlässig sein, da ja beide Interpretationen (männlich/weiblich) stimmen beziehungsweise eben nicht stimmen würden.
    Vielleicht handelt es sich hier aber auch um einen grundsätzlichen und letztlich nicht auflösbaren Unterschied im Zugang.

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