CfP: Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung, Vereinnahmung und Mischung

Stichtag: 31. März 2013

Doppeltagung an der Université de Lorraine (Frankreich) und an der
Universität Yamaguchi (Japan) Erster Teil: Nancy, 28.-30. November 2013

Nach den traditionellen Wertmaßstäben der Literaturkritik nehmen gewisse
Gattungen, die als „nieder“ bezeichnet werden und unter Oberbegriffen
wie Para- oder Trivialliteratur, Volks- oder populäre Dichtung rangieren
(ohne dass diese Begriffe völlig synonym wären), eine marginalePosition
im Bereich der deutschen Literatur ein. In der gesellschaftlichen
Wirklichkeit spiegelt sich dies darin, dass sie früher kaum in den
schulischen oder akademischen Lehrplänen auftauchten – oder nur als
soziokulturelles Zeugnis, nicht als literarische Schöpfung –und dass
ihre Lektüre ausschließlich den als ungebildet geltenden unteren
sozialen Schichten zugeschrieben wurde.
Und doch ist die „große“, „Hoch-“ oder „Höhenkammliteratur“ wohl in
keiner Epoche von diesem Typ literarischer Produktion völlig unberührt
geblieben, die zuweilen sogar, wenn nicht als Modell, so doch als
Inspirationsquelle diente. So sind in der Literaturgeschichte Bewegungen
der Annäherung und der gegenseitigen Befruchtung (und folglich der
Aufwertung der marginalen Gattung) zu beobachten, denen oft gegenläufige
Tendenzen der Abstandnahme und der Denunziation folgen. Spezifisch für
die niederen Gattungen ist also einerseits die Möglichkeit, ihr
Außenseitertum bis zu einem gewissen Grad überwinden zu können und
andererseits – aus Gründen, die zu untersuchen wären – zuweilen später
wieder ins Abseits gedrängt zu werden.
Zu berücksichtigen ist bei dieser Fragestellung die Relativitätder
marginalen Position, ihre Abhängigkeit vom Beobachterstandpunkt: Wasein
ästhetisch elitärer Blick als marginal wahrnimmt, mag nach
wirtschaftlichen („Konsum“), aber auch nach soziokulturellen Kriterien,
etwa dem Einfluss auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, von zentraler
Bedeutung sein. Ja, auch ästhetische Wertunterschiede werden heute von
manchen Literaturwissenschaftlern angezweifelt, so dass sich die Frage
stellt, welche Position der elitäre Blick heute noch innehat. Er dürfte
noch minoritärer als früher geworden sein angesichts der breiten
Akzeptanz niederer Gattungen auch bei Intellektuellen – auch wennin
diesem Fall das Phänomen der „ironischen Rezeption“ in Rechnung zu
stellen ist.

Die geplante Tagung soll den Blick schärfen nicht nur für das
Nebeneinander und die Konkurrenz, sondern auch und vor allem für dasHin
und Her der Annäherung und Entfernung zwischen den beiden Literaturen,
der Integration und Ausgrenzung der niederen Gattungen. Dabei soll auch
das spezifische Wesen der die beiden trennenden Grenze untersucht
werden, ihre Verschiebungen und die Rolle des Beobachters in der
Festlegung dieser Grenze: Sie ist dort, wo sie gesehen wird – und
konstituiert sich erst durch dieses Sehen.
Von Interesse insbesondere für die Auslandsgermanistik ist dabei der
Sonderfall des nicht-deutschen Beobachters deutscher Literatur. Wird
niedere Literatur im Ausland anders rezipiert? Geht – systemtheoretisch
gesprochen – die Integration in ein fremdes „System“ und die daraus
folgende Refunktionalisierung eventuell mit einer ästhetischen Um- bzw.
Aufwertung einher? In diesem Sinne lassen sich auch Fragen der
Interkulturalität in die Tagungsthematik einbinden.

Weitere Beispiele für Fragestellungen und Untersuchungsgegenstände:

Leistung verschiedener Theorieansätze, z.B.:
– Bourdieu und seine Analyse des „literarischen Felds“ sowie
soziokultureller Abgrenzungsstrategien
– die Systemtheorie und ihre Analyse der Beziehung zwischen System und
Umwelt bzw. zwischen verschiedenen Systemen
– die postkoloniale Theorie und ihre Beschreibung von Hybridität.

Beziehung von Medien- und Gattungswechsel, z.B:
– Verfilmung literarischer Texte
– Musikalische Adaptationen (Opernlibretti, Liedtexte usw.)

Untersuchung verschiedener Epochen und Strömungen und ihrer Beziehung zu
niederen Gattungen, z.B.:
– Sturm und Drang bzw. Romantik und ihre Beziehung zur Volksdichtung
– Annäherung neusachlicher Romanciers an die Trivialliteratur
– Popliteratur
– Postmoderne.

Historische und vergleichende Rekonstruktion von Veränderungen in den
Beziehungen zwischen hoher und niederer Literatur: Wann erfolgten sie im
deutschen Sprachraum, wann im nicht-deutschsprachigen Ausland? Wie
lassen sich zeitliche Verwerfungen und / oder kulturelle Unterschiede
erklären?

Präsentation einzelner Autoren / Werke, deren Zurechnung zur hohen oder
niederen Literatur problematisiert werden kann.

Erwünscht sind (30-minütige) Beiträge aus der Germanistik sowie – dem
Profil des Département d’Etudes Germaniques et Scandinaves in Nancy
gemäß – der Skandinavistik. Als Arbeitssprache ist Deutsch vorgesehen,
Beiträge mit Bezug zur Skandinavistik können auch auf Englisch
vorgetragen werden. Interessenten werden um ein Abstract (250 bis 500
Wörter) sowie um eine Kurzvita gebeten, die bis zum 31.3.2013 an
folgende Organisatoren zu senden sind:

Dr. Konrad Harrer (Université de Lorraine / Nancy): konrad.harrer [at]
univ-lorraine.fr
Prof. Dr. Annie Bourguignon (Université de Lorraine / Nancy):
annie.bourguignon [at] univ-lorraine.fr
Prof. Dr. Franz Hintereder-Emde (Universität Yamaguchi): emde [at]
yamaguchi-u.ac.jp

Eine Publikation der Beiträge ist geplant. Die Reservierung und
Finanzierung der Unterkunft wird von den Organisatoren übernommen; für
die Reisekosten und die Tagungsgebühr (ca. 40 Euro) müssen die
Referenten voraussichtlich selbst aufkommen.

Der zweite Teil der Doppeltagung wird voraussichtlich im Herbst 2014 an
der Universität Yamaguchi stattfinden. Dort wird insbesondere die
interkulturelle Dimension der Fragestellung in den Fokus gestellt
werden. Damit öffnet sich dieser zweite Teil auch komparatistischen und
translatorischen Ansätzen. Themenvorschläge dazu werden schon jetzt
angenommen; es ist jedoch eine eigene Tagungsausschreibung für Ende 2013
vorgesehen.

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