Stephan Packard: „Yes. I’m Peter Parker.“

Roundtable zum Unzuverlässigen Erzählen 5

Überlegungen zur historischen Transmedialität von unzuverlässigem Erzählen und unzuverlässigem Erzähler in Amazing Spider-Man 698

Vorsicht, Spoiler: Peter Parker, der unglaubliche Spider-Man, ist gar nicht mehr Peter Parker. Doctor Octopus, einer seiner erzschurkischen Widersacher, hat Peters Körper übernommen, lebt in ihm und führt unerkannt dessen private sowie dessen Superheldenidentität fort, eine secret identity hinter der secret identity. In der erzählten Welt ist der Austausch vor den ersten Ereignissen in Amazing Spider-Man 698 geschehen; der Leser erfährt erst kurz vor Ende des Hefts davon. Bis dahin wird er wie die anderen Figuren in Peters Umfeld getäuscht. Die Erzählung erweist sich damit als unzuverlässig, weil revisionsbedürftig. Aber gibt es mit der unzuverlässigen Erzählung auch einen unzuverlässigen Erzähler? Und ist es überhaupt legitim, narratologische Begriffe von Erzählung, Erzähler und Unzuverlässigkeit, die an schriftsprachlicher Narration gebildet wurden, an Comics anzulegen? Weiterlesen

Daniel Stein: Unzuverlässiges Erzählen in Comicserien

Roundtable zum Unzuverlässigen Erzählen 4

Soviel ist klar: Comics erzählen – mit wenigen Ausnahmen – Geschichten, und sie tun dies seit über einem Jahrhundert äußerst erfolgreich. Und auch wenn das Format des Zeitungscomics, das man als Geburtsstätte des modernen Comic Strip bezeichnen könnte, inzwischen vom Aussterben bedroht scheint, erfreuen sich neue Publikationsformate wie die Graphic Novel der wachsenden Beliebtheit immer heterogenerer Leserschichten. Comics, das kann man mit einiger Sicherheit feststellen, unterliegen seit geraumer Zeit immensen Kanonisierungsprozessen. Oder besser gesagt: sie nehmen an diesen Kanonisierungsprozessen Teil, indem sie sich in die Kulturgeschichten einzelner Länder sowie in unser Verständnis globaler Kulturproduktion einschreiben. In den USA werden Comics spätestens seit der Veröffentlichung von Art Spiegelmans zweibändiger Holocaust-Erzählung Maus (1986/1991) als wichtiger Bestandteil des nationalen Kulturerbes gehuldigt; in Frankreich und Belgien werden bande dessinées schon seit Jahrzehnten als neunte Kunst gehandelt. In Deutschland haben Feuilleton und Wissenschaft ihren Gefallen an der grafischen Literatur gefunden, und weltweit gehören die ursprünglich aus Japan stammenden und vermehrt global produzierten Manga zu den meistgelesenen Printpublikationen. Weiterlesen

Elisabeth Klar: Die Relevanz der unzuverlässigen Erzählinstanz im Comic

Roundtable zum Unzuverlässigen Erzählen 3

Gibt es Erzähler_innen im Comic?

Dass Erzählen im Comic stattfindet, dass Comics folglich zumeist narrativ sind und anhand narratologischer Fragestellungen analysiert werden können (Erzählzeit, Fokalisation usw.), trifft auf einen breiten Konsens. Ich folge hier Martin Schüwer allerdings insofern, als er beim Comic eher von einer „Wahrnehmungsillusion“ denn von einer „Erzählillusion“ spricht (2008: 389), und schließe mich damit seiner Trennung zwischen dem Erzählen an sich und der Erzählinstanz (der Illusion einer Erzählstimme) an. Bei der Erzählinstanz stimme ich Schüwer auch insofern zu, dass diese im Comic hauptsächlich (nicht ausschließlich) über verbale Mittel (z.B. Blocktexte) eingeführt wird. Die Erzählinstanz ist in einem Comic jedoch nicht unbedingt relevant und wird als solche von Lesern_innen auch nicht unbedingt wahrgenommen oder beachtet. Sie muss erst aktiv über textuelle Signale für Rezipienten_innen kenntlich gemacht werden. Gibt es aber ohne eine von Lesern_innen wahrgenommene Erzählinstanz auch eine_n unzuverlässige_n Erzähler_in? Es stellt sich hier auch die Frage, was unter einem_r unzuverlässigen Erzähler_in überhaupt zu verstehen ist. Geht es um moralische Werte, um das Involvement der erzählenden Figur in die Geschichte oder um eine inkorrekte Repräsentation der fiktiven/ realen Welt? Oder aber geht es um narrative Inkongruenzen? (siehe hier auch Ferenz 2008: 17-44). Weiterlesen

Dietrich Grünewald: Erzähler und Erzählen in der Bildgeschichte

Roundtable zum Unzuverlässigen Erzählen 2

Dass Bildgeschichten – in allen ihren Variationen – etwas vermitteln, entspricht ihrer Aufgabe und begründet ihre Existenz. Ob das mit „Erzählen“, wie es in der Erzählforschung verstanden und umschrieben wird, übereinstimmt, ist damit nicht selbstverständlich gegeben und muss vom Gegenstand aus (Bildgeschichte im Vermittlungsprozess) weiterhin geklärt werden.

Erzählen, ahd. arzellan, irzellan, mhd. erzeln, erzellen (Grimmsches Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1077), bezieht sich auf das mündliche Erzählen, meint sowohl die Mitteilung im Gespräch als auch den Vortrag. Der mündliche Erzähler berichtet, schildert, beschreibt und sucht möglichst anschaulich bei seinen lauschenden Zuhörern Vorstellungsbilder im Kopf entstehen zu lassen. Er kann sich dabei von Bildern (Illustrationen) unterstützen lassen, die die Wirkung und Lebendigkeit des Erzählten verstärken aber auch verändern oder gar mindern können, wie das Rafik Schami und Peter Knorr in Der Wunderkasten (1990) trefflich gezeigt haben. Wesentlich scheint mir: der Erzähler gibt eine Rückschau, berichtet von einem Geschehen, das er erlebt hat, von dem er vorgibt, es erlebt zu haben, von dem er gehört hat (er berichtet also einen selbst gehörten Bericht), das den Anspruch auf Wahrheit erhebt, das tatsächlich wahr (wenngleich aus subjektiver Sicht berichtet) ist, das fiktiv ist (und auch so von den Zuhörern wahrgenommen wird). Weiterlesen

Burkhard Ihme: Der unzuverlässige Erzähler

Roundtable zum Unzuverlässigen Erzählen 1

Die Frage nach dem unzuverlässigen Erzähler begleitet mich schon seit Jahrzehnten, und meine langjährigen wissenschaftlichen Forschungen haben ergeben: Der Erzähler im Comic ist IMMER unzuverlässig. Hier der Beweis:

Zwischen_1

Die Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern.

Zwischen_2

Burkhard Ihme: Beitrag für die INC-Ausstellung „Die vierte Dimension“ 1998 in Hamburg. Was zwischen den Panels passiert, wird der Comicleser nie genau erfahren.

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Roundtable zum Unzuverlässigen Erzählen im Comic

Die Frage nach der Erzählinstanz in den Comics ist eine verzwickte und wird bereits seit geraumer Zeit teilweise vehement diskutiert. Dabei reichen die vorgetragenen Positionen von der Behauptung, im Comic könne von einem identischen Erzähler wie in der schriftsprachlichen Literatur ausgegangen werden bis hin zu der Feststellung, im Comic gäbe es überhaupt keinen Erzähler.

In einer internen Diskussion einzelner ComFor-Mitglieder zum unzuverlässigen Erzählen in den Comics, wurden diese virulenten Fragen erneut aufgegriffen und teilweise kontrovers diksutiert. Um diese Debatte nicht im internen Listenverteiler der Gesellschaft verschwinden zu lassen, wurden einige Diskutanten gebeten, ihre Positionen in Form eines Roundtable gegeneinander vorzubringen. Dabei sind fünf Essays herausgekommen, die wir in den kommenden fünf Tagen auf unserer Homepage veröffentlichen werden. Weiterlesen

Monitor 2: Neue Publikationen 2012/2013

Im Monitor werden viertel- oder halbjährlich aktuelle Publikationen kurz vorgestellt, die für die Comicforschung relevant sein könnten.
Haben Sie Anregungen oder Hinweise auf Neuerscheinungen, die übersehen worden sind und hier erwähnt werden sollten? Das Team freut sich über eine Mail an redaktion@comicgesellschaft.de.

Die Sprache(n) der Comics. Kolloquium in Heidelberg, 16.-17. Juni 2009

Die Sprache(n) der Comics.
Kolloquium in Heidelberg, 16.-17. Juni 2009

Pietrini, Daniela (Hrsg.)
Peter Lang Verlag
218 Seiten
ISBN 978-3-89975-280-9
€ 34,90
31. Januar 2012

Der Sammelband geht auf ein interdisziplinäres Kolloquium zurück, das 2009 im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg stattfand. Die Idee des Kolloquiums entstand aus der Feststellung, dass Comics zu den Phänomenen des gegenwärtigen Alltagslebens gehören, die von der universitären Forschung – insbesondere von der Linguistik – eher vernachlässigt werden. Ein bislang kaum erforschtes Gebiet dar, was Sprachexperimente, fingierte Mündlichkeit, lexikalischen Erfindungsgeist, Gebrauch von Lautsymboliken und Wortspielereien in all ihren Facetten betrifft. Hier wird nun erstmalig das Thema «Comic und Sprache» auf wissenschaftlichem Niveau behandelt und es werden weitere Forschungsperspektiven eröffnet. Das Buch ist interdisziplinär ausgerichtet, einerseits im Hinblick auf unterschiedliche Nationalsprachen, andererseits weil die Analyse von linguistischen Aspekten im Comic immer einen semiotischen, einen literatur- und einen kulturwissenschaftlichen Ansatz berücksichtigen muss, um der komplexen Wesensart des Comics als Text-Bild-Sequenz-Einheit gerecht zu werden.

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Internationaler Comic-Wettbewerb „Animate Europe!”

sprechblase-eu-animate-europeNach dem „Gramic“, ausgeschrieben vom Evangelischen Presseverband für Bayern e.V. (EPV), wird mit dem Wettbewerb „Animate Europe!“ 2013 schon der zweite Comic-Wettbewerb aus der Taufe gehoben. Unter dem Motto „Wie sieht Ihr Szenario für Europa aus? Zeichnen Sie es!“ ruft das Brüsseler Büro der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit Profis und Laien zu Einsendungen zum Thema „Europa auf.

Gesucht werden sieben Kurzgeschichten zum Thema „Europa“. Der Wettbewerb wird in zwei Phasen durchgeführt. Die erste Phase dient der Qualifizierung von sieben Finalisten. Profis und Amateure sind eingeladen, einen zweiseitigen Comic-Entwurf ihrer Geschichte eine Zusammenfassung der geplanten Geschichte einzureichen. Einsendeschluss ist Freitag, 14. Juni 2013. Weiterlesen

Rezension: Web-Spinning Heroics

Rezension zu: Peaslee, Robert Moses; Weiner, Robert G.: Web-Spinning Heroics. Critical Essays in the History and Meaning of Spider-Man. Foreword by Tom De-Falco, Afterword by Gary Jackson. Jefferson, North Carolina, and London: McFarland 2012. 261 S., ca. 35 €.

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Spinning HeroicsDie Zahl der wissenschaftlichen Publikationen zu Superheldencomics ist in den letzten Jahren, gerade im Zuge der Filmadaptionen, erfreulich gestiegen – Zuwachs ist jedoch nach wie vor willkommen. Robert M. Peaslee und Robert G. Weiner von der Texas Tech University haben nun einen ganz dem Netzschwinger gewidmeten Band zusammenges-tellt, der 24 Beiträge unterschiedlicher Länge umfasst. Die meisten Artikel sind Comic-Publikationen gewidmet, sieben Beiträge beziehen sich ganz oder teilweise auf Sam Raimis Filmtrilogie (2002–2007), drei Beiträge befassen sich mit anderen Medien.
Obwohl der Löwenanteil der Texte von Literatur- und MedienwissenschaftlerInnen stammt, verschliesst sich Web-Spinning Heroics – wie die meiste Literatur zu Superhelden – einer zusätzlichen populärwissenschaftlichen Ausrichtung nicht: Der Sammelband ist „defined by a deliberately expansive and inclusive approach to capturing what it means to be a scholar, interpreter, teacher and fan of all things Spidey“ (17). Vorangestellt ist den Aufsätzen ein Vorwort von Tom DeFalco („My Pal Pete“) sowie die „Elegy for Gwen Stacy“ von Gary Jackson, der auch das Nachwort für den Band verfasst hat. Weiterlesen