Tagungsbericht: NNCORE – Internationale Comic-Konferenz, Universität Helsinki 2013

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Unter der Leitung von Kai Mikkonen (University Helsinki) und Anne Magnussen (Universität Südliches Dänemark) fand – trefflich und bestens organisiert – die Comic-Konferenz in Helsinki vom 23. bis zum 25. Mai 2013 statt.

Auf Einladung der NNCORE, die sich ja auch auf der Wissenschaftstagung der ComFor in Freiburg 2012 beteiligt hatte, war die ComFor stark vertreten.

Nach dem Einleitungsvortrag von Ann Miller (Universität Leicester) über „Comics and Politics“ : – just das Thema der letztjährigen ComFor-Jahrestagung! – starteten starteten mit Sektion 1 („Strategies of Storytelling“), moderiert von Anne Magnussen, die ersten ComFor-Beiträge (Abstracts einiger Beiträge unten im Anhang):

Dietrich Grünewald: Telling without words. The literary structure of Dave McKeans erotic graphic novel „Celluloid“ (2012)

Jörn Ahrens: Parable as Reality: Strategies of narration in DMZ

Joachim Trinkwitz: Episodic storytelling in Jaime Hernandez’s “Locas”

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Stephan Packard: How narrative are comics? History and Paranarrativity” sprach dann am Nachmittag im Fortsetzungspanel „Strategies of Storytelling I“. Der Beitrag diskutierte, inwiefern Konzepte des Erzählens, wie sie an schriftsprachlicher Literatur gebildet werden, zur Beschreibung von Comics einschlägig sein können; und argumentierte, dass Comics ihre Ferne oder Nähe zum traditionellen Erzählen gerade als offene Frage und ästhetisches Verfahren einsetzen. (Martin Frenzel, der auch für dieses Panel vorgesehen war, musste leider aus beruflichen Gründen seine Teilnahme absagen.)

Weitere Mitwirkung von ComFor-Mitgliedern:

Sektion „Controlling the Message I: Politics, Ideology, Propaganda“ (Freitag):

Michael Scholz: Swedish comics as means of propaganda. To strengthen the morale of the people and the politics of neutrality in Sweden during World War II

Panel “Politics and Identity II” (Freitag):

DSC_0041Marc Blancher: “Le coiffeur” or the graphical representation of the political situation in Morocco in the 60s. Der Beitrag nahm sich vor, am Beispiel des engagierten marokkanischen Comics folgende Fragestellung zu erörtern: Inwiefern können Comics zu Geschichtsschreibung beitragen und wie steht das graphische Werk von Abdelaziz Mouride in der Debatte zwischen „histoire“ und „mémoire“.

Chantal Catherine Michel: Between praise and disillusion: The Jewish debate on Zionism and the State of Israel in and through comics

Bernd Dolle-Weinkauff nahm an der Podiumsdiskussion “Comics Theory – perspectives, texts, authors, format?“ – teil, hielt einen Beitrag über das Frankfurter Comic-Archiv im Rahmen von  Sektion 8, „Building and Using a Comics Archive” und war an der die Tagung abschliessenden PHD-Session als Mitglied des Advisory Boards des NNCORE mit der Diskussion von vier Dissertationsprojekten beteiligt.

Stephan Packard  nahm an der Abschlussdiskussion (Samstag): “Does comics studies need to be interdisciplinary?“ teil.

Die Tagung war übervoll; die weiteren Keynotes von Thierry Groensteen und Jan Baetens und die zahlreichen weiteren Vorträge (mit 20 Minuten Redezeit leider sehr knapp bemessen) der Referenten aus den nordischen Ländern Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Iran, Jordanien, Kanada, Niederlande, Ungarn und den USA mussten z. T. in parallel stattfindenden Sektionen vorgetragen werden – schade, so musste man sich als Zuhörer und  Diskutant entscheiden und konnte leider nicht alles mitbekommen. Durchweg waren die Beiträge auf hohem Niveau und brachten den Diskurs, so kann man sicher uneingeschränkt sagen, deutlich voran.

Am Freitag-Abend war der Kongress eingeladen: in das Comic-Center. Hier werden – neben dem Verkauf finnischer und internationaler Comics – Ausstellungen mit Originalen gezeigt und regelmäßige praktische Workshops durchgeführt.

Der Kongress diente nicht zuletzt der Frage, wie sich die NNCORE weiterentwickeln könnte. Verabredet wurde, die schon bestehende enge Zusammenarbeit zwischen ComFor und NNCORE zu intensivieren. Möglicherweise könnte ein späteres Ziel sein, so etwas wie einen europäischen Dachverband nationaler Comic-Gesellschaften zu gründen.

Dieser Tagungsbericht stammt von den vertretenen ComFor-Mitgliedern.

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Mit freundlicher Zustimmung der Nncore dürfen wir hier auch den Nncore-Newsletter No 7 einsichtig machen, der einen Bericht über die Konferenz enthält.

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Abstracts einiger Beiträge der ComFor-Mitglieder:

Jörn Ahrens: Parable as Reality: Strategies of narration in DMZ

Parable as Reality: Strategies of narration in DMZ Brian Wood’s DMZ series choses an unusually approach in dealing with the issue of war. Its setting transfers the experience of present society and its involvement in war by relocating this war from the peripheries of the Western hemisphere to the very icon of both American and Western culture—New York City. The narrative of DMZ builds a thought experiment of how the realities of war would be like within American topography. Thus, the series strives to sensitize its readers not so much for questions of direct action, but for how everyday life might change under circumstances of war, what might become important, which transformations politics, the role of media, and even friendship might undergo. Such perspective on the matters of society and culture during the state of war and military oppression is facilitated by quite a traditional approach in story telling: The young and unexperienced journalist who bangs into the field and quickly evolves as key figure in the events is functioning as character to identify with. Being as much an outsider to almost all war parties involved as an insider of the key events he serves as seemingly neutral character and is able to demonstrate the various and often antagonistic positions and perspectives in the conflict. DMZ is designed as a projection and visualization of that warfare, Western societies usually are exporting to their periperies and to ponder how such reality would look like in their homelands. Also, it opens the view on the plurality of interests, actors, positions, and emotions driven by and driving a society turned into battleground. The paper will unfold the series’ specific approach by referring to theories of narratology and visuality. Also, it will present an argument why DMZ is both remaining in the tradition of classic war comics and transcending it.

Dietrich Grünewald: Telling without words. The literary structure of Dave McKeans erotic graphic novel „Celluloid“

Dave McKeans Buch Celluloid, 2011 bei Fantagraphics Books erschienen, ist “an erotic graphic novel”. Dem Untertitel wird es mehrfach gerecht: Celluloid ist ein umfangreicher, 232-seitiger Comic, der bis auf bibliographische Angaben und wenige Inserts einen chronologisch-linearen Handlungsprozess als reine Bildfolge – also ohne Text – präsentiert, die vornehmlich erotische Szenen aufweist. Das Buch, das Bezüge zum erotisch-pornografischen Comic nicht verleugnet, wirkt auf den ersten Blick eher kitschig und trivial; doch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Werk verändert diese Wertung. Denn Celluloid bietet mehr als nur eine simple Porno-Schau. McKean spielt mit einer höchst komplexen narrativen Struktur, die nach dem Muster der „russischen Puppe“ die Protagonistin und damit den Rezipienten durch magische Pforten in diverse Welten führt. Dabei arbeitet McKean – narrativ intendiert –  mit unterschiedlichen Techniken und Stilen, mit vielschichtigen Symbolen, mit zahlreichen Anspielungen und Kunstzitaten, so dass der Rezipient die Möglichkeit vielschichtiger Assoziationen und Reflexionen vorfindet. In der Verbindung von Sinnlichkeit und Ratio wird er zur aktiven Einbindung von Vorwissen animiert. Er erhält ein Angebot zum Interpretieren – mithin eine Qualität, die den spezifischen Wert von „Kunst“ ausmacht.

Catherine Michel: Between praise and disillusion: The Jewish debate on Zionism and the State of Israel in and through comics

Der Vortrag verdeutlichte anhand von zahlreichen Beispielen, dass das Verhältnis von israelischen und/oder jüdischen Comicautorinnen und Comicautoren zu Israel und Zionismus sehr unterschiedlich ist, wobei allerdings jüdische Autorinnen und Autoren außerhalb Israels mehrheitlich dem Zionismus kritischer gegenüberstehen, als israelische. Eine Diskrepanz, die vielleicht auf die jeweils unterschiedlich ausgeprägte (jüdische) Identität zurückzuführen ist.


Michael Scholz
Swedish comics as means of propaganda. To strengthen the morale of the people and the politics of neutrality in Sweden during World War II

Während des zweiten Weltkrieges verfolgte Schweden eine im In- und Ausland umstrittene Neutralitätspolitik. Zum Verständnis und zur Unterstützung dieser Politik veranlasste die schwedische Regierung in den ersten Jahren Publikationen und Ausstellungen über die Freiheit und Unabhängigkeit des schwedischen Volkes durch die Jahrhunderte. In diesem Umfeld initiierte Alga, ein Tochterunternehmen des Verlagshauses Bonnier, eine umfangreiche Produktion nationaler Comics zu Themen schwedischer Geschichte – angefangen bei der Wikingerzeit, bis zum „Heldenkönig“ Gustav II Adolf oder den „Kriegerkönig“ Karl XII. Mit der Wende des Krieges 1942/43 wollte Schweden sich aber nicht eines Nationalismus verdächtig machen; deshalb verschwand diese Art Historiencomics als nicht mehr zeitgemäß. Inzwischen waren aber auch jegliche Gegenmaßnahmen gegen die Propaganda der Westalliierten eingestellt worden und es hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Präsenz amerikanischer Kultur im Lande das Misstrauen gegenüber Schweden und der schwedischen Neutralitätspolitik abbauen könnte. Daraufhin gelangten die inzwischen propagandistisch aufgerüsteten (zum Teil rassistischen) US-Comics unkontrolliert in die schwedischen Medien, wo sie Feindbilder beschrieben und für den Kriegseintritt warben, aber auch Sympathie für die US-amerikanische Demokratie aufbauten.

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