Das Ende der Comics Code Authority?

Wie unter anderem Newsarama berichtet, wird ab Februar die Serie Archie als letzte große Comicpublikation in den Vereinigten Staaten das Siegel der Comics Code Authority auf seinen Titelseiten abschaffen. Kommentatoren wie Cory Doctorow sehen darin das Ende der Authority und wohl auch des Codes.

Die CCA wurde vor fast 60 Jahren in der Folge der öffentlichen Kritik an der Kunstform in den Vereinigten Staaten als Organ einer Selbstverpflichtung der großen Comicverlage gegründet. Sie führte unter anderem jenen Diskurs weiter, der sich — nicht unähnlich den beiden deutschen Schmutz-und-Schund-Debatten — vor allem in der Diskussion um Fredric Werthams berühmte Monographie Seduction of the Innocent (1954) niedergeschlagen hatte.

Bereits 2001 hatte Marvel die Zusammenarbeit mit der CCA beendet und ein eigenes Klassifikationssystem eingeführt, das die Adressierung von einzelnen Comics an bestimmte Altersgruppen ausdrücken soll. Vor kurzem hat nun auch DC angekündigt, die CCA-Siegel durch ein eigenes System zu ersetzen. Zeichnet sich insofern eine Emanzipation und Abkehr von der Zentralisierung der CCA ab, so sind der Mechanismus einer Selbstkontrolle von Inhalt und Darstellungsweisen und das Thema einer möglichen Gefährdung der Jugend also keineswegs obsolet.

Comicforscher stehen meist als passionierte Comicleser der generellen Verdächtigung der Kunstform, die sich darin ausdrückt, zu Recht kritisch gegenüber. Der Diskurs um diese Formen der Kontrolle ist, wie ich meine, als Gegenstand der Forschung jedoch von großer Bedeutung: Denn zum einen haben Zensur und Selbstzensur die Geschichte der Form im vergangenen Jahrhundert wesentlich geprägt. Zum anderen sind die Äußerungen der Kontrolleure zugleich Dokumente einer Rezeption: Sie geben Auskunft über kontemporäre Assoziationen und Referenzen zu einzelnen Comics, Gattungen und zur Kunstform überhaupt, und häufig enthalten sie in ihrer Beschreibung des kritisierten Materials wenigstens Anstrengungen zu einer sekundären Comicforschung eigener Art. So enthalten Werthams in vieler Hinsicht mißlungenen Lektüren gleichwohl einige der frühesten massenwirksamen Bildanalysen und close readings, auf deren Traditionen seither viele neutrale und affirmative Comicbeschreibungen explizit oder implizit zurückgreifen.

Aus allen diesen Perspektiven bietet sich hier ein fruchtbares Feld für die Forschung. 2010 öffnete die Library of Congress die Archive Fredric Werthams für die Öffentlichkeit. Einen guten Überblick über die Geschichte des Comic Codes und der vorausgehenden und begleitenden Debatten bis in die 90er Jahre bietet Amy Nybergs Monographie Seal of Approval (1998).

(Stephan Packard mit Dank an Ralf Palandt)

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