Rezension: Ole Frahm: Die Sprache des Comics

Ole Frahm: Die Sprache des Comics. Hamburg: Philo Fine Arts 2010 (Fundus-Bücher 179), 400 S., zahlreiche Ill.. € 22,00

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In der verdienstvollen Fundus-Reihe, die aufgrund ihres exzellenten, sehr vielfältigen Programms mit Schriften und Studien zur Ästhetik große Anerkennung („Eine ‚Andere Bibliothek‘ der ästhetischen Theorie“, Frankfurter Rundschau) gefunden hat, ist unter dem vielversprechenden Titel Die Sprache des Comics nun auch ein Band zur Kunstform Comic erschienen. Der Verfasser, Ole Frahm, Gründungsmitglied der Hamburger Arbeitsstelle zur Erforschung der Grafischen Literatur (ArGL), hat 2001 eine Dissertation zu Art Spiegelmans Maus veröffentlicht, lange an der Kieler Muthesius Kunsthochschule mit Schwerpunkt Comics unterrichtet und ist als regelmäßiger Autor in nationalen und internationalen Publikationen etabliert.

Auf den ersten Blick scheint Frahms Buch angesichts seines generalisierenden Titels und stattlichen Umfangs (400 S.) auf der Welle der Monographien und Sammelbände zu schwimmen, die jüngst in der aus dem Dornröschenschlaf erwachenden deutschen Comicforschung mit der Absicht, Standards setzen zu wollen, auftreten. Hierzu zählen Stephan Packards Anatomie des Comics. Psychosemiotische Medienanalyse (2006), Martin Schüwers Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur (2008), Jakob F. Dittmars Comic-Analyse (2008), der von Daniel Stein, Stephan Ditschke und Katerina Kroucheva herausgegebene Band Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums (2009) oder der von Dietrich Grünewald publizierte Band Struktur und Geschichte des Comics (2010). Im September 2011 soll zudem der lange angekündigte Reader Theorie des Comics, herausgegeben von Barbara Eder, Elisabeth Klar und Ramón Reichert, endlich erscheinen. In all diesen Publikationen ist der Wille spürbar, den wissenschaftlichen Diskurs über Comics – wenngleich aus unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen Methoden – voranzutreiben und neu zu kartografieren.

Der Grundtenor von Frahms Die Sprache des Comics ist indes ein anderer. Schon seine grundsätzliche Konzeption unterläuft die Erwartung einer systematischen Abhandlung der Fragestellung. Es handelt sich nämlich eigentlich um eine Sammlung verschiedener Einzelstudien zum Comic, die ihr Autor größtenteils bereits zuvor publiziert und nun „grundlegend überarbeitet und erweitert“ (27) hat. Neu entstanden ist das Vorwort (7–28); die umfangreiche Einleitung („Weird Signs“, 31–57) konnte man hingegen in einer früheren Fassung bereits in dem von Michael Hein, Michael Hüners und Torsten Michaelsen herausgegebenen Sammelband Ästhetik des Comic (2002, 201–216) lesen. Von den zwei aus jeweils vier Kapiteln bestehenden Hauptstücken des Buches („Elemente parodistischer Ästhetik“, 61–208, und „Politiken parodistischer Ästhetik“, 211–322) ist das erste hier erstmals abgedruckt, das zweite hingegen liegt bereits veröffentlicht vor. Der Band wird beschlossen mit einer aus zwölf kurzen Abschnitten bestehenden „Reprise“ („Zu viel ist zu viel“, 325–342). Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis bilden den Anhang (345–400). Die sich hier schon abzeichnende Heterogenität der Konzeption zeigt sich dann vor allem daran, dass Frahm in den Kapiteln der beiden Hauptstücke jeweils für sich lesbare abgeschlossene Comic-Analysen von „nahezu kanonischen Beispielen“ (25) präsentiert, denen stets ein Leitmotiv als Ausgangspunkt korreliert („Figur“, „Zwischenraum“, „Linien“, „Panel“ im ersten und „Geschichte“, Mythos“, „Stereotyp“, „Enthauptungen“ im zweiten Hauptstück). Dazu später mehr. Erwartungen des Lesers, dass sich aus der Anlage des Buches und der Kapitelfolge ein langes, aufeinander aufbauendes zusammenhängendes Argument ergeben würde, erfüllt Frahm nicht. So ist der Titel auch weniger grundsätzlich zu verstehen denn als metaphorische Klammer, welche die disparaten Analysen zusammenhalten soll, die einem bunten Bündel von Nietzscheanismen, Kritischer Theorie, Poststrukturalismus und Gender Studies entspringen. Die Leitgedanken und Maximen der Lektüren werden im dreiteiligen Vorwort („Die Zukunft des Lachens“, „Kleine Forschungskritik“, „Die Sprache des Comics“) und in der Einleitung präzisiert.

Ausgangspunkt von Frahms Untersuchungen ist die von Nietzsche in Die fröhliche Wissenschaft im Zusammenhang mit dem Konzept der gaia scienza aufgeworfene Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Lachens. Nietzsches genealogische und epistemologische Fundamentalkritik an den großen wissenschaftlichen und philosophischen Entwürfen seiner Zeit wird bei Frahm in Engführung mit den etwa zeitgleich in amerikanischen Zeitungen entstandenen funnies (später als Comicstrips bezeichnet) und im Hinblick auf ein ihnen von Frahm unterstelltes inhärentes revolutionäres Potenzial verschaltet. Nietzsches „parodistisches Gelächter“ (8) wird laut Frahm in der Ästhetik des Comics formalisiert: „Comics lachen über sich selbst wie über alles Hohe. Ihre kleine Form […] kennt keine andere Zeichnung der Figuren denn als Karikatur.“ (8f.) Aus kunstgeschichtlicher Perspektive hatte bereits Werner Hofmann 1970 – im Rahmen der ersten deutschen Ausstellung von Comicstrips in der Berliner Akademie der Künste – mit Blick auf die Transformation der Lehre von den Stilhöhen in der Renaissance die spätere Genese des Comics betrachtet. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Kunstauffassung der Stilmischung forderte die Kunst der Renaissance eine Trennung der drei Stillagen. Das Lächerliche wurde aus dem hierarchischen Diskurs des Hohen sowohl inhaltlich als auch formal ausgeschlossen und die Karikatur somit als niedere, aber eigenständige Gattung neu begründet. Darin sah Hofmann eine wichtige Bedingung für die spätere Entstehung des Comics. Frahm knüpft in seiner Konzeption des Comics als ‚kleine Literatur‘ aber nicht an Hofmanns Betrachtungen über die Folgen stiltrennender Ästhetik an, sondern – wenngleich nicht explizit – an Deleuzes und Guattaris Überlegungen zu einer littérature mineure (1975). Gegen das „Schöne, Edle, Große“ (9) jeglicher Autoritäten stellten Comics eine Form dar, „die aufgrund ihres Verhältnisses von Schrift und Bild, der Verschriftlichung des Bildes in der Panelfolge und der Verbildlichung der Schrift in Sprechblasen und Onomatopöien, ihrer seriellen Figuren und grafischen Zeichen jeden Schein verjagt.“ (9) Mit anderen Worten: für Frahm liegt im Anschluss an Nietzsche und Deleuze / Guattari die ‚Essenz‘ oder besser das Typische der Kunstform Comic gerade in ihrem antimetaphysischen, anti-idealistischen, kleinen, parodistischen Charakter; entsprechend weist er alle Versuche – etwa der Wissenschaften – zurück, „das Kleine der Comics groß zu machen“, wie auch Ansätze, „das Parodistische der Comics […] nur als Genre und nicht als formale Struktur“ (10) zu verstehen. Unter Bezug auf Kracauers Jacques Offenbach-Buch betont Frahm, dass es im Comic gerade nicht um ein Gesamtkunstwerk gehe, sondern dass Bild und Schrift disparat blieben; sie „machen sich übereinander lustig“ und bilden „Parodien der Referenz“ (10). Die ästhetischen Möglichkeiten des Comics lägen gerade im „Parodieren und Travestieren, die sich in die Form eingeschrieben haben“ (11). In diesem Sinne will Frahms Buch im Gefolge Nietzsches als Plädoyer gelesen werden, „die Sprache des Comics als Zukunft des Lachens zu verstehen“, oder „als Erinnerung an Nietzsches Hoffnung […], dass die Kultur des Ressentiments nicht für alle Zeiten vorherrschen wird“ (11). Seine Kernthese lautet: „Comics etablieren im 20. Jahrhundert eine parodistische Ästhetik, die die rassistischen, sexistischen und klassenbedingten Stereotypen reproduziert und zugleich aufgrund ihrer immanent erkenntniskritischen Anlage reflektiert – durch den operationalisierten Modus der Wiederholung in der Konstellation von Bild und Schrift einerseits, die Serialisierungen von Bildern, Figuren und Geschichten andererseits“ (11f.). Frahm unterstellt dem Comic prinzipiell ein erkenntniskritisches Potenzial. Seine Analysen gelten den ästhetischen Elementen und Politiken des Comics. In diesem Zusammenhang versteht er, vom Postfeminismus Judith Butlers bzw. vom Neo-Marxisten Fredric Jameson beeinflusst, Comics als Ausdruck eines verdrängten politischen Unbewussten.

Im Anschluss an Ulrich Kraffts von der Forschung bislang wenig gewürdigten textlinguistischen Ansatz (Comics lesen, 1978) weist Frahm darauf hin, dass der Comic keine langue im Sinne der strukturalistischen Sprachkonzeption darstelle, „deren Struktur zergliedert werden könnte“ (13), sondern dass Schrift und Bild sich „auf der Ebene der parole“ (13), des Sprechakts, integrierten. Insofern bedürfe es, so weiter in kritischer Wendung gegen aktuelle semiotische Ansätze der Comicforschung, weniger einer Zeichentheorie des Comics als vielmehr einer Sprechakttheorie, die allerdings aufgrund der Quantität und Heterogenität der globalen Comicproduktion kaum „theoretische Schärfe“ (13) haben würde. Dennoch bedauert Frahm, dass die gegenwärtige Comicforschung Kraffts Ansatz nicht weitergeführt habe. Stattdessen folgten gängige semiotische Theorien, wie etwa die von Scott McCloud und Jakob F. Dittmar, aufgrund der Verkennung des Umstandes, dass im Comic zwei Zeichensysteme (Bild und Schrift) ‚fröhlich‘ miteinander konfrontiert und erst auf der Ebene der parole miteinander in Beziehung gesetzt werden, einem bloßen „Idealismus der Formbestimmung“ (15). Vor allem den in der Fachdiskussion weit verbreiteten zeichentheoretischen Ansatz McClouds nimmt Frahm immer wieder aufs Korn und erteilt ihm als „semiotische[r] Metaphysik“ (15) eine klare Absage. Der semiotische Idealismus führe zu einer Enthistorisierung und Entpolitisierung des Comics. So kritisiert Frahm auch Stephan Packard, dessen rein semiotische Theorie die „Materialität der Comics“ verleugne und ein „überhistorisches Schrift-Bild-Verhältnis im Comic“ (20) unterstelle.

Auch die Grundlagen der Arbeiten, die von den Beiträgern zum Jahrbuch Deutsche Comicforschung um Eckart Sackmann geleistet werden, sieht Frahm durchweg kritisch. Aus seiner Sicht werden hier durch „rein philologische Beschreibung“ (21) lediglich Biografien bzw. Hagiografien vorgelegt, die nur einer nationalen Perspektive folgten und zudem „einer traditionellen Ästhetik“ (21) verhaftet seien. Schließlich bleibt auch die Narratologie nicht ungescholten. Schüwers Studie Wie Comics erzählen etwa gehe im Grunde am Gegenstand vorbei, weil sie der „spezifischen Konstitution“ (22) des Comics nicht gerecht werde und der Entpolitisierung des Diskurses Vorschub leiste. Frahm plädiert im Anschluss an Alfred Clemens Baumgärtners Die Welt der Comics. Probleme einer primitiven Literaturform (1965) für eine Re-Politisierung der heutigen Debatten über Comics: „Die Probleme entstehen durch die Gesellschaft, in der die Comics erscheinen und in der sie konsumiert werden“ (22). Die Kritische Theorie der älteren Frankfurter Schule ist neben Nietzsche ein weiterer Fluchtpunkt seiner Untersuchungen: Die Geschichte der Comics sei „sicherlich nicht auf eine Geschichte von Klassenkämpfen zu reduzieren“, dennoch seien die Lektüren „von der Überzeugung getragen, dass bestimmte Auseinandersetzungen, die sich vielleicht ‚Kulturkämpfe‘ nennen ließen, ihren Eingang in die Sprache des Comics selbst gefunden haben […]. Comics beginnen erst zu sprechen, wenn diese Kämpfe um Deutungsmacht und Wahrheit mitgelesen werden“ (24). Frahm versteht daher Die Sprache des Comics als „ein Buch mit […] nahezu kanonischen Beispielen“ (25), wobei es ihm weniger um die Befestigung, sondern um exemplarische Analysen und offene Befragungen dieses Kanons geht. Die Sprache des Comics sei „nicht eindeutig“, sondern ‚zerstreut‘.

Aus diesem Grundverständnis speist sich auch der apodiktische Satz zu Beginn der auf das Vorwort folgenden „Einleitung“: „Comic-Wissenschaft existiert nicht.“ (31) Wieder ist es der semiotische Zugang McClouds, von dem Frahm sich abgrenzt. Vor allem dessen Auffassung, dem Comic hafte ein zu überwindender Mangel an, etwa dadurch, dass seine in Schrift und Bild bzw. Zeit und Raum fragmentierte heterogene Form durch das Verfahren der closure in eine mentale Einheit überführt würde, wird von Frahm als bloßer Mentalismus zurückgewiesen. Die Einleitung präsentiert zudem eine weitere, neue Ausrichtung des Buchs. In Abweichung von dem im Vorwort aus dem Geiste Nietzsches und der Kritischen Theorie formulierten Ziel heißt es nun aus poststrukturalistischer Sicht (Pate stehen Deleuze und Barthes’ Le Plaisir du Texte (1973)): „Dieses Buch ist dem Nachweis gewidmet, dass es bei der Lektüre von Comics gerade nicht darum gehen muss, eine Einheit herzustellen, sondern […] ihre heterogenen Zeichen, Schrift und Bild, in ihrer Besonderheit, in ihrer Materialität zu genießen, die sich in keiner abschließenden Einheit bündeln lässt.“ (32). Dieser „Nachweis“ erfolgt nun allerdings nicht systematisch argumentativ oder gar logisch. Im Sinne poststrukturalistischer bzw. dekonstruktivistischer Zeichenauffassungen wird zunächst McClouds Verfahren der closure als ‚metaphysische‘ Einheitsstifung verworfen. Gegen derartige Bestrebungen macht Frahm den vermeintlichen Mangel, das Fragmentarische, die Zerstreuung und Heterogenität des Comics stark. Zudem sieht er eine „erstaunliche Übereinstimmung“ in den ‚fröhlichen‘ Bemühungen, „eine Theorie der Parodie“ zu entwickeln, und den ‚ernsthaften‘ Versuchen, „Comics als Gegenstand der bürgerlichen Wissenschaft“ (33) zu begründen. Beide hätten das Problem, „ihren diffusen Gegenstand definieren zu müssen“ (33). Die Schwierigkeiten bei der Definition des Comics hat zuletzt Aaron Meskin in einem Beitrag unter dem Titel Defining Comics? in The Journal of Aesthetics and Art Criticism (65, 4/2007) diskutiert. Jüngsten Versuchen der Neubewertung und Umbenennung des Comics – etwa in der Diskussion um die sogenannte ‚Graphic Novel‘ in Forschung und Feuilleton – steht Frahm äußerst skeptisch gegenüber; er begreift sie als Manöver eines ‚bürgerlichen‘ Wissenschafts- bzw. Kulturbetriebes, sich einer bisher vernachlässigten Form zu bemächtigen und damit zugleich um ihr spezifisches parodistisches, aber auch politisches Potenzial zu bringen.

Aber worauf und wovon sind Comics eigentlich Parodien? Mit Linda Hutcheon (A Theory of Paradoxy (1986)) führt Frahm aus, dass Parodien im Sinne der Wendung para odia nicht nur als komischer ‚Gegengesang‘, sondern auch als ein ‚Bei-‘ oder ‚Nebengesang‘ zu verstehen seien. Frahms dekonstruktivistisch inspirierte These lautet, „dass Comics die Vorstellung eines Originals und damit eines vorgängigen Außerhalb des Zeichens parodieren. Sie sind eine Parodie auf die Referenzialität der Zeichen. Sie parodieren die Vorstellung, dass Zeichen und Gegenstand etwas miteinander zu tun haben sollen.“ (36) Die Parodie ist also gerade nicht inhaltlich oder als Genre begründet, sondern strukturell bedingt. Sie hat für Frahm durchaus einen aufklärerischen Charakter, weswegen er sie auch als „erkenntniskritische Parodie“ (36) bezeichnet. Sie offenbare den kontigenten Charakter der Relation zwischen Zeichen und Wirklichkeit. So zeige die „Konstellation unterschiedlicher Zeichen im Comic nicht nur, dass sich Schriftzeichen und Bildzeichen aufeinander beziehen“, sondern auch, dass die konstellierten Zeichen in „ihrer heterogenen Materialität […] immer schon selbstreferenziell“ (37) seien. Der Comic hat mit anderen Worten also schon aufgrund der typischen Konstellation seiner beiden heterogenen Zeichensysteme einen inhärent selbstreferenziellen Charakter, der den Anspruch auf „eine Wahrheit außerhalb der Zeichen“ (37) stets unterlaufe. Wiederum im Anschluss an Hutcheon begreift Frahm Parodie zudem als eine „Wiederholung mit kritischer Distanz, die eher Differenz als Ähnlichkeit markiert“ (37). Sie ist also ein ästhetisch antimimetisches Verfahren. Frahm zeigt an einigen Beispielen (Old Doc Yak, The Aliens, Salut Deleuze!), dass diese Wiederholung geradezu als Strukturprinzip des modernen Comic gelten kann. Neben die Wiederholung der Figur von Panel zu Panel treten die Serialität des Comics und die unabgeschlossene Wiederholung der Lektüre. Die strukturelle Parodie der Zeichen ist für Frahm Kennzeichen ihrer spezifischen Modernität. Eine Comic-Wissenschaft in dieser Perspektive müsste eine „komische, unheimliche und […] parteiische Wissenschaft“ sein, „eine weird science […], deren Lektüre sich mit weird signs beschäftigen, mit komischen, unheimlichen Zeichen“ (57). Angesichts der systematisierenden ‚ernsthaften‘ Versuche ‚bürgerlicher‘ Wissenschaften gerate aber „das Merkwürdige der Comics“ eher in Vergessenheit. Die „kopernikanische Wende der Comic-Forschung“ (112) stehe daher nach wie vor aus.

Einen Beitrag zu dieser ‚kopernikanischen Wende‘ sollen die verschiedenen Comic-Analysen liefern, die Gegenstand der beiden Hauptteile des Buches sind. Zunächst geht es in vier Abschnitten um „Elemente parodistischer Ästhetik“ („Figur“, „Zwischenraum“, „Linien“, „Panel“), dann um „Politiken parodistischer Ästhetik“ („Geschichte“, „Mythos“, „Stereotyp“, „Enthauptungen“). Die beiden Haupttitel verdecken, dass die einzelnen Kapitel nicht aufeinander aufbauen oder abgestimmt sind, sondern jeweils abgeschlossene Fallstudien sind. Stets korreliert dem comicspezifischen Begriff vorab eine philosophische, soziologische oder politische These, unter der der Zugriff erfolgt, sodass sich des Öfteren der Eindruck einstellt, es würden zu diversen Philosophemen und Soziologemen exemplarische Entsprechungen in Comics gesucht. Frahm bietet ein Potpourri verschiedener, teilweise konträrer Theorieversatzstücken: neben Nietzsche finden sich Theoretiker des Neomarxismus, des Poststrukturalismus und des Postfeminismus.

Dem Abschnitt „Figur“ liegen beispielsweise als theoretisches Korrelat die Dekonstruktion bürgerlich-patriarchalischer Subjekt- bzw. Identitätstheorien und der Konflikt der Subjektivierung aus postfeministischer Sicht (Judith Butler) zugrunde. Frahm dekonstruiert zum einen die bekannte These von der ‚stehenden Figur‘ im Comic zugunsten ihrer Zerstreuung, zum anderen die Filiationen männlicher Figuren. Ausgehend von Episoden aus E. O. Plauens „Vater-und-Sohn“-Geschichten, verfolgt er das selbstreferenzielle Spiel der Figuren an verschiedenen Modi der Verdoppelung und Wiederholung: „In der parodistischen Wiederholung der Figuren, in der Duplikation der Bilder machen die Comics die Wirklichkeit lächerlich und fragen danach, wie sich Subjekte wirklich konstituieren – als Masken.“ (103) In Plauens erfolgreichem Strip sieht Frahm den „Konflikt zwischen der Sehnsucht nach einem Vater, einer identischen Identität und der vaterlosen Spaltung der Identität, die im Doppelgänger der Figur wiederkehrt.“ (108)

Das „Panel“ – um neben dem ersten auch noch den vierten Abschnitt von „Elemente parodistischer Ästhetik“ in den Blick zu nehmen – ist wohl neben der ‚Bubble‘, die Frahm im Übrigen genauso wenig wie das wichtige Element ‚Farbe‘ eigens thematisiert, eines der wesentlichen Bestandteile des Comics. Mit einem Panel, ob durch einen Rahmen gleich welcher Art markiert oder nicht, startet jeder Comic seine Narration. Aber auch in diesem letzten Abschnitt erfährt der Leser nicht sehr viel über spezifische Funktionen des Panels. Stattdessen liegen dem Kapitel Lektüren der Großstadt zugrunde – New York vom World Trade Center aus gesehen bzw. das durch Haussmann veränderte Paris des 19. Jahrhunderts, wie sie der französische Soziologe Michel de Certeau in seinem Buch Kunst des Handelns (1980, dt. 1988) beschrieben hat. De Certeaus Reflexionen über die Stadt – vom Dach des Skyscrapers bzw. aus der panoptischen Perspektive auf die Stadt Paris – verschaltet Frahm mit dem eigenen Blick auf klassische Strips wie Yellow Kid, Little Nemo und Krazy Kat. Comics werden mit der Erfahrung der Urbanität korreliert. Mit de Certeau untersucht Frahm an ihnen den Konflikt zwischen einem „panoptischen und […] flanierenden Blick“ (186). Hier werde ein epistemologischer Bruch markiert, „der eine neue mediale Form mit eigenen Regeln der Wahrnehmung ermöglicht“ (187). Frahm beschreibt hier gleichsam eine Phänomenologie des Comics als urbanes Medium.

Auch die Kapitel des zweiten Hauptteils „Politiken parodistischer Ästhetik“ „Geschichte“, „Mythos“, „Stereotyp“ und „Enthauptungen“ sind ähnlich wie die des ersten organisiert. Der Abschnitt „Geschichte“ setzt sich unter Bezug auf Walter Benjamin und Judith Butler und in Abgrenzung von Paul Ricœur mit der messianischen Hoffnung politischer Utopie auseinander. Frahm begibt sich hier auf das dünne Eis geschichtsphilosophischer Spekulation: „Die Geschichte ist nicht nur die Geschichte von Klassenkämpfen, sondern auch von gewaltsamen Ausschlüssen ganz unterschiedlicher Art.“ (214). In den Fokus seiner Betrachtungen, inwiefern sich Comics „als Geschichtsschreibungen der Zukunft“ (216) verstehen lassen, geraten Science-Fiction-Comics des EC-Konzerns, von Hansrudi Wäscher (Nick – der Weltraumfahrer) und von Hannes Hegen (Mosaik). Der Abschnitt „Mythos“, ursprünglich in Stefanie Diekmann / Matthias Schneider (Hg.) Szenarien des Comic – Helden und Historien im Medium der Schriftbildlichkeit (2005, 35–49) erschienen, dekonstruiert anhand von Siegels und Shusters Superman die Mythen der Ideologiekritik in Auseinandersetzung mit Umberto Ecos Interpretation dieses berühmtesten Superhelden. Mit Hergés Tintin steht in „Stereotyp“ ein weiterer Comic-Klassiker im Fokus. Hier verfolgt Frahm die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Hergé vor allem im Vergleich verschiedener Fassungen von L’étoile mystérieuse (Der geheimnisvolle Stern). Frahm behauptet, Hergé habe die Figur Tims als „Nullpunkt des Stereotyps“ (291) angelegt, der alle möglichen Projektionen erlaube und sie dadurch zugleich wieder entwerte. In diesem Sinne würden bei Hergé antisemitische Stereotype selbst als wahnhafte, leere Vorstellung reflektiert. Im letzten Abschnitt „Enthauptung“ dominiert eine postfeministische Sicht auf den ‚bürgerlich-männlichen‘ Zugang zum Comic. Anhand von Julie Doucets Serie Dirty Plotte und diversen underground-Comics (Tijuana Bibles) geht Frahm antibürgerlichen bzw. anti-‚männlichen‘ Alternativen der Comic-Geschichte nach: „Die Abbildung der Comics auf die Begriffe bürgerlicher Ästhetik bleibt eine männliche Fantasie, die der unüberwindlichen Bilderflut Herr zu werden versucht.“ (299) Die parodistischen Maskierungen in den Independent-Comics verweisen auf die Möglichkeit einer anderen Geschichte: der „Geschichte des Proletariats, der Frauen, der Tiere“ (321), also der im ‚bürgerlich-männlichen‘ Diskurs Unterdrückten oder aus ihm Ausgeschlossenen.

In seiner abschließenden „Reprise“ betont Frahm noch einmal den Eigenwert des „Nebenbeimediums“ Comic, dessen kleine Form eben kein Mangel, kein Weniger, sondern ein Mehr sei: „Die Erfahrung, dass das Kleine zählt, bedeutet auch die Politisierung der Zeichen.“ (342)

Was bringt dem Leser der verlockende Titel Die Sprache des Comics? Ob die teilweise sehr anregenden, teilweise – aufgrund der vielen, äußerst heterogenen theoretischen Voraussetzungen – aber auch hermetischen Analysen Frahms bereits die Grundlage einer von ihm selbst postulierten „kopernikanischen Wende“ der Comic-Forschung markieren werden, sei dahin gestellt. Wie diese sich auf die von Frahm ja immer wieder selbst in Frage gestellte ‚bürgerliche‘ Wissenschaft auswirken soll, bleibt unklar. Seine Lektüren sind der postmodernen Vorliebe am Spiel der Zeichen geschuldet. Ausgehend von der These, Comics seien strukturell parodistisch konzipiert, legen seine Untersuchungen ferner den Schwerpunkt auf Fragen des Begehrens, der Ökonomie, der Machtverhältnisse, des Ausschlusses, der Unterdrückung – und der Kritik daran. Fragen nach formalen Funktionen der Elemente oder gar ihres Sinns werden hingegen dispensiert. Die ausgewählte Mikroperspektive auf die ‚kleine Form‘ Comic hat zwar ihre genuine mediale Berechtigung, allerdings gerät stellenweise der Gegenstand des Buches – der Comic – angesichts der Polyphonie der verschiedenen zugrunde liegenden Theoriekonzepte doch immer wieder aus dem Blick. Richard Rorty forderte einst, dass es die Werke sein müssten, die dem Kritiker die Kriterien ihrer Bewertung verraten. Bei Frahm ist es leider allzu oft umgekehrt: Zwar bringt er die Comics zum Sprechen, allerdings indem er ihnen die Kriterien ihrer Bewertung – nicht immer maßgerecht – auf den Leib schneidert. Die von ihm selbst als ‚kanonisch‘ bezeichneten – auch weil es in seinen Aufsätzen oft dieselben sind – Beispiele aus der Comicgeschichte bekommen so meist den Status eines bestimmte Philosopheme lediglich illustrierenden Materials. Der eigentliche Mangel des Buches ist jedoch vor allem sein Mangel an Klarheit, was nicht zuletzt am von diversen ‚Meisterdenkern‘ inspirierten Jargon postmoderner Philosophie liegt. Es ist angesichts der vielfach geübten anti-idealistischen anti-metaphysischen Kritik an der Semiotik zudem überraschend, dass Frahm stets von der Sprache des Comics spricht, dabei weisen seine eigenen, subjektiven Lesarten ja gerade auf, dass der Comic eben durchaus verschiedene ‚zerstreute‘ Sprachen sprechen kann. Insofern wäre Die Sprachen des Comics der ehrlichere Titel gewesen. Um diese Sprachen zu verstehen, bedarf es freilich nicht nur eines präzisen Blicks, sorgfältiger Lektüren und dezidierter Theorien, sondern vor allem gilt es, den Comics zuzuhören, auf welche Weise sie etwas zu erzählen haben. Aus produktionstechnischer Sicht ist im Übrigen sehr zu bedauern, dass aufgrund des kleinen Formats der Fundus-Reihe die Abbildungen im Buch für eine angemessene Lektüre und Betrachtung manchmal zu klein geraten sind.

Jan Roidner, Hamburg, 2011

 

Notiz der Redaktion: Durch einen technischen Fehler ging eine unfertige Fassung dieses Posts — ohne Bild, pdf und mit einigen Schreibfehlern — bereits am Donnerstagabend online. Wir bitten die Verwirrung zu entschuldigen.


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