Tagungsbericht: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics

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Termin: 29. – 31. März 2010

Ort: Evangelische Akademie Bad Boll

Ausstellung Bad BollVeranstalter: Archiv der Jugendkulturen e.V. , Ralf Palandt (Mitglied ComFor und VisKomm/DGPuK), Evangelische Akademie Bad Boll

In Kooperation mit und mit freundlicher Unterstützung von: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Bündnis für Demokratie und Toleranz, Konrad-Adenauer-Stiftung Baden-Württemberg, Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg und Rosa-Luxemburg-Stiftung

Rechtsextreme nutzen bei ihrem „Kampf um die Köpfe“ Comics, andererseits sollen die populären Bildergeschichten in der politischen Jugendbildung und im Schulunterricht der rechtsextremen Meinungsbildung aufklärerisch entgegenwirken. Zum ersten Mal griff eine Tagung das Thema interdisziplinär in seiner Gesamtheit auf.

Im August 2009 verteilte die NPD zur Bundestagswahl an mehreren Orten in Deutschland kostenlos den Comic Enten gegen Hühner. Während es zahlreiche Studien zum RechtsRock gibt, wurden und werden Comics bislang in der Betrachtung rechtsextremer Medien ignoriert.  Man muss sich mit altem und neuem Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in allen (Kunst-)Formen auseinandersetzen. Nur so lernt man, wie man diesen gesellschaftspolitischen Problemen und Herausforderungen konstruktiv und nachhaltig entgegen treten kann. Comics können diese Auseinandersetzung unterstützen.

Seit einigen Jahren werden Comics in der politischen Jugendbildung sowie als Lehrmittel im Unterricht eingesetzt, um vor den Gefahren des Rechtsextremismus zu warnen und ein Bewusstsein für Geschichte und Demokratie zu fördern. Doch beschränkt sich ihr Einsatz auf wenige Fälle. Und für einige Comics gegen Rechts gilt: Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Generell herrscht ein großer Mangel an Wissen über die gesellschaftspolitische Bedeutung, über die Wirkungs- und Einsatzmöglichkeiten von Comics.

Werden hier Gefahren für die Gesellschaft und Mittel zu ihrem Schutz sträflich übersehen? Welches bildungspolitische Potential steckt in Comics? Um einen ersten konstruktiven Schritt zur Beantwortung dieser Fragen zu unternehmen, ergriffen das Archiv der Jugendkulturen und Ralf Palandt die Initiative und richteten zusammen mit der Evangelischen Akademie Bad Boll eine internationale Tagung aus, in Kooperation mit und mit freundlicher Unterstützung von: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Bündnis für Demokratie und Toleranz, Konrad-Adenauer-Stiftung Baden-Württemberg, Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg und Rosa-Luxemburg-Stiftung.

DIE TAGUNG

Die Tagung wurden mit kurzen Ansprachen und Dankesworten an die Kooperationspartner und Unterstützer von Michael Scheermann (Evangelische Akademie Bad Boll), Klaus Farin (Archiv der Jugendkulturen),  Ralf Palandt (Mitglied Gesellschaft für Comicforschung sowie Fachgruppe Visuelle Kommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationsforschung) und Annette Goerlich (Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg) eröffnet.

Mehr als 20 namhafte ExpertInnen deckten mit ihren Vorträgen und Workshops die Bereiche Geschichte, Theorie, Forschung und Praxis ab. Im interdisziplinären Rahmen wurden Inhalte, Funktionen, Mechanismen und Wirkungen der Comics von Rechts, der Comics gegen Rechts und von Geschichtscomics mit NS- und Holocaust-Thematik vorgestellt und diskutiert sowie modellhaft Möglichkeiten für die Bearbeitung des Themas und den zielgruppenadäquaten Einsatz entsprechender Comics in Schule und politischer Bildung erarbeitet. Parallel präsentierte die Wanderausstellung Holocaust im Comic zahlreiche Bildergeschichten von kritischen Texten begleitet.

COMICS VON RECHTS

Im Keynote-Vortrag des ersten Teils der Tagung stellte Ralf Palandt rechtsradikale und antisemitische Comics in RechtsRock-CD-Booklets, Fanzines, Schüler- und Parteizeitungen der letzten 30 Jahre vor. Mittels der Comics werden Feindbilder aufgebaut und Hass u.a. gegen Linke, Punks, StaatsvertreterInnen (Politik, Polizei, etc.) und Juden/Jüdinnen geschürt, der zur Gewalt aufruft. Sein Fazit: „Wenn RechtsRock die Einstiegsdroge in rechtsextremes Gedankengut ist, dann erfährt dieses Gedankengut durch rechte Comics eine erhebliche Förderung.“ Die meisten TeilnehmerInnen waren über die Menge und die Aggressivität der Comics überrascht.

Einen Blick ins europäische Ausland bot der österreichische Journalist und Korrespondent Dr. Gregor Mayer mit seiner Besprechung  rechtsextremer Comics in Ungarn.  Vor wenigen Jahren setzte die rechtsextreme Partei Jobbik (Die Besseren) einen Comic des Witzblattes Móricka in Ihrer Wahlwerbung ein, der die ungarischen Roma als faule und sexuell überaktive Schmarotzer und als Heuschrecken gezeichnet verunglimpfte.

Zwei Vorträge wiesen auf eine Tradition rassistischer und antisemitischer Comics hin. Der italienische Comic-Experte Giulio C. Cuccolini besprach italienische Comics, die ab 1938 der antisemitischen Politik des Faschismus folgten. Dr. Joachim Sistig klärte über die redaktionelle und ideologische Entwicklung der Comics zwischen Nazi-Ideologie und Widerstand im besetzten Frankreich 1940-1944 auf.

Auch bekannte und beliebte Comic-Bestseller müssen kritisch hinterfragt werden. Dr. Regina Schleicher ging auf rassistische und antisemitische Stereotypen in Asterix- und Lucky Luke-Comics ein, die sie mit den historischen Quellen und dem zeitgeschichtlichen Kontext der Comics beleuchtete. Dem Vortrag folgte eine angeregte Diskussion. Einige TeilnehmerInnen sahen die dargestellten Figuren bislang als harmlos-belustigende Karikaturen oder als typisch-jüdischen Selbsthumor des Comic-Autors René Goscinny an.

COMICS GEGEN RECHTS & COMICS IN SCHULUNTERRICHT UND POLITISCHER BILDUNG

In den zweiten Teil der Tagung führte Martin Frenzel mit seinem Keynote-Vortrag über zentrale Aspekte des Genres Holocaust im Comic ein. Er rief mit einigen Fakten die Bedeutung des Holocaust bzw. der Shoah in Erinnerung, um dann die Umsetzung des Themas in internationalen Comics vorzustellen und zu vergleichen. Die Beispiele deckten alle Altersgruppen als jeweiliges Zielpublikum der Comics ab. Es wurde deutlich, dass es nicht die eine Form der Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema Holocaust und NS-Verbrechen im Comic gibt, sondern viele verschiedene Facetten.

Im weiteren Ablauf der Tagung konnten die TeilnehmerInnen aus einem größeren Angebot an Workshops und Vorträgen heraus die individuell jeweils für sie interessanten und wichtigen Programme auswählen und besuchen.

Interdisziplinäre Fragen und Antworten

Folgende Vorträge diskutierten aus verschiedenen Perspektiven die  Eignung von Comics als Lehrmittel und/oder die Umsetzung  der Themen Nationalsozialismus, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie gingen auf das Für und Wider, auf Stärken und Schwächen des Mediums und seine Besonderheiten ein, die es stets zu beachten gilt.

Marco Behringer erläuterte didaktische Kriterien zur Prüfung der Tauglichkeit von Comics für den Schuleinsatz und führte anhand der Beispiele Das Komplott (von Will Eisner) und Judenhass (von Dave Sim) ihre Anwendung vor.

Im Zentrum von Hendrik Buhls Studien stand die Holocaust-Genre-spezifische, populärkulturelle Verbindung von Unterhaltung und Information im Comic. Kulturwissenschaftlich-theoretische Konzepte ermöglichen es, derlei prekäre Verbindungen kritisch zu reflektieren und die Medialität des Dargestellten auf ihre Potenziale hin zu untersuchen.

Dr. Chiara Cerri  präsentierte Ideen und Materialentwürfe für die Verwendung von Comics gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht. Dabei nutze sie  u.a. die Comics Braun (von Emmanuel Guibert), Adolf (von Walter Moers) und Andi (von Dr. Thomas Grumke und Peter Schaaff).

Anhand des Tim-und-Struppi-Abenteuers Der geheimnisvolle Stern (von Hergé) demonstrierte Dr. Ole Frahm seine Ansicht, wie Comics antisemitische Klischees aufrufen und so reinszenieren können, dass diese wieder zerstreut werden. Auch die Figur Micky Maus wurde und wird für Projektionen benutzt.

Fabian Kettner hinterfragte die Narrativität von Holocaust-Comics. Er kam zum Ergebnis, dass die Art und Weise der Umsetzungen u.a. in den Werken Die Suche (von Ruud van der Rol, Lies Schippers und Eric Heuvel) und Auschwitz (von Pascal Croci) dem Gegenstand nicht sachlich angemessen seien.

Konkrete bildungspolitische Arbeit mit Comics in der Praxis

Julia Franz und Patrick Siegele vom Berliner Anne Frank Zentrum besprachen den Comic Die Suche, der in Zusammenarbeit mit dem Anne Frank Haus Amsterdam und dem Jüdischen Historischen Museum Amsterdam entstanden war. Mit den TagungsteilnehmerInnen spielten sie Aufgaben aus dem neuen Material-Buch für LehrerInnen durch, dass dem Comic begleitend zur Seite steht.

Die Suche ist jedoch primär in der niederländischen Erinnerungskultur einzuordnen. Christine Gundermann ging daher in ihrem Vortrag kritisch auf die Konsequenzen der Übertragung dieses speziellen Geschichtsbildes in die deutsche Geschichtskultur und den Geschichtsunterricht ein.

Die Traditionen von Judenbildern sowie die sich über die Zeit veränderten Rezeptionsbedingungen waren die Grundlage, auf der Isabel Enzenbach in ihrem Workshop aufbaute. Die visuelle Kompetenz für den Umgang mit antisemitischen Stereotypen gründet sich im Erkennen des Gegensatzes zwischen dem, was Bilder zeigen, und dem, was wir beim Betrachten hineininterpretieren.

Die künstlerische Seite der Comic-Produktion

Ralf Palandt stellte mehrere Comics  für Kinder und Jugendliche vor, die zumeist gezielt für den Einsatz gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus herausgegeben worden sind und begrüßte auf der Bühne stellvertretend drei ihrer Zeichner: Klaus Wilinski (Leo mischt mit), Peter Schaaff (Andi) und Torsten Bähler (Jetzt reichts in Sachsnitz). Er ließ sie in einer lockeren Gesprächsrunde über ihre Motivationen, Herangehensweisen und Erfahrungen erzählen. Die Zeichner berichteten, wie es jeweils zum Comic gekommen und wie die Vorbereitungen und Umsetzungen verlaufen waren und welche Reaktionen es gegeben hatte. So kam es u.a. zu Diskussionen über die Glaubwürdigkeit der Comics angesichts naiver Erzählungen, einseitiger Darstellungen von dümmlichen Rechtsradikalen und der Rolle von Behörden als Herausgeber. Im Anschluss beantworteten die Zeichner Fragen der TeilnehmerInnen, die sehr interessiert die Möglichkeit nutzen, Informationen aus erster Hand über den Schaffensprozess eines Comics-gegen-Rechts bekommen zu können.

ABENDPROGRAMM

Als Abendprogramm präsentierte der israelische Comic-Zeichner Gabriel S. Moses seinen aktuellen Comic-Band Spunk.

DER ERFOLG

Mit über 50 TeilnehmerInnen, darunter LehrerInnen, StudentInnen, WissenschafterInnen und MitarbeiterInnen aus dem Bereich politischer Bildung und pädadagogischen Projekten (u.a.  Stiftungen, Museen, Dokumentationszentren) war die Tagung außerordentlich gut besucht. Viele Vorträge mündeten in anregende Diskussionen und der rege Austausch hält jetzt nach der Tagung noch immer an.

Um den Impuls eines solchen Leuchtturm-Projektes weiter zu verstärken, wird noch Ende 2010 im Verlag des Archiv der Jugendkulturen (www.jugendkulturen.de) ein Tagungsband folgen, in dem außer allen ReferentInnen noch zusätzliche AutorInnen das Thema Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics in größtmöglicher Breite bearbeiten werden. Nur so kann ein fruchtbarer Austausch über die Grenzen einzelner Perspektiven und Ansätze hinaus stattfinden. Dieser Austausch an Erfahrungen und Wissen ist essentiell für die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und für eine Weiterentwicklung von Comics als Instrumente der politischen Bildungsarbeit.

(Ralf Palandt)

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