Japanisches Kulturinstitut Köln, 30. September – 2. Oktober 2010
Manga, an dieser Stelle der Einfachheit halber als „japanische Comics“ bezeichnet, sind in den letzten zwanzig Jahren verstärkt zum Objekt internationaler wissenschaftlicher Forschung geworden. Die Tagung „Intercultural Crossovers, Transcultural Flows: Manga/ Comics“ widmete sich dem Thema vor allem unter dem Aspekt der Inter- und Transkulturalität: Wie beeinflussen sich Manga und Comics anderer Länder gegenseitig? Welche inhaltlichen Überschneidungen gibt es? Welche kulturellen Besonderheiten sind zu beachten? Dabei zeigte sich zum einen, dass es hier noch viel Diskussionsbedarf gibt, zum anderen, dass nicht nur die japanologische Forschung wertvolle Beiträge zu diesem Thema liefern kann.
Organisiert wurde die Tagung von Jaqueline Berndt (Ky?to Seika University), Franziska Ehmcke (Universität Köln), Bettina Kümmerling-Meibauer (Universität Tübingen) und Steffi Richter (Universität Leipzig) in Kooperation mit der Japan Foundation (Japanisches Kulturinstitut), dem Zentrum für Inter- und Transkulturelle Studien (Universität Köln) und dem International Manga Research Center (Ky?to Seika University). Sie begann gleich mit einem Thema, das auch viele der Vortragende beschäftigen würde: dem Copyright. Ursprünglich sollte es ein von der deutschen Manga-Zeichnerin Christina Plaka gestaltetes Plakat für die Konferenz geben. Darauf waren Superman, Sailor Moon und Tim (aus „Tim und Struppi“) als Ikonen ihrer jeweiligen Comic-Kultur abgebildet, allerdings hatten sie die Kleidung getauscht: Superman trug Sailor Moons Kampfanzug, Tim das Kostüm von Superman und Sailor Moon Tims Pullover und Hose. Jedoch konnte das Plakat nicht ausgehängt werden, da Sailor Moons geistige Mutter Naoko Takeuchi ihre Zustimmung verweigerte. Für sie stellte das Plakat eine Urheberrechtsverletzung dar, da Sailor Moon ihr geistiges Eigentum ist. Man mag dazu stehen, wie man will, in jedem Fall zeigt diese „Plakat-Affäre“ wieder einmal die Brisanz der Diskussion um Copyright und geistiges Eigentum.
Der erste Tag der Konferenz widmete sich zunächst den Präsentationen von DoktorandInnen. Hier zeigte sich bereits die Mannigfaltigkeit der Ansätze, mit denen die Themen Interkulturalität und Transkulturalität angegangen werden können. Felix Giesa und Jens Meinrenken zeigten am Beispiel des Manga „20th century boys“ von Naoki Urasawa, wie der Autor Symboliken und Codes anderer Kulturen (speziell der US-amerikanischen) in sein Werk einarbeitet und welche intertextuellen Kompetenzen nötig sind, um diese Verweise zu entschlüsseln.
In der gleichen Sektion diskutierte Nele Noppe die Frage, wie Fans in den USA und Europa populäre Werke wie „Harry Potter“ in einen eigenen visuellen Stil umsetzen, der zwar vom Manga beeinflusst ist, aber letztlich ein eigenes hybrides Produkt darstellt. Wie sich an den folgenden beiden Konferenztagen zeigte, verdient es der Themenkreis „Fans“, in der Manga- und Comicforschung mehr beachtet zu werden, da sich hier oft interessante Aneignungen fremder Kulturen ergeben.
Das Highlight des Tages war aber sicherlich die Keynote von Frederik L. Schodt, der bereits 1986 mit „Manga! Manga! The World of Japanese Comics“ das erste Standardwerk zum Thema vorlegte, und diesem bis heute zahlreiche weitere folgen ließ. Schodt zeigte in seinem Vortrag die Entwicklung von Manga vor allem in den USA, wo man zunächst versuchte, distinktiv japanische Elemente der japanischen Populärkultur zu entfernen, indem man zum Beispiel Manga spiegelte, damit sie in der üblichen Richtung von links nach rechts gelesen werden konnten. In seinem Vortrag wurden auch die Herausforderungen deutlich, vor denen die Verlagsindustrien nicht nur in Japan und den USA stehen: die zunehmende Verbreitung digitaler Technologien macht es auf der einen Seite möglich, Manga und Comics auf dem iPad und anderen mobilen Endgeräten zu konsumieren. Auf der anderen Seite sieht Schodt in „scanlations“, illegalen Übersetzungen von eingescannten Mangas, die kostenlos im Internet erhältlich sind, eine Gefahr für etablierte Verlage, die dadurch weniger Taschenbücher verkaufen und sich somit im Endeffekt auf die großen Megaseller wie „Naruto“ oder „One Piece“ konzentrieren müssen, die trotz „scanlations“ noch genügend Exemplare absetzen können.
Tag zwei widmete sich zunächst der historischen Entwicklung von Manga. So referierte Pascal Lefèvre, wie sich der streichespielende Junge weltweit in Cartoons und Funnies etablieren konnte – von „Max und Moritz“, dem japanischen „Fuku-chan“ bis hin zu „Le Petit Spirou“. Dieser Beitrag warf auch die Frage auf, ob nicht bestimmte Themen unabhängig von der jeweiligen Kultur aufgegriffen und im Manga/ Comic verarbeitet werden.
An diesem Tag wurden auch methodologische Aspekte der Untersuchung von Manga und Comics thematisiert. Elisabeth Klar untersuchte in ihrem Vortrag der Darstellung des Körpers im erotischen Manga („hentai“) bzw. Comic. Dabei konnte sie die spezifischen Eigenschaften dieser Körper zeigen, zum Beispiel dass sie unendlich transformierbar sind und ihre sexuelle Funktionalität unabhängig davon ist, ob sie als Körper vollständig sind. In der anschließenden Diskussion wurde auf die Thesen des anwesenden japanischen Manga-Forschers G? It? verwiesen. In seinem Buch „Tezuka is dead“ (derzeit nur auf Japanisch erhältlich) unterscheidet er zwischen „kyarakt?“ und „kyara“ (beides abgeleitet vom Englischen „character“). Während „kyara“ unsterblich und beliebig reproduzierbar sind, können „kyarakt?“ in der Narration endgültig sterben. Dies zeigt, wie wichtig die Betrachtung des Körpers der Figuren bei der Analyse von Manga/ Comics ist.
Der zweite Tag schloss mit der Sektion „Manga in Europa“, das von zwei verschiedenen Seiten betrachtet wurde: Marco Pellitteri stellte erste Ergebnisse einer Studie mit europäischen „hardcore fans“ von Manga und Anime vor. Diese weisen darauf hin, dass es zwar viele Gemeinsamkeiten zwischen den Fankulturen in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz gibt, gleichzeitig aber auch Unterschiede: so scheinen zum Beispiel deutsche Fans tendenziell älter zu sein, außerdem wären weibliche Fans hier noch stärker vertreten als in den anderen drei Ländern.
Paul Malone analysierte schließlich „deutsche Manga“ – also von deutschen KünstlerInnen für den deutschen Markt geschaffene Manga. Er stellte unterschiedliche Künstlerinnen (und einen Künstler) vor und schlüsselte die Inhalte ihrer Werke auf. Hier wurde eine große Vielfalt offenbar – nicht nur an Stilen und Qualität. In der anschließenden Paneldiskussion mit den deutschen Manga-Zeichnerinnen Christina Plaka, Anne Delseit und Martina Peters konnten die TeilnehmerInnen dann aus erster Hand erfahren, ob man in Deutschland vom Mangazeichnen leben kann – nämlich nur schlecht. Auch um die Manga-ZeichnerInnen-Community in Deutschland scheint es eher schlecht bestellt zu sein, da die meisten ZeichnerInnen Einzelkämpfer sind. Als positiv wurde aber bewertet, dass es unter ihnen einen Diskurs über die Zukunft des „deutschen Manga“ gibt.
Am dritten Tag wurde schließlich eine einzige Serie behandelt – das transmediale Phänomen „Naruto“ von Masashi Kishimoto. Bereits der erste Beitrag von Rados?aw Bola?ek zeigte, dass ein einziges Werk ganze Generationen von Fans bestimmen kann. Er teilte die Manga-Fangemeinde Polens in die Generationen ein. Die erste, „Generation Sailor Moon“, interessiere sich für viele verschiedene Genres und Serien und sei froh über alles, was übersetzt veröffentlicht wird. Die zweite Generation, „Dragon Ball“, habe dann schon ein eingeschränkteres Interessenfeld und sei der Meinung, man müsse die einheimischen Verlage unterstützen. Die dritte Generation „Naruto“ schließlich interessiere sich nur für „Naruto“ und wolle davon alles sofort und am besten gratis – Stichwort „scanlations“. Eine wenn auch zugespitzte Einteilung, die man vermutlich auch für andere Länder vornehmen könnte.
Franziska Ehmcke verfolgte in ihrem Vortrag das Naruto (Wasserstrudel)-Motiv durch die japanische Kultur. Sie konnte zeigen, dass lange vor der ersten Veröffentlichung des Manga, dieses Motiv schon in Holzschnitten, Malereien, in der Dichtung und im japanischen Theater verwendet wurde. Dies ist auch wieder als Hinweis darauf zu werten, dass man Manga wie auch Comics nicht ohne ihren kulturellen Hintergrund analysieren kann.
Dieser Bericht kann leider nur einen kleinen Ausschnitt der umfangreichen Diskussionen der Tagung wiedergeben. Am Ende dreier spannender Tage bleiben naturgemäß viele Fragen offen. Immer wieder thematisiert wurde zum Beispiel die Frage, wie man „Manga“ und „Comics“ definieren kann und wie man sie zum Beispiel von „Bilderbüchern“ oder „Bildergeschichten“ abgrenzt. Unbeantwortet bleiben musste größtenteils auch die Frage, welchen Einfluss die Industrie, also Verlage und Redakteure auf Inhalte und kulturelle Grenzüberschreitungen haben. Wird aktiv versucht, Einflüsse anderer Kulturen zu inkorporieren, um Manga und Comics auch in andere Länder verkaufen zu können? Oder geschieht dies eher zufällig?
Die Organisation der Konferenz ist im Großen und Ganzen als gelungen zu bewerten. Zwar sagte der kinoartig anmutende Veranstaltungsraum nicht jedem Teilnehmer zu, bot aber genug Platz für die knapp 100 Teilnehmer der Tagung. Problematischer war die zeitliche Einteilung der Konferenz. Aufgrund langer Vorträge und langer Diskussionen musste praktisch an allen drei Tagen um eine Stunde überzogen werden. Dies zeigt natürlich den hohen Bedarf an Diskussionen, eine strengere Handhabung der Redezeiten wäre aber wünschenswert gewesen – zumal sich ja an jeden Tag noch ein Abendessen anschloss, das auch gewürdigt werden wollte. Bemängelt werden muss auch der Transfer vom Veranstaltungsort zum Gasthaus am Freitagabend, wo es mindestens zwei ortskundige Führer gebraucht hätte, um die große Zahl der Leute zu dirigieren.
Alles in allem war es aber eine sehr interessante Konferenz, der hoffentlich (laut Aussage der Organisatorinnen bestimmt) weitere folgen werden. Die Manga- und Comicforschung dankt ihnen schon heute dafür und freut sich auf viele weitere spannende Beiträge zum interkulturellen Fluss von Manga und Comics.
Verena Maser (Trier)
Hinweise:
Ein Tagungsband soll ab März 2011 online zur Verfügung stehen. Bereits heute sind die Ergebnisse der Vorgänger-Konferenz „Comics Worlds and the Worlds of Comics“ von Dezember 2009 zugänglich.
Radio WDR 3 hat einen kurzen Beitrag zur Kölner Tagung gesendet, zu hören hier (zweiter Beitrag von oben).
Fotos © Angela Moreno (Kyoto Seika University)
Bitte den namen der „geistige Mutter“ von Sailor Moon korrigieren: Naoko Takeuchi -ist sonst peinlich, zumal sie ja problematisiert wird.
Schoene Gruesse
S. Richter
@steffi richter: Fehler ist behoben. Danke für den Hinweis!
Noch ein Link zu einem weiteren Bericht über die Tagung (Englisch): http://www.nelenoppe.net/fanficforensics/node/1712
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