„In Chicago haben die Schüler einer Schule freiwillig alle comic-books verbrannt“ — so berichtete die Neue Züricher Zeitung 1949 in einem Artikel über Comic-Books: Pro und Contra. Jetzt hat die NZZ den Beitrag ausgegraben und als pdf-Scan online zugänglich gemacht. Autor M. Wulf berichtet darin sowohl von der Kunstform und ihrer Verbreitung in den Vereinigten Staaten, von Frederic Werthams Kritik, den Sorgen von Eltern und Lehrerverbänden, als auch von Bemühungen, statt mit Verboten die wahrgenommene Gefahr mit Comics zu kontern, die den Ansprüchen der Kritiker eher gerecht werden — und damit vom Anfang der Comic-Code Authority. Der Beitrag ist nicht nur ein historisches Dokument für die aus weiter Ferne beobachtete Situation in den USA, sondern auch für die Wahrnehmung in Europa, für die in diesem Fall die längst im deutschsprachigen Raum angekommene Kunstform weiterhin vor allem als amerikanisches Phänomen diskutiert und mit einigem Exotismus beschrieben wird.
Mit ähnlicher Distanz wird in einem zwei Jahre jüngeren Beitrag im Spiegel, der inzwischen ebenfalls online verfügbar ist, das Opium der Kinderstube als ein Verführer dargestellt, der Kinder — und offenbar ebenso unbedarfte vietnamesische Bauern und koreanische Kommunisten — hypnotisieren kann. Daß sie inzwischen auch in Deutschland vertrieben werden, ist hier durch die abschreckende Geschichte des Verlegers Wildenberg dargestellt: „Wildenberg selbst ist längst nicht mehr im Geschäft. Wenn es nach ihm ginge, sollten alle comic books vernichtet werden.“
Beide Artikel haben freilich gemeinsam, daß sie ihre Attraktivität mit dem Wiederabdruck von Panels aus der fraglichen Kunst steigern. Wohl für alle Kunstformen macht die Geschichte ihrer Kritik und der Versuche ihrer Kontrolle und Zensur einen wesentlichen Teil ihrer historischen Beschaffenheit aus. Für Comics könnte dies in besonderem Maße gelten: Immerhin wurden sie über weite Teile ihrer kurzen Geschichte immer wieder als rand- oder widerständig, minderwertig oder gefährlich beschrieben.
In der Comicforschung ist die Auseinandersetzung mit den Bemühungen gegen Comics umso vielversprechender. Wir haben hier in der Vergangenheit schon auf den erst vor kurzem weitgehend überwundenen Comic Code sowie auf die inzwischen zugänglichen Archive des Comic-Kritikers Frederic Wertham hingewiesen und werden auch weiterhin Quellen zu diesem Thema sammeln. Auf der diesjährigen ComFor-Tagung zu Comics und Politik werden Comics als zensierter, kontrollierter oder kritisierter Gegenstand politischer Diskurse in einer eigenen Sektion diskutiert werden.
(Stephan Packard mit Dank an Felix Giesa und Ralf Palandt)