Begleitend zu der Ausstellung „Von Thangka bis Manga. Bild-Erzählungen aus Asien“ fand am 9. Juni 2012 in den Räumlichkeiten von Situation Kunst (Bochum-Weitmar) die Tagung „Manga und Comic – Die Faszination der Bild-Erzählung“ statt. Insgesamt fünf Referent_innen waren eingeladen, den japanischen Comic aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven und disziplinären Zugängen heraus als Medium der Bild-Erzählung zu begreifen, seine historische Genese zu beleuchten sowie seine Beziehung zur internationalen Comic-Kultur aufzuzeigen.
Nach einer kurzen Einführung durch die Kuratorin der Situation Kunst und Organisatorin der Tagung, Dr. Iris Poßegger, eröffnete ComFor-Mitglied Véronique Sina (Ruhr-Universität Bochum, Institut für Medienwissenschaft) die Veranstaltung mit einem einführenden Beitrag zur Geschichte und Entwicklung des amerikanischen sowie franko-belgischen Comics. Beginnend mit den amerikanischen Zeitungsstrips des späten 19. Jahrhunderts stellte die Referentin anhand ausgewählter Beispiele bedeutende Meilensteine der westlichen Comic-Kultur vor und verdeutlichte dabei gleichzeitig, dass es sich bei dem Medium Comic – trotz unterschiedlicher kultureller Traditionen – um ein internationales Phänomen handelt, welches verschiedenste Entwicklungsstufen durchläuft und dessen moderne Erscheinungsform von zahlreichen, sich immer wieder berührenden globalen Einflüssen geprägt ist.
Im Anschluss setzte sich Monika Schmitz-Emans (Ruhr-Universität Bochum, Professorin am Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft) mit dem autoreflexiven Potential westlicher Bild-Erzählungen auseinander. Von der These ausgehend, dass „mit dem Comic die Gestaltung, die Semantisierung sowie insbesondere auch die Metamorphisierung von Rahmen in eine neue Ära eingehen“, präsentierte die Referentin mit Hilfe zahlreicher Beispiele (wie Windsor McCays Little Nemo in Slumberland oder Marc Antoine Mathieus L’Origine) verschiedene Rahmungsebenen im Comic und zeichnete diese als konstitutives Strukturelement des Mediums aus.
Nach der Mittagspause thematisierte Stephan von der Schulenburg (Museum für Angewandte Kunst Frankfurt, Kurator der Asiatischen Sammlung) in seinem Beitrag „Mangamaniacs. Der Comic als Grundkoordinate der Populärkultur in Japan“ das visuelle Erleben der aktuellen japanischen Alltagskultur. Neben historischen Vorformen des Mangas wurden vor allem verschiedene zeitgenössische japanische Künstler (wie z.B. Takashi Murakami) vorgestellt, die in ihren Werken wiederholt auf die visuellen Darstellungsmittel des Mediums zurückgreifen und damit nicht nur die Wichtigkeit, sondern auch die Allgegenwärtigkeit der Manga-Bildsprache in der japanischen Populär- und Alltagskultur unterstreichen.
In ihrem abschließenden Vortrag „Zwischen Heldin und Antiheld. Zur Konstruktion von Figuren in Manga-Klassikern“ widmete sich Susanne Phillips (FU Berlin, Geschäftsführerin der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für Literaturwissenschaftliche Studien) den Arbeiten des berühmten japanischen Comic-Künstlers Osamu Tezuka und ging dabei exemplarisch der These nach, dass Figurengestaltung und Erzählstruktur im modernen Story-Manga in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehen. So lassen sich verschiedene Grundtypen von Erzählstrukturen (wie z.B. die zyklische Erzählstruktur oder die offene Erzählstruktur) in Tezukas Werken ausmachen, die bis heute das Erscheinungsbild des modernen Mangas prägen und die Charakterisierung einzelner (Helden-)Figuren (eindeutige Figur, vage Figur etc.) entscheidend beeinflussen.
Nach dem Tagungsprogramm konnten interessierte Teilnehmer_innen einer exklusiven Führung durch die verschiedenen Ausstellungsbereiche der Situation Kunst beiwohnen und dabei u.a. einen Blick auf den „im Jahr 1668 vom 5. Dalai Lama persönlich in Auftrag gegebenen Buddha Vairocana-Thangka“ (s. Museumshomepage bzw. Link oben) werfen, der nicht nur das Herzstück der asiatischen Kunstsammlung, sondern auch den Ausgangspunkt für die Wechselausstellung “Von Thangka bis Manga. Bild-Erzählungen aus Asien” bildet, die noch bis zum 1. Juli 2012 in Bochum-Weitmar besichtigt werden kann.
Véronique Sina
P.S: Der geplante Vortrag von Lisette Gebhardt (Goethe-Universität Frankfurt, Professorin für Literatur- und Kulturwissenschaften am Institut für Japanologie) mit dem Titel „Bilder und Berichte vom Untergang. Repräsentationen von Katastrophen in der japanischen Gegenwartskunst“ musste leider kurzfristig entfallen.