Workshop, Institut für Jugendbuchforschung Frankfurt am Main, 15.01.2014
Stichtag: 15. Januar 2014
Krankheitsnarrative erscheinen in der aktuellen Kinder- und
Jugendliteratur in einem völlig neuen Licht. So zeichnet sich etwa in
John Greens „The Fault in Our Stars“ (2012, dt: „Das Schicksal ist ein
mieser Verräter“) und Jenny Downhams „Before I Die“ (2007, dt.: „Bevor
ich sterbe“) eine neue Schonungslosigkeit, aber auch eine neue
Leichtigkeit im Umgang mit Krankheit in der Kinder- und Jugendliteratur
und in den verschiedensten Medien für Kinder und Jugendliche ab.
Mit der Fokus-Verlagerung auf chronische und tödliche Krankheiten geht
eine Betonung des Krankheitszustandes als einem Zustand, in dem die
Endlichkeit der eigenen Existenz besonders deutlich wird, einher. Sowohl
die Realität als auch die eigene Person wird auf eine andere Weise
wahrgenommen. Auch wenn die Vorstellung von einem Krankheitszustand als
einem besonderen, geradezu idealen Zustand des Erkenntnisgewinns bereits
in den Jahren 1799/1800 von Novalis geprägt wurde, der chronische
Krankheiten als „Lehrjahre der Gemütsbildung und Lebenskunst“
bezeichnete, ist die Tatsache, dass diese romantisierte Vorstellung im
Laufe der letzten Jahren ihren Weg in die Kinder- und Jugendliteratur
gefunden hat, als völlig neue Entwicklung einzustufen.
Im Rahmen eines internationalen Workshops soll die Frage nach der neuen
Darstellung und der Bedeutung von Krankheit in Kinder- und Jugendmedien
gestellt werden. Da Krankheits- und Abweichungsnarrative überaus
komplexe Gebilde sind, ergibt sich ein breit gefächertes Spektrum an
Diskussionsmöglichkeiten:
So stellt Michel Foucault in „Die Geburt der Klinik“ für die Medizin des
19. Jahrhunderts fest, sie orientiere sich „mehr an der Normalität als
an der Gesundheit“ (2011, 53). Er zeigt damit auf, dass auch gesunde
Körper (wie etwa der behinderte Körper) über ihre normabweichenden
Merkmale als pathologisch wahrgenommen werden können. Die Beschreibung
eines Zustandes als pathologisch schließt im Umkehrschluss also auch
immer eine Beschreibung dessen ein, was als normal und somit gesund
eingestuft wird. Hinzu kommt, dass es unzählige, kulturell bedingte
Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit gibt, die sich partiell
überschneiden, ebenso wie Krankheit und Gesundheit an sich als
überlappende Konzepte zu bezeichnen sind.
Krankheit soll hier also in einem weiten Sinne verstanden werden, d.h.
sowohl körperliche und geistige Krankheiten sollen mit einbezogen
werden. Julie Elman bemerkt in ihrem Aufsatz „Nothing Feels as Real.
Teen Sick-Lit, Sadness, and the Condition of Adolescence“: „Possessing
non-normative bodies, however, people with disease and disabled people
are often subjected to similar forms of ableism and marginalization.“
(2012, 177) Daher ist auch die Präsentation von Behinderung in der
Kinder- und Jugendliteratur von Interesse für die Diskussion.
Beiträge können Krankheit als Motiv ebenso behandeln wie Krankheit als
Prinzip der Darstellung oder als Metapher. So scheinen zum Beispiel
Kindheit und Adoleszenz als Lebensphasen, in denen gewisse
Normabweichungen toleriert werden, in denen sich Körper und Körpergefühl
spürbar verändern, eine gewisse Nähe zum Prinzip der Krankheit als
Krisenzustand aufzuweisen. Sind Kindheit und Adoleszenz also
gewissermaßen ‚krankhafte‘ Phasen? Welche Besonderheiten ergeben sich
somit daraus, wenn Krankheit für oder im Zusammenhang mit Kindern und
Jugendlichen thematisiert wird?
Die verschiedenartige Kommunikation durch und über Krankheit, sowie die
Sicht- und Unsichtbarkeit von Krankheit können anhand von Bilderbüchern,
in Erzählungen für Kinder, in Jugendromanen, in Filmen und Serien, in
Computerspielen, Blogs und allen anderen Medien für Kinder und
Jugendliche nachgezeichnet werden. Hier gilt es beispielsweise, auf den
Zusammenhang von Krankheit und Genres einzugehen (also etwa: Krankheiten
innerhalb der Problemliteratur, in der Mädchenliteratur, usw.),
Krankheit als narratives Prinzip oder als Generierung von Storylines zu
untersuchen, „den Kranken“ (oder auch den Arzt/die Ärztin oder den
Therapeuten/die Therapeutin) als stereotype Figur (etwa in
Fernsehserien) zu betrachten, die Konnotationen verschiedener
Krankheiten zu vergleichen, Räume der Krankheit und ihre mediale
Darstellung zu analysieren oder den Zusammenhang von Krankheit und
Geschlecht in den Blick zu nehmen.
Es sind jeweils 25- bis 30-minütige Vorträge mit anschließender
Diskussion vorgesehen.
Mögliche Themen, Aspekte, Zugänge und Schwerpunkte, jeweils mit Bezug
auf kinder- und jugendliterarische Medien wären:
Kinder- und jugendliterarische Medien als Ort der Rede über Krankheit
(und Gesundheit)
Lebensphasen (z.B. Kindheit, Adoleszenz, Pubertät etc.) als Krankheitsphasen
Krankheit in unterschiedlichen kinder-und jugendliterarischen Genres
Kulturell bedingte Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit
Zeit- und Modekrankheiten im Spiegelbild verschiedener Texte
Geschlechts- und gesellschaftsspezifische Krankheiten
Behinderung und Krankheit als Darstellungen normabweichender Körper
Krankheit und Gesundheit als sich gegenseitig überschneidende Konzepte
Die Inszenierung von Symptomen und Krankheiten als Metaphern
Kommunikative Aspekte von Krankheiten bzw. Krankheitsdarstellungen
(Ansteckungsprozesse, Viralität, Online-Kommunikationen usw.)
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Krankheiten
Krankheit und Komik
Abstracts mit maximal 350 Wörtern in deutscher oder englischer Sprache
werden bis zum 15. Januar 2014 erbeten an: anika.ullmann@gmx.de
Eine Auswahl der Vorträge ist bis zum 15. Februar 2014 geplant.
Kontakt:
Institut für Jugendbuchforschung, Campus Westend,
Agnes Blümer, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main