Tagung „Populärkultur transnational. Lesen, Hören, Sehen, Erleben in (west-)europäischen Nachkriegsgesellschaften der langen 1960er Jahre“
Universität des Saarlandes, Saarbrücken, 06. bis 8. Oktober 2014
Deadline: 28.03.2014
Verglichen mit den Vereinigten Staaten oder Großbritannien hat eine Geschichte der Populärkultur in vielen europäischen Ländern, gerade auch in Deutschland und Frankreich, lange einen schweren akademischen Stand gehabt. Zwar sind populärkulturelle Ausdrucks- und Erscheinungsformen inzwischen auch dort in den zeithistorischen Forschungsbetrieb eingezogen, dennoch liegen weiterhin zahlreiche relevante Themenbereiche brach. Dies gilt erst recht unter transnationalen Gesichtspunkten. Quellengesättigte empirische Studien, die Aspekte der Populärkultur in zwei oder mehr Gesellschaften unter vergleichs-, transfer- und verflechtungsgeschichtlichen Prämissen in den Blick nehmen, bilden nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel. Die angedachte Tagung knüpft da an und sieht vor, verschiedenste Elemente der Populärkultur für die langen 1960er Jahre konsequent vergleichs-, transfer- und verflechtungsgeschichtlich zu analysieren. Um den Mehrwert eines transnationalen Vorgehens gegenüber einer Sammlung von Einzelländerstudien zu akzentuieren, hat jeder einzelne Beitrag mindestens zwei Länder und Gesellschaften zu behandeln.
Die Tagung verortet sich im Bereich der Kulturtransferforschung, die sich lange eher auf die Epochen vor 1945 und auf Elitenaustausch konzentriert hat, weniger auf populäre Kulturmuster in der Zweiten Nachweltkriegszeit. Sich auf die langen 1960er Jahre zu konzentrieren, macht Sinn, weil es sich um eine „Sandwich-Phase“ handelt: „eine völlig neue Epoche“ (Kaelble) mit rasanter Veränderungsdynamik im Zeichen des Massenkonsums seit Mitte der 1950er Jahre, die aber bereits um die Mitte der 1970er Jahre wieder auslief, um in die „neueste – oder für viele: eigentliche – Globalisierung“ (Osterhammel) zu münden. Eine Sattelzeit, die europaweit bereits beschleunigte Transnationalisierung, zugleich den häufigen Rückgriff auf Vertrautes mit sich brachte und damit spezifische Mischungsverhältnisse aus Neuem und Altem generierte, die sich auch im Umgang mit Populärkultur widerspiegelten. Der räumliche Fokus soll primär auf Westeuropa in seinen transatlantischen Bezügen liegen. Ausdrücklich erwünscht sind daneben Themen zu Populärkultur über politische Systemgrenzen hinweg, sei es in Richtung Osteuropa oder in Richtung Iberische Halbinsel. Ebenso willkommen sind Vorschläge zu Grenzregionen als verdichteten Räumen transnationaler Interferenz.
Geht es auf der Tagung allgemein um empirische Mehrländerbeiträge zu Kulturtransfer und transnationaler Geschichte für Populäres, so zielen konkretere Erkenntnisinteressen auf einen doppelten Kultur-Transfer-Vergleich. Eine erste Forschungspiste bezieht sich auf das Abgleichen von Amerikanisierungs- und Europäisierungstrends in europäischen Gesellschaften der langen 1960er Jahre. Dazu sind verstärkt Kulturtransfers zwischen einzelnen europäischen Ländern sowie die Spezifika dortiger Rezeptionskontexte und -praktiken zu berücksichtigen. Die vorliegenden Amerikanisierungsstudien weisen häufig das Manko auf, dass in der Regel ein Land betrachtet und selbst dort der transatlantische Austausch in Musik, Film, etc. kaum einmal mit zeitgleich ablaufenden binneneuropäischen Transferprozessen oder gar mit europäischen Rückflüssen nach Nordamerika konfrontiert wird. Um aber zu einer ausgewogenen Verflechtungsbilanz zu gelangen, um Aussagen über Dauer, Intensität und Relevanz von Interaktionen bzw. Interaktionsräumen sowie die rezeptionsprägenden sozialen Gruppen, Akteure und Netzwerke zu machen, wäre dies unabdingbar.
Eine zweite Forschungspiste der Tagung befasst sich mit länderspezifischen Rückschlüssen auf Gesellschaft und Politik in Europa. Da es bei solchen Austauschprozessen weniger auf die Angebote der Ausgangskultur als auf die Nachfrage und die kreativen Aneignungs- bzw. Auswahlmechanismen in den Empfängerkulturen ankommt, legt der respektive Umgang mit neuartigen, manchmal als fremd empfundenen populärkulturellen Phänomenen relevante Blicke frei auf vorherrschende Werte und Normen, auf gesellschaftliche Toleranz und Weltoffenheit, auf politische Liberalität und Kultur. Überall in Europa sahen sich Gesellschaften konfrontiert mit denselben transnational zirkulierenden, häufig nordamerikanisch inspirierten Populärkulturgütern, überall hatten sich politische Akteure und zivilgesellschaftliche Meinungsführer zu positionieren. Kultur-Transfer-Vergleich beschreibt hier ein bislang unerforschtes Spannungsverhältnis zwischen nationalen Differenzen im Liberalisierungsgrad einzelner Länder und gemeinsamen europäischen Erfahrungen dank durchschlagender Erfolge neuer Formen von Populärkultur in den langen 1960er Jahren.
Die eingehenden Vortragsvorschläge werden thematisch in die vier titelgebenden Sparten Lesen, Hören, Sehen und Erleben gruppiert:
Lesen – Lektüren und Lesestoffe wie Illustrierte aller Art, Comics, Romanhefte, TV-Zeitschriften, Jugendmagazine, Fanzines mit Fokus Musik, Film, Sport, etc.;
Hören – Populäre Musik aller erdenklicher Genres und in allen denkbaren Darbietungsformen, in Radio- oder Fernsehsendungen, in Konzerten, etc.;
Sehen – Visuelle Kulturformen wie Film (von Spielfilm bis Dokumentarfilm) und Fernsehen, zudem Werbung und Design;
Erleben – Populärkulturell (mit-)geprägte Wertorientierungen und Lebensstile, Jugendkulturen und Protestszenen, Konsum-, Mode-, Sport- und Freizeitpraktiken, etc.
Modalitäten
Die Einladung zu „Populärkultur transnational“ richtet sich ausdrücklich auch an junge Forscherinnen und Forscher aus den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Die Beiträge sollten in deutscher Sprache verfasst und auf 20-25 Minuten Redezeit hin angelegt sein. Eine Publikation der schriftlichen Fassungen ist für 2015 geplant. Die Kosten für Reise und Unterkunft werden zurückerstattet.
Bitte senden Sie bis zum 28. März 2014 ein ca. zwei- bis dreiseitiges Exposé Ihres Vortragsvorschlages samt Lebenslauf an Dietmar Hüser, Universität des Saarlandes (dietmar.hueser@uni-saarland.de).
Die letztendliche Auswahl der Beiträge erfolgt durch Dietmar Hüser (Europäische Zeitgeschichte), Clemens Zimmermann (Universität des Saarlandes, Kultur- und Mediengeschichte), Andreas Fickers (Universität Luxemburg, Zeit- und Digitalgeschichte).