26. - 28. März 2020
Obwohl mediale Phänomene des Horrors kulturell heutzutage vielleicht so en vogue sind wie noch nie – man denke nur an die zahlreichen Kinofilme, Computerspiele und neuerdings auch TV-Serien der letzten Jahre –, werden sie in der akademischen Forschung nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Wenn überhaupt, stellen sich dort vorrangig Fragen nach den Inszenierungen von Gewalt, Genredefinitionen und Subkategorien, Wirkungsaspekten und sehr spezifischen Motiven und Figuren wie dem Vampir, dem Zombie etc. Die Tagung nimmt hingegen eine breitere, medienkulturwissenschaftlich ausgerichtete Perspektive ein und widmet sich den wechselseitigen Einflussnahmen und Interferenzen von Medien, Horror und Räumlichkeit – denn medialer Horror lässt sich als dezidiert räumliches Phänomen begreifen, und zwar auf verschiedenen Ebenen.
Horror baut auf einer starken kultur- und mediengeschichtlichen Tradition von ikonischen Topographien und Architekturen (haunted houses, Friedhöfen, Psychiatrien usw.) auf. Gleichzeitig etabliert er topologische Relationen, die sich in semantischen Gegensätzen wie Gefahrenraum/Schutzraum, innen/außen, oben/unten äußern, er konstituiert Bewegungsmuster wie das Umherirren im Labyrinth oder den Abstieg in den Untergrund, und er rückt die gefahrvolle Überschreitung von (räumlichen) Grenzen in den Mittelpunkt.
All diese räumlichen Konstellationen unterliegen historischen Entwicklungen, etwa wenn im Laufe der Horrorfilmgeschichte die Bedrohung seit den 1960er Jahren nicht mehr in einem exotischen Außen lokalisiert ist, sondern im inneren Raum einer Gesellschaft. Horrorräume können damit auch als Projektionsfläche gesellschaftlichen und kulturellen Wandels begriffen werden und bilden dabei laufend intermediale Schnittstellen aus. So wäre zu fragen, in welcher Weise sich das klassische Raumschema des haunted house transformiert, wenn es 2011 in die erste Staffel der Anthologieserie American Horror Story überführt wird oder 2018 den Gegenstand der exklusiven Netflix-Serie The Haunting of Hill House bildet. Gleiches gilt für Bedeutungsverschiebungen in interaktiven Medienräumen, wenn etwa kinematographische Topographien Einzug in Computerspiele wie Dead Island, Silent Hill, Resident Evil etc. halten und dort spielerisch funktionalisiert werden. Horrorräume präsentieren sich außerdem in verschiedenen kulturellen Räumen jeweils unterschiedlich, wovon ein Vergleich von US-amerikanischen mit japanischen, skandinavischen usw. Medienprodukten und ihren spezifischen Räumlichkeiten zeugt.
Aber nicht nur die repräsentierten Räume des Horrors tragen zur Erzeugung und Empfindung von Angst und Ekel bei, sondern auch die – wiederum notwendigerweise räumlich verortete – Anordnung der verwendeten Medientechnologie, oder anders: das mediale Dispositiv. Mediale Dispositive erzeugen eigene Räume, die wiederum auf die Wahrnehmung des Horrors Einfluss nehmen. So macht es einen dezidierten Unterschied, ob ein Horrorfilm kollektiv im Kinodispositiv rezipiert oder alleine auf der Couch über ein Tablet gestreamt wird; ob dabei das Raumdimensionen erzeugende Dolby Atmos-System oder ein paar Plug-In-Kopfhörer verwendet werden; usw. Die Geschichte des Horrorfilms kennt wiederum etliche explizite Reflexionen solcher medialer Raumanordnungen, wie Filme von Ring über Kairo bis Unknown User zeigen.
Schließlich lässt sich Horror auch auf theoretischer Ebene mit räumlichen Dimensionen zusammendenken. So besitzen einerseits Theorien, die zum Verständnis des Horrors herangezogen werden, selbst spatiale Züge wie etwa das Verhältnis von Norm, Monster und Grenzüberschreitung nach Robin Wood, die Freud´sche Theorie des Unheimlichen mit ihren Aspekten des Verborgen-Seins oder das Konzept des Abjekten nach Kristeva mit seiner Vorstellung des Abstoßens. Und andererseits sind allgemeinere kulturwissenschaftliche Raumtheorien (etwa Michail Bachtin, Jacques Lacan, Michel Foucault oder Jurij Lotman) zentral, um die kulturellen Bedeutungsdimensionen des Horrors zu modellieren.
Horrible Medienräume fungieren bei alledem als geschützte Experimentierfelder für Grenzüberschreitungen und Extreme; dabei konfrontieren sie uns mit individuellen und kollektiven Tabus und machen uns Angebote zur Reflexion über räumlich kodifizierte gesellschaftliche Strukturen, Selbst- und Fremdbilder usw. Mittels ihrer medial erzeugten Räume äußern die Bilder und Erzählungen des Horrors Kritik (nicht zuletzt: an Medienräumen), bieten Problemlösungen an, warnen symbolisch vor bestimmten gesellschaftlichen Orten oder weisen ihnen Schutzcharakter zu. Sie treffen Aussagen über ein zeitgenössisches Verständnis von Räumen der Normalität und Abweichung, im Zuge der Abweichungsbekämpfung dann auch von privaten und öffentlichen, individuellen und kollektiven sowie autonomen und heteronomen Handlungsräumen. Zudem sind die Räume des Horrors immer auch gendercodierte Räume, in denen – auf affirmative oder subversive Weise – (Macht-)Verhältnisse von Geschlechtern verhandelt, geschlechtliche Identitätsprozesse thematisiert und Fragen bezüglich Sexualität aufgeworfen werden.
Die Tagung widmet sich den oben skizzierten wechselseitigen Verhältnissen von Horror, Medien und Räumlichkeit. Von besonderem Interesse sind dabei die kulturellen Funktionen der spatialen Manifestationen des Horrors. Die Tagung ist interdisziplinär ausgerichtet und adressiert Wissenschaftler*innen aus der Medien- und Kulturwissenschaft, Filmwissenschaft, Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft u. a.
Mögliche Themenfelder können darstellen (sind aber nicht begrenzt auf):
Horror & Raumtheorie
- Horror und Raumtheorie: kultur- und medienwissenschaftliche, kunstgeschichtliche, philosophische, soziologische etc. Ansätze
- Räumliche Dimensionen von Horrortheorien: das Unheimliche, Monströse, Abjekte
- …
Mediale Räume des Horrors
- Räumliche Inszenierungsstrategien in Horror-Film, -Fernsehen, -Computerspiel, -Fotografie, -Literatur, -Theater, -Comic, -Visual Novel, -Musikvideo…
- Mediale Figurationen von Topographien und Architekturräumen: unterschiedliche Repräsentationen von haunted houses, Friedhöfen, Krankenhäusern, Psychiatrien, Laboratorien usw.
- Transmediale räumliche Signaturen des Horrors: Labyrinthe, Enge, Klaustrophobie, Abstieg, Begrenzung …
- Horror-Subgenres und ihre räumlichen Konstellationen: Slasher, Torture Porn, Sci-Fi-Horror…
- Spiel mit (Un-)Sichtbarkeiten des repräsentierten Raums
- Strategien räumlicher (Des-)Orientierung
- Tonräume des Horrors in audiovisuellen Medien
- …
Kulturelle Räume des Horrors
- Kulturräume des Horrors : USA, Japan, England, Frankreich, Spanien, Deutschland, Skandinavien …
- Kulturelle Grenzen und Grenzüberschreitungen: Schutzräume, Taburäume, Extremräume…
- Räume von Normalität und Devianz
- Vergeschlechtlichte und sexualisierte Räume des Horrors
- ,Verkindlichung´ von Horrorräumen in Animationsfilmen wie Coraline, Hotel Transylvania
- …
Schnittstellen
- Horror in historischer Entwicklung: Vorgeschichten, (R)Evolutionen, Tendenzen medialer und kultureller Horror-Räume
- Intermedialität/Transmedialität von Horror-Räumen
- Neue Medien/Neue Horrorräume? Exklusive Horror-Formate bei Video-on-Demand-Anbietern; neuere Formate wie Horror-Anthologieserien etc.
- Meta-Horror: Reflexion und Kritik von medialen Räumen im Horrorgenre
- …
Informationen zu Organisation und Ablauf
Die Tagung wird vom 26. bis 28. März 2020 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stattfinden.
Ihr Abstract (inkl. Vortragstitel) mit einem Umfang von max. 300 Wörtern und einen Kurzlebenslauf (wissenschaftlicher Werdegang, Publikationen) senden Sie bitte als eine PDF-Datei bis zum 15.09.2019 per E-Mail (Betreff: Horror_Medien_Räume) an die Organisatoren: Martin.Hennig@uni-passau.de / peter.podrez@fau.de.
Die Vorträge haben eine Länge von 25-30 Minuten. Eine Veröffentlichung der Beiträge ist geplant.
Für Fragen stehen Ihnen die Organisatoren Dr. Martin Hennig (Universität Passau) und Dr. Peter Podrez (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) gerne zur Verfügung.