CFP: Semiotiken in den Kulturwissenschaften

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Edited Collection
Editors: Prof. Dr. Nadja Gernalzick, Universität Wien and Dr. Thomas Metten, Universität Passau
Stichtag: 15.10.2019

Mit dem Sammelband Semiotiken in den Kulturwissenschaften/Semiotics in Cultural Studies möchten wir eine vergleichende und transdisziplinäre Diskussion über die Verwendung von Semiotiken und deren kritische Methodologie in den Kulturwissenschaften eröffnen. In Geschichtsschreibungen über die Kulturwissenschaften und Einführungen in das Fach (Assmann 2017 [2006]; Bachmann-Medick 2016 [2006]; During 2005; During ed. 2001 [1993]; Fauser 2011 [2003]; Marchart 2018 [2008]; Musner 2001; Nünning und Nünning eds. 2008 [2003]; Takahashi 2004; Kittler 2000 und viele mehr) finden die Provenienzen der Semiotiken, die in diversen kulturwissenschaftlichen Ansätzen angewandt werden, üblicherweise keine oder nur geringfügige Beachtung. Während beispielsweise poststrukturalistische Einflüsse in den Kulturwissenschaften häufig anerkannt werden  und eine Rückbesinnung auf die Geschichte der strukturalistischen Semiotik einschließen, findet keine ausreichende kritische Auseinandersetzung damit statt, auf welche Weise weitere semiotische Theorien und Modelle die Methodologien in den verschiedenen kulturwissenschaftlichen Schulen und Traditionen maßgeblich bestimmen und gestalten. Wenn Kulturwissenschaften als Medienwissenschaften verstanden werden, und so müssen sie aus einer zeitgemäßen semiotischen Perspektive verstanden werden, wird die Notwendigkeit kohärenter Auslegung der semiotischen Voraussetzungen und Verfahren in diversen wissenschaftlichen Herangehensweisen an kulturelle Erzeugnisse umso deutlicher. Während Geschichtsschreibung und Systematik der Semiotik einzelne kulturwissenschaftlich interessante Arbeitsbereiche anführen (Posner/Robering/Sebeok 1997–2004), wurde bisher umgekehrt keine umfassende kulturwissenschaftliche Betrachtung der Semiotik entwickelt. Dieser Sammelband soll den ersten Schritt zu einer systematischen und kritisch-methodologischen Betrachtung der Anwendungsvielfalt von Semiotik in den Kulturwissenschaften nehmen. Abhandlungen zu einzelnen semiotischen Traditionen und Problemstellungen in den Kulturwissenschaften sollen eine Diskussionsgrundlage für den Vergleich zur Verfügung stellen.

Neben der die Disziplin begründenden Semiotik von Charles Sanders Peirce gab und gibt es seit Anfang des 20. Jahrhunderts verschiedenste semiotische Ansätze in den Kulturwissenschaften. Beispielhaft sei hier auf den Strukturalismus nach Ferdinand de Saussure, die Semiotik der Kultur nach Roland Barthes, den Poststrukturalismus und Repräsentationalismus (Birmingham School) sowie die Methodenvielfalt in der sogenannten Kultursemiotik (www.kultursemiotik.com) verwiesen. Die Untersuchung der visuellen Zeichen gemäß der frühen Ikonologie (Aby Warburg, Erwin Panofsky) oder die Diagramme und Ordnungen von Zeichen, die in der Mythologieforschung und frühen Anthropologie zur Notation von Phänomenen entwickelt wurden (George Frazer), bedienen sich ebenfalls verschiedener, bis heute ausgeweiteter und referenzierter semiotischer Entwürfe und Methoden. Inwiefern folgt die strukturale Anthropologie den Grundsätzen der Zeichentheorie de Saussures? Bei der kritisch-vergleichenden Betrachtung dieser Methoden ist auch die Position der Diskursanalyse nach Foucault zu befragen – wie platziert sich eine historische Semantik (Dietrich Busse) im Verhältnis zur Diskursanalyse und zur Kultursemiotik? Wie ist die Handlungsmacht der Akteure, etwa nach der Actor Network Theory (Bruno Latour), in Zeichenmodelle zu integrieren und welche ist die Semiotik der Actor Network Theory? Die Zeichen- und Aktantenmodelle sind ebenso vielfältig wie die Semiotiken und Semiologien, auch wenn einzelne Anwendungsgebiete von Semiotik bestimmte Modelle bevorzugen, so wie die notorische Verwendung der Icon-Index-Symbol Differenzierung nach Peirce in der Dokumentarfilm- und Fotografietheorie.

Aktuell wichtige Begriffe in der Zeichentheorie scheinen weiterhin Materialität und Deixis zu sein, und in einer Zeit der Phänomenologisierung der Medienwissenschaft, wie sie sich etwa in Ansätzen zu einer „semiotic phenomenology“ (Malin Wahlberg) in der Filmwissenschaft und auch im Neuen Materialismus oder Posthumanismus zeigt, ist auch das Verhältnis von Semiotik und Medienwissenschaft von besonderem Interesse. Fortschreibungen der Dekonstruktion und die Grammatologie, zum Beispiel in der Bildwissenschaft (Sigrid Weigel), verlangen nach Konzeptualisierungen von prinzipieller Relationalität und Differenzialität jenseits von identitätssetzenden Reduktionen von Zeichen auf Bezugswerte. Worin besteht etwa der Zusammenhang zwischen einer materialistischen Semiotik in der Diagrammatik (Matthias Bauer und Christoph Ernst), der Intermaterialität (nach Andrea Seier) und dem Materialismus im Posthumanismus (Cary Wolfe)?

Wir begrüßen vergleichende methodologische, theoretische und historisch-betrachtende Beiträge zur Semiotik, Untersuchungen von spezifischen Problemstellungen in kulturwissenschaftlicher Semiotik ebenso wie auch Beispiele zur Anwendung von methodologisch reflektierten semiotischen Ansätzen in der Kulturwissenschaft.

Beiträge mögen unter anderem folgende Bereiche behandeln oder einbeziehen:
1. Semiotik und Kulturwissenschaft: Ansätze und Beispiele seit 1880:
– Anthropologie von James Frazer über Bronislaw Malinowski bis Claude Lévi-Strauss; Ikonologie und ihre Weiterführung in die Bildwissenschaft, Visuelle Kultur und Bildsemiotik; Semiotik nach Charles Sanders Peirce: Pragmatismus; Semiologie nach Ferdinand de Saussure: Strukturalismus; …
2. Semiotik und Kulturwissenschaft: Ansätze und Beispiele seit 1950:
– Diskursanalyse und Dispositive nach Michel Foucault, historische Epistemologie, Wissenskulturen; Kultursemiotik nach Roland Barthes; Grammatologie nach Jacques Derrida; …
3. Schulen und Methoden der Kulturwissenschaften und deren Semiotiken:
– Frankfurter Schule (gibt es eine Semiotik der Frankfurter Schule?); Birmingham School; Postkolonialismus; Pragmatismus; Mixed Methods und Grounded Theory; Kulturelle Konzepte des Körpers; kulturelles Gedächtnis, Erinnerungsforschung; Traumaforschung; Amsterdam School for Cultural Analysis; Actor Network Theory; Posthumanismus; Relationalismus; Linienwissen, Liniendenken; Diagrammatik; Neuer Materialismus; Posthermeneutik; …
4. Transdisziplinäre Semiotiken in den Kulturwissenschaften:
– Geschichte und Theorie von Kunst und Architektur; Medientheorie, Medienphilosophie, Medienökologie; Designtheorie; Rezeptionsästhetik; Neurobiologie und Kognitionswissenschaft; neuronale Netzwerke und künstliche Intelligenz; Theaterwissenschaft, Ritual- und Performanztheorien; Filmwissenschaft; Queer Theory; vergleichende Literaturwissenschaft; Erzähltheorie, narrative environments; (non-)fiction studies; Auto/Biographiestudien und Automedialitätsforschung; Translationswissenschaften; Archäologie; Historiographie; Sozialsemiotik; Multimodalitätsforschung; Kommunikationswissenschaften; Numerologie; Sound Studies; Medienarchäologie; Technik- und Technologietheorie; …

Für den zweisprachigen Sammelband nehmen wir Originalbeiträge in englischer oder deutscher Sprache entgegen. Der Sammelband wird im transcript Verlag, Bielefeld, in der neuen kulturwissenschaftlichen Reihe unter der allgemeinen Herausgeberschaft der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft (KWG) erscheinen.
Bitte senden Sie Beitragsvorschläge (circa 400 Wörter) auf Englisch oder Deutsch sowie eine kurze akademische Biographie bis zum 15. Oktober 2019 an die Herausgeber des Bandes: nadja.gernalzick@univie.ac.at and thomasmetten@me.com.

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