Adam-Mickiewicz-Universität Poznań
September 28-30, 2020
Zum dreißigsten Mal jährt sich 2019 der Fall der Berliner Mauer, und 2020 feiert die BRD den dreißigsten Jahrestag der deutschen Einheit. Die Teilung Deutschlands hinterließ folgenschwere wirtschaftliche, gesellschaftsstrukturelle und mentale Folgen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 standen sich an den Grenzübergängen zwischen Ost- und Westberlin Bürger zweier Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen, aus heutiger Sicht betrachtet, in nachvollziehbarer geschichtlich bedingter Fremdheit gegenüber. Mythisierung des Westens, Stereotypisierung des Ostens, unterschiedliche Vorstellungen von der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit (Krieg, Holocaust, Schuldfrage, Gebietsverlust und Zwangsmigration, Täter- und Mitläuferschaft, in der postdiktatorischen Gesellschaft der neuen Bundesländer auch – darüber hinaus – Auseinandersetzung mit der Stasi-Vergangenheit) sowie auseinanderklaffende Zukunftsvisionen im vereinten Deutschland waren für beide deutschen Gesellschaften reale Schwierigkeiten auf dem Weg zur Einheit. Überwindung der biografischen Brüche und der Orientierungslosigkeit nach dem Untergang des DDR-Staates einerseits, Anpassung an neue Lebensbedingungen in einem demokratischen Land mit einer liberalen Wirtschaftsordnung andererseits erwiesen sich für die neuen BRD-Bürger aus dem Osten als Herausforderungen, denen sich viele nicht gewachsen fühlten. Ostalgie taucht als Ausdruck unerfüllter Erwartungen in der Post-DDR-Literatur der 90er Jahre auf, zugleich aber sind auch westalgische Klänge als Zeichen der Sehnsucht nach der alten Bundesrepublik vernehmbar, so z. B. im 2009 verfassten Roman „Das Beste, was wir hatten“ von Jochen Schimmang.
Eine mentale und kulturelle Annäherung von West und Ost wird u. a. erschwert durch die unterschiedliche Sozialisation der Deutschen beiderseits der Mauer, deutsch-deutsche Literaturentwicklungen und eine differente Geschichtspolitik. Das Ausmaß des Umbruchs von 1989/1990 und der darauffolgenden Wendeereignisse kommt symbolisch in den städtebaulichen Veränderungen vor allem in Berlin, zumal in seiner östlichen Stadthälfte, zum Vorschein, wobei jener Umbruch vor dem Hintergrund seiner Intensität und seines Umfangs als Auslöschung, gar Dekontaminierung[1] von Spuren der DDR-Geschichte im Berliner Stadtraum gedeutet wird.
Nun ist Berlin in den letzten dreißig Jahren zu einer Weltmetropole geworden und das vereinte Deutschland steht vor neuen globalen und innerdeutschen Herausforderungen. Weltwirtschaftskrise, Währungskrise, Flüchtlingsfrage, Migration aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten, der 2016 verübte Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin, der aufsteigende Erfolg der rechtspopulistischen AfD, die das erste Mal in der Geschichte der BRD 2017 in den Bundestag eingezogen ist, prägen den bundesrepublikanischen Alltag. Hinzu kommen Probleme, denen sich Deutschland stellen muss: soziale Ungerechtigkeit, Gehaltsgefälle zwischen Ost- und West, Alterssicherung, innere Sicherheit und Familienpolitik.
Wir wollen während der Tagung Entwicklungen in Berlin und in Deutschland ins Visier nehmen, die der Mauerfall und die Vereinigung Deutschlands ins Rollen brachten und zum Thema der Literatur sowie zum Brennpunkt der breit gefächerten Forschung machten. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten und Diskurse in Literatur, Kultur und Politik wollen wir auch versuchen, über die Gegenwart im vereinten Berlin und in Deutschland zu reflektieren.
Mögliche Themen und Perspektiven für Ihre 20-minütigen Vorträge sind dabei insbesondere (aber nicht ausschließlich!):
- Semantisierung der Berliner Mauer in der deutschsprachigen Literatur
- Deutsche Einheit? Identitätskrise, Identitätskonstruktionen, Mentalitätswandel als Themen der Literatur
- Berlin und Vergangenheitsbewältigung in der Literatur
- Alltag im vereinten Deutschland in der Literatur
- Berlin – ein verruchter Ort. Berlin im Kriminalroman
- Berlin – ein erinnerungsträchtiger Ort in Literatur, Kultur und Politik (raumorientierter/gedächtnishistorischer, politikwissenschaftlicher Zugang)
- Bewegungen in Literatur, Kultur und Politik nach 1989/1990
- Berlin in der Migrantenliteratur
- Deutschland dreißig Jahre nach dem Mauerfall
- Dreißig Jahre der vereinten deutschen Sprache
- Erzählstrategien nach 1989 – wie wird Berlin/Deutschland in der Literatur der Zeitspanne 1989-2019 erzählt?
Organisatorisches
Die Tagung wird vom 28. bis 30.09.2020 am Institut für Germanische Philologie der Adam-Mickiewicz-
Universität Poznań stattfinden. International und komparatistisch ausgerichtet, steht sie literatur- und kulturwissenschaftlichen, historischen, medientheoretischen sowie philosophischen, architekturtheoretischen, sprachwissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Zugängen offen.
Die Tagungsgebühr beträgt 350 zł (80 Euro). Die Veranstalter können den TeilnehmerInnen die Reise- und Übernachtungskosten leider nicht erstatten. Eine Veröffentlichung im Anschluss an die Tagung ist geplant. Übernachtung ist möglich in den Gästehäusern der Universität. Wir helfen gern bei der Buchung.
Bitte senden Sie Ihre Beitragsvorschläge im Umfang von max. 250 Wörtern bis zum 5. April 2020 per E-Mail an 30jahremauerfallamu@gmail.com. Von der Annahme Ihres Referatsvorschlags werden Sie spätestens am 10. April 2020 benachrichtigt.
Wir freuen uns auf Ihre Themenvorschläge!
Organisationsteam:
Dr. hab. Magdalena Kardach (mkardach@amu.edu.pl)
Dr. Ewa Pytel-Bartnik (epytbart@amu.edu.pl)
Dr. Miłosz Woźniak (milosz.wozniak@amu.edu.pl)