Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
September 28 - October 01, 2022
Die Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) veranstaltet jährlich eine Tagung
zur Diskussion aktueller Themen des Fachgebiets und theoretischer sowie me–
thodischer Entwicklungen der Medienwissenschaft. Neben der Präsentation von
Forschungsergebnissen bietet die Tagung Möglichkeiten, sich persönlich auszu–
tauschen und mit wissenschaftspolitischen Fragen auseinander zu setzen. Das
Tagungsthema »Arbeit« fragt nach dem Verhältnis von Arbeit und Medien in der
ganzen Bandbreite von theoretischen, historischen und analytischen sowie me–
dienpraktischen, sozialen und politischen Problemstellungen: von den gegenwär–
tigen medialen Bedingungen und Ermöglichungen von Arbeit über Darstellungen,
Reflexionen, Modi und Formen des Arbeitens mit und in Medien sowie arbeitende
Medien hin zu den Arbeitsmodalitäten der Medienwissenschaft selbst.
Tagungsthema Arbeit
Arbeit bestimmt unsere Lage, beruflich wie privat. In der Regel sind es Medien, die
Möglichkeiten und Bedingungen von Arbeit darstellen: so wie das Arbeitsmedium
Schreibmaschine einst Anstellungsverhältnisse an Gender-Parametern ausrichtete,
gelten Interface-Technologien heute als Grundlage postindustrieller Tätigkeit. Die
Covid-19-Pandemie hat das Verhältnis zwischen Medientechnik und Arbeit zusätzlich
verschärft und in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen zu einem dringlichen The–
ma werden lassen: etwa in Hinblick auf die schwindenden Grenzen zwischen Arbeit
und Freizeit oder Arbeits- und Wohnraum. Arbeitsbedingungen sind eng somit ver–
zahnt mit Medientechniken und -umbrüchen. Medienwissenschaft zu betreiben be–
deutet deshalb immer auch, über Voraussetzungen und Bedingungen des eigenen Ar–
beitens nachzudenken. Die Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Medien bildet
somit einen Kerngegenstand medienwissenschaftlichen Arbeitens. Entsprechend lädt
die GfM-Jahrestagung 2022 dazu ein, Prozesse des Arbeitens medienpraxeologisch
zu reflektieren, medientheoretisch herzuleiten, medienhistorisch zu verorten, medien–
ästhetisch zu fassen oder mediensoziologisch zu beschreiben.
Mit Locke, Smith und Marx wird Arbeit im 19. Jahrhundert zu einem zentralen Bezugs–
punkt der Bestimmung von Selbst und Gesellschaft. Ökonomische und politische
Positionen des Industriekapitalismus verweisen auf Arbeitskraft und Produktionsmit–
tel, Arbeitsweisen und Arbeitsteilung, Kapital und Markt. Sie beziehen sich zunächst
auch positiv auf die über Postverkehr, Telegraphie und andere Medien ermöglichte
Kommunikation unter Arbeitenden, ihre Organisation und erhoffte Kollektivität. Die
heute als Schubphase des Anthropozäns verstandene Explosion industrieller Lohn–
arbeit ab 1870 beruhte gleichermaßen auf fossilem Kapital wie auf Formen medialer
Informationsverarbeitung innerhalb von Industrie und Staat. Versuche, nationale und
später globale Märkte zu etablieren, gelten nun ohne technische Medien als ebenso
wenig denkbar wie ohne soziale Massen, aus denen sich der/die Arbeiter:in bald ab–
hebt als gebrochene, der eigenen Tätigkeit entfremdete oder umgekehrt ideologisch
überhöhte Figur. Im Kontext politischer Krisen und neuer Regimes der Sichtbarkeit,
die weiblich konnotierte Dienstleistungen, häusliche Verrichtungen oder koloniales
Zwangsschaffen nicht als Arbeit vorführen, sondern unsichtbar werden lassen (A.K.
Daniels) stellt sich damit auch die allgemeinere Frage nach dem Tätigsein des Men–
schen und dem Unterschied zwischen homo faber und animal laborans. So themati–
siert Hannah Arendt das Verhältnis von Arbeiten und Herstellen, labor and work, als
Gegensatz zwischen der vermeintlich isolierten, repetitiven, unproduktiven Tätigkeit
des Einzelnen und dem auf Dauerhaftigkeit angelegten Schaffen an einer geteilten
menschlichen Wirklichkeit.
Bestimmungen wie diese werden heute indes selbst zunehmend problematisch ange–
sichts von Rationalitäten und Technologien, die Arbeit gar nicht mehr als gesicherte
Bezugskonstante für Selbst und Gesellschaft anbieten. Mit der Flexibilisierung von Ar–
beit in der Nachkriegszeit, im Zuge von Prozessen, die sie entgrenzen und entwerten,
informalisieren und datafizieren, entstanden Grundlagen für ein gern pauschal dem
digital turn zugeschriebenes ›Verschwinden der Arbeit‹, für »microwork« (Lilly Irani)
und »bullshit jobs« (David Graeber). Nun begleiten Medien anscheinend nicht nur, sie
begründen die Prekarisierung menschlichen Tuns, die ›Plattformisierung‹ kultureller
Produktion, das Automatisieren, Fremdsteuern, De-Skilling und Monitoring einst–
mals qualifizierter Arbeitskraft. Arbeit wird dank Medien immateriell; so liegt es für
die Politik nahe, anstehenden Arbeitsplatzverlusten aufgrund von Kohleausstieg und
Strukturwandel mit Visionen kreativer Hubs und Medienarbeit zu begegnen. Während
die Open Source-Szene oder die Maker-Bewegung eine Rückkehr zur freiwilligen, un–
entgeltlichen, allein am Gebrauchswert orientierten Arbeit feiern, wird die von namen–
losen User:innen geleistete Arbeit auf werbefinanzierten Plattformen zum Problem.
Medienarbeit ist heute nicht einfach nur abstrakt risikobehaftet im Sinne von »ventu–
re« oder »aspirational labor« (Gina Neff, Brooke Erin Duffy), sie schadet mitunter ganz
konkret den ausführenden Subjekten, wie etwa Facebooks Content Moderator:innen.
Arbeit ist also kein einfacher Begriff philosophischer oder politischer Bestimmung
und als Topos nicht auf einen schlichten Nenner zu bringen: Sie lässt sich funktional
weder auf eine Trias medialer Speicherung, Übertragung und Verarbeitung reduzieren
noch durch eine klassische Kulturtechnikforschung analysieren, die sich vornehmlich
auf basale und historische Kulturtechniken des Schreibens, Lesens und Rechnens
beschränkte. Vielmehr ist Arbeit gekennzeichnet durch eine Heterogenität medialer
Praktiken – etwa des Organisierens, Produzierens, Überwachens, Redigierens, Identi–
fizierens, Visualisierens, Folgens, Archivierens, Verzettelns oder Delegierens mit je
spezifischen materiellen und informatischen Medientechniken der Ermöglichung und
Begrenzung. Arbeit, gleich ob von Mensch oder Maschine ausgeführt, steht in einem
Spannungsfeld von Ermächtigung und Disziplinierung.
schen Analysen von Newsrooms oder Karrieren oft vernachlässigt wurden. Rechen–
zentren, Server-Farmen, Amazons Lagerhäuser oder Operations Rooms sind nicht
allein Orte der zentralen Daten- und Warenakkumulation und -verarbeitung, sondern
auch Orte, an denen Maschinen mit Menschen Arbeit verrichten; das gleiche gilt für
Film-, Fernseh-, Musik-, Game- oder Designstudios. Zur Medienarbeit gehören mithin
Signalverarbeitung, Nachbearbeitung und KI-gesteuerte Prozesse. Die Medienwis–
senschaft beschreibt Arbeit in und mit Medien entsprechend mit einer Vielzahl von
Begriffen unterschiedlicher Theorietraditionen, von Jürgen Habermas‘ Ausführungen
zu »Arbeit und Interaktion« über Arlie Russell Hochschilds Verständnis von »emotional
labor« hin zu Bruno Latours Konzept der »delegation of work« oder den in Arbeiten
der Science and Technology Studies umlaufenden »boundary objects«; von Beobach–
tungen zur »liquid media work« (Mark Deuze) über die »hope labor« (Kathleen Kuehn/
Thomas F. Currigan) hin zu »playbour« (Julian Kücklich). Und während sich für foto–
grafische und audiovisuelle Medien die Frage nach Abbild- und Vermittelbarkeit stellt,
verweist im künstlerischen Bereich die Abkehr vom Werkbegriff hin zum Oberbegriff
der Arbeit (Sound Work, installative Arbeit usw.) für Produkte künstlerischer Tätigkeit
unter anderem auf die mediengestützte Prozesshaftigkeit von Erfahrung.
Auch die Medienwissenschaft selbst organisiert sich über Arbeitsfelder, arbeitet am
Medienbegriff und analytisch an unterschiedlichen Gegenständen des Medialen.
Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet die GfM als zentrale Fachgesellschaft, in–
sofern sie den inneren Zusammenhalt und die äußere Wahrnehmbarkeit des Faches
herzustellen und zu fördern sucht. Ein Großteil dieser Arbeit läuft über 27 Arbeits–
gruppen, die im Selbstverständnis der GfM das eigentliche dezentrale Zentrum der
Gesellschaft bilden. Die Arbeitsgruppen schaffen eine Binnendifferenzierung der
Medienwissenschaft auf gegenständlicher, theoretischer und methodischer Ebene,
stecken überdies Grenzen zu Nachbardisziplinen ab. Der damit unvermeidlich ent–
stehenden Unübersichtlichkeit und ›Silisierung‹ begegnet die Jahrestagung 2022 mit
einem Format, das die Arbeitsgruppen stärker würdigt und im Blick auf das Tagungs–
thema »Arbeit« miteinander ins Gespräch bringt.
Format und Einreichungsmodalitäten
Das Konferenzprogramm besteht aus drei Veranstaltungstypen: individuellen Ein–
reichungen für Einzelvorträge, Zentralveranstaltungen für alle Teilnehmer:innen und
prä-konstituierten Panels, für die 2022 indes besondere Regeln gelten.
neben der regulären Mitgliederversammlung wie bislang für die gemeinsame Teil–
nahme aller Gäste vorgesehene Slots für den fachlichen und sozialen Austausch. Im
Unterschied zu den Vorjahren gilt für die Auswahl und Programmgestaltung prä-
konstuierter Panels 2022 hingegen ein anderer Standard: Besonders erwünscht und
entsprechend gezielt bevorzugt werden zum einen aus den AGs heraus vorgeschla–
gene Panels, die also die fachlichen Positionen einer jeweiligen AG zum Tagungsthe–
ma pointiert vorstellen; dies auch im Sinne einer Einladung an bisher weniger in AGs
vernetzte oder mit diesen kommunizierende Mitglieder, ihre Forschungfelder mit den
Arbeitsgruppen in einen Dialog zu bringen. Zum anderen sind Panels erwünscht, die
zwei oder mehr AGs entlang der jeweils fachlich erwünschten Differenzierungen ins
Gespräch bringen. Im Hauptprogramm nicht zentral vertreten sein sollen hingegen Pa–
nels, die nur von den Mitgliedern einer einzelnen Einrichtung oder aus einem isolierten
Forschungszusammenhang heraus gebildet werden. Entscheidend für die Annahme der Einreichungen sind somit (a) bei allen Eingängen die deutliche Passung zum
Tagungsthema sowie (b) bei den prä-konstituierten Panels der konstruktive Bezug zu
einer oder mehreren Arbeitsgruppen der GfM.
Einreichungen für Einzelvorträge umfassen: Vortragstitel, Abstract, Kurzbibliografie
zum Zusammenhang von Vortrags- und Tagungsthema (max. 5 Titel) sowie Kurzbio–
grafie (insgesamt max. 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen). Im Falle einer Aufnahme ins
Tagungsprogramm werden Einzeleinreichung zu thematisch passenden Panels zu–
sammengeführt.
Einreichungen für Panels umfassen: 3-4 Einzelvorträge (Titel, Abstract, Bibliografie,
Kurzbio; insgesamt max. 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen), einen Rahmentext (eben–
falls max. 2000 Zeichen inkl. Leerzeichen), der den Zusammenhang der einzelnen
Beiträge und das Thema des Panels im Rahmen der Tagung erläutert sowie einen Vor–
schlag für die Moderation. Es wird erwartet, dass die Arbeitsgruppen bei Interesse an
einer von ihnen vorgeschlagenen Panel-Einreichung selbst aktiv werden, gern auch in
Rücksprache mit den Tagungsorganisator:innen, um Überschneidungen zu vermeiden.
Deadline für alle Einreichungen ist der 31. April 2022. Einreichungen
erfolgen ab 15. Februar 2022 ausschließlich über das externe Conf-Tool,
www.conftool.pro/gfm2022. Verspätete Einreichungen können nicht
berücksichtigt werden. Die Benachrichtigungen zur Annahme oder Ableh–
nung erfolgen per E-Mail zum 15. Mai 2022.
Tagungsablauf
Die Jahrestagung 2022 findet nach den dann bundesweit geltenden Hygiene–
standards in Präsenz vor Ort in Halle/Saale statt. Eine Übersicht empfehlenswerter
Unterkünfte in Halle wird Mitte Mai verfügbar gemacht; eine frühzeitige Buchung wird
ausdrücklich empfohlen. Halle ist als zentraler bundesdeutscher ICE-Knotenpunkt aus
allen Landesteilen sehr gut mit der Bahn, über den Flughafen Leipzig/Halle auch aus
der Luft zu erreichen. In Leipzig stehen zahlreiche weitere Unterkünfte zur Verfügung,
die Fahrtzeit beträgt je nach Verkehrsmittel und -lage zwischen 20 und 60 Minuten,
zwischen Berlin und Halle liegt sie im ICE bei 60 Minuten. Alle Veranstaltungsorte be–
finden sich in der Innenstadt Halles und sind problemlos zu Fuß zu erreichen.