Die Ankündigung eines humanoiden Roboters als voll funktionsfähiger KI für Ende 2022 mag (noch) die kühne Behauptung eines medienwirksamen Geschäftsmannes sein (Elon Musk über den Tesla Optimus). Jedenfalls weist sie hin auf die Erwartung zunehmender digitaler Transformationen unseres Zusammenlebens, die Roboter maßgeblich mitbestimmen dürften. Neben Industrierobotern, die weltweit bei der Fabrikation genutzt werden, gibt es zoomorphe Roboter, die die Form von Tieren haben, wie der Roboterhund Aibo (1999). Andere Typen von Robotern, wie LEGO Mindstorms, lassen sich nach dem Baukastenprinzip zusammensetzen und individuell programmieren. Besondere Aufmerksamkeit haben zuletzt die käuflich erwerbbaren humanoiden Roboter Nao (2006) und Pepper (2014) erhalten: Nao kann sehen, hören, sprechen, sich bewegen, tasten, Pepper kann zudem auf Mimik, Gestik und Emotionen reagieren (vgl. Di Dio et al. 2021, S. 6-10). Solche sozialen Roboter sind entwickelt worden, um halbautonom oder autonom mit Menschen zu kommunizieren und physisch zu interagieren (vgl. Bendel 2021), was auch für Lernprozesse relevant sein kann (vgl. van den Berghe et al. 2019, S. 260).
Eine enge Beziehung zwischen Mensch und Roboter wird schon in Begriffen deutlich, wenn letztere als Humanoide, Androide oder „Robo Sapiens“ (C. Robert Cargill 2017) bezeichnet werden oder wenn mit Bezug auf das Lesenlernen davon gesprochen wird, dass im Anschluss an das Synthetisieren durch die Aneinanderreihung von Einzellauten zunächst eine „Robotersprache“ produziert werde (Rautenberg 2019, S. 63). Literatur und andere Medien zeugen davon, dass die Imaginationen des Menschen der technischen Entwicklung schon immer vorgegriffen hat. Auch sind sie Ausdruck der besonderen, ambivalenten Beziehungen der Menschen zu Robotern, die als gewinnbringend, faszinierend, aber auch gefährlich imaginiert und reflektiert werden (vgl. Irsigler / Orth 2021). Aktuelles Beispiel ist der Spielfilm Ich bin Dein Mensch von Maria Schrader, der vielfach ausgezeichnet und als Oscar-Beitrag 2022 ausgewählt worden ist. Auch in kinder- und jugendliterarischen Texten „spiegeln sich die aktuellen Debatten um Faszination und Gefahr künstlicher Menschen wider“ (Mikota 2020, S. 18). Verhandelt werden dabei Entwürfe des Menschlichen, des zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie des Verhältnisses von Mensch und Technik (vgl. Anders 2020). Die sich ergebenden Fragen sind im vorliegenden Kontext auch und insbesondere interessant bezogen auf Bildung: David Edmonds Undercover Robot. Mein erstes Jahr als Mensch (2021) ist eine Neuerscheinung, in der ein Robotermädchen eine ,normale’ Schule besucht mit dem Auftrag, sich nicht als KI erkennen zu geben. Was und wie erzählen Kinder- und Jugendmedien von Robotern in Schule und weiteren Lernkontexten? Was genau können und sollen Schüler:innen in der Auseinandersetzung mit welchen „Umbrüche[n] [lernen], die durch die Digitalisierung entstanden oder im Entstehen sind“ (Kepser 2018)?
Neben Robotern in Geschichten findet man die Technik mittlerweile auch in unterschiedlichen Bildungskontexten: Die Vorleseeule Luka wird als Produkt für die private Leseförderung verkauft (vgl. Zhao / McEwen 2022). Die oben erwähnten Humanoide Nao und Pepper kommen in Leseförderprojekten von Bibliotheken zum Einsatz (vgl. Schmiederer 2019) und wurden 2017 in der Lehre an der Universität Marburg als Assistent*innen eingesetzt. Die Forschung zur Wirksamkeit von Robotern auch im Bildungsbereich nimmt stetig zu (vgl. van den Berghe et al. 2019; Pedersen / Larsen / Nielsen 2019). Es gibt erste Hinweise darauf, dass der Einsatz von Robotern beim Erwerb von Sprach- und Lesekompetenzen positive Effekte haben kann. Belege lassen sich für einen motivationssteigernden Effekt finden (vgl. van den Berghe et al. 2019, S. 276). Mangels Langzeitstudien bleibt aber offen, ob diese Effekte nachhaltig sind. Zeigen lässt sich, dass sozialen Robotern Rollen wie die einer Lehrkraft, eines Tutors oder eines peers eher zugeschrieben werden als animierten Figuren (vgl. van den Berghe et al. 2019, S. 260). Einige Studien deuten darauf hin, dass sehr ausgeprägtes Sprachvermögen und Feedback nicht durchgängig positiv aufgenommen werden: „[T]here is a thin line between the robot being social enough to sustain children’s interest and being too social, leading to children being distracted or even intimidated by the robot” (van den Berghe et al. 2019, S. 285). Der Einsatz von Robotern im Bildungsbereich ist durchaus umstritten. Verfechter:innen von Bildungsrobotern sehen das Potential, durch deren Einsatz „neue Freiräume für individuelle Beratung und Betreuung“ durch Lehrende zu schaffen (Di Dio et al. 2021, S. 5). Bildungsroboter sollen Lehrkräfte nicht ersetzen, sondern unterstützen (vgl. Raaflaub 2021). Dabei ist fraglich, was genau sie (nicht) leisten können und sollen. Zu bedenken sind neben recht hohen Voraussetzungen an technische Ausstattung und Know how der Mangel an didaktischer Forschung und didaktischen Konzepten zum Einsatz von Robotern in Lernkontexten.
Das Publikationsvorhaben hat zum Ziel, Forschung zu Robotern in der Didaktik zusammenzustellen und ggf. auch anzustoßen. Potentiale, Grenzen und Risiken von Robotern sollen vor allem aus lese-, literatur-/mediendidaktischer Perspektive herausgearbeitet und reflektiert werden, um die technische Entwicklung in diesem Bereich kritisch zu begleiten.
Beiträge in dem geplanten Sammelband können sich mit folgenden Aspekten beschäftigen:
- fachwissenschaftliche Analysen aktueller Kinder- und Jugendmedien zu Robotern in ihren Relationen zu Menschen und Umwelt mit einem Fokus auf Lernen, Bildung
- lese- und literatur-/mediendidaktische sowie methodische Überlegungen zum Einsatz von aktuellen Kinder- und Jugendmedien zu Robotern
- diversitätsorientierte Überlegungen zu Technikinszenierung und -nutzung im Bereich der Robotik aus didaktischer Perspektive
- Einstellungen zu Robotern und Voraussetzungen für ihren Einsatz in Lernkontexten (Wissen, Fähigkeiten, Technik, Kosten)
- Entwicklung und Analyse lese- und literaturdidaktischer Konzepte zum Einsatz von Robotern in Lernkontexten (Potentiale, Grenzen, Risiken)
- theoretische und empirische Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Lernprozessen mit Robotern vor allem aus lese- und literatur-/mediendidaktischer Perspektive
Wir freuen uns auf Abstracts von max. 3000 Zeichen bis 31. Oktober 2022 an jusander@uni-mainz.de. Die Beiträge mit einem Umfang von 30000 – 40000 Zeichen exkl. Literaturangaben sollen bis 31. März 2023 eingereicht werden.