Neues aus der ComFor

Die ComFor-Redaktion stellt sich vor

Wenngleich nach außen hin der Redaktionsbetrieb auf der ComFor-Website seinen gewohnten Gang nimmt, hat sich in den letzten Monaten hinter den Kulissen einiges geändert: Da Laura Oehme und Lukas R. A. Wilde sich nach vielen produktiven Jahren aus der Arbeit der Online-Redaktion zurückziehen möchten, um sich neuen Aufgaben zu stellen, wurden seit der ComFor-Mitgliederversammlung im September 2018 drei neue Redaktionsmitglieder eingearbeitet: Robin-M. Aust, Katharina Serles und Natalie Veith sind ab sofort für die regelmäßigen Meldungen zur Comicforschung zuständig. Doch auch erfahrene Kolleginnen bleiben der Redaktion erhalten: Alexandra Hentschel und Julia Ingold informieren weiterhin über Ausstellungen und Calls for Papers.

Mit diesem Post bedankt sich die Redaktion herzlich bei Laura Oehme und Lukas R. A. Wilde für ihre großartige Arbeit in den vergangenen Jahren: für eine Vielzahl an Posts, Kolumnen, Publikations- und Veranstaltungshinweisen mit denen sie den Leser_innen einen Überblick über das ständig wachsende Feld der Comicforschung vermittelt haben.

Die aktuellen Redaktionsmitglieder stellen sich vor:

Robin-M. Aust:

Ich habe an der HHU Düsseldorf Germanistik und Philosophie studiert und mich gewissermaßen auf diesem Wege der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Comics angenähert: 2012 habe ich erst meine Bachelorarbeit zu Walter Moers Zamonien-Romanen verfasst; 2015 folgte dann die Mitwirkung an der Tagung ›Graphisches Erzählen‹ sowie die Masterarbeit zu Nicolas Mahlers Literaturcomics. Seitdem promoviere ich zwar zur Thomas Bernhard-Rezeption in der Gegenwartsliteratur und entferne mich somit erst einmal wieder fachlich vom Comic – Comics sind aber immer wieder zentraler Bestandteil in meinen Lehrveranstaltungen, die ich seit 2016 am Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft (Abt. II) in Düsseldorf gebe. Privat lese ich gerne – Berufskrankheit? – Literaturadaptionen, aber auch alles andere, was mir grad an Neuerscheinungen in die Finger kommt, je skurriler, desto besser.

Alexandra HentschelAlexandra Hentschel:

Ich bin seit Februar 2013 Museumsleiterin des Erika-Fuchs-Hauses | Museum für Comic und Sprachkunst. Zum Comic bin ich als Quereinsteigerin gekommen. Ursprünglich bin ich Kulturwissenschaftlerin (Studium in Göttingen, Paris und Hamburg mit Zusatzqualifikation Museumsmanagement), promoviert habe ich über bürgerschaftliches Engagement im Museum. Zuletzt war ich in Hamburg am Kindermuseum und als Dozentin für Museumsmanagement/Museumsgeschichte tätig. Als Museumsleiterin eines Comicmuseums finde ich es faszinierend, wo nun überall Comicausstellungen gezeigt werden, weshalb ich gern diesen Bereich übernehme.

Julia IngoldJulia Ingold:

Ich habe Französisch, Kunst­geschichte und Germanistik in Hamburg, Paris und Kiel studiert. Meine Bachelor­arbeit ver­fasste ich zum Thema Zeichentheorie und Poetik in Craig Thompsons »Habibi«. Im Wintersemester 2015/16 lehrte ich als Gastdozentin am Department of German der University of Mumbai. Nun promoviere ich über Else Lasker-Schüler am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien in Kiel, wo ich seit dem Wintersemester 2016/17 an der Lehre beteiligt bin. Ich wohne aber die meiste Zeit in Fürth und lehre ab dem Sommersemester 2017 auch an der FAU Erlangen-Nürnberg. Ich freue mich, Sie und euch ab jetzt über Comic-CfPs auf dem Laufenden zu halten!

Katharina Serles:

Derzeit bin ich Lehrende an der Universität Wien, wo ich auch Deutsche Philologie, Anglistik und Kunstgeschichte studierte und als Universitätsassistentin tätig war. Zur Comicforschung kam ich über den ‚Umweg‘ der Bildwissenschaften und als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die FWF-Projekte Kunst im Text und Das Bildzitat; als künstlerische Mitarbeiterin an der Hochschule für Bildende Künste Dresden schärfte sich mein Blick für Raum- und Körperdarstellungen in Comics; und mittlerweile hat mich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Comics etwa nach Atlanta, Krakau und Toronto gebracht. Ob nun im Rahmen von Dissertation, Vorträgen oder Seminaren – mein Fokus (geprägt von den Visual Culture und Gender Studies) liegt auf Comics aus dem deutschen Sprachraum, Kunstzitaten,  ‚Visualitäten von Geschlecht‘ und _ dem Gutter.

Natalie Veith:

Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für England- und Amerikastudien der Universität Frankfurt und arbeite aktuell im Rahmen eines Forschungsprojektes an einer Dissertation zu neo-viktorianischen Comics. Entsprechend liegt mein Schwerpunkt in der Comicforschung erstrangig (jedoch nicht ausschließlich) bei britischen Comics. Mein akademisches Interesse an Comics habe ich bereits während meines Studiums der Anglistik und Germanistik in Frankfurt am Main und Cardiff entwickelt und meine Magisterarbeit 2013 zum Thema Counter-Narratives in the Works of Alan Moore verfasst. Ich werde mich mit meinen Co-Redakteur_innen Robin-M. Aust und Katharina Serles um die wöchentlichen Posts kümmern, insbesondere um den Publikationsmonitor.

ComFor-Leseempfehlungen 2018

Die Redaktion der Gesellschaft für Comicforschung wünscht ihren Leser_innen  und Freund_innen nachträglich noch einmal einen guten Jahresstart. Kein Jahreswechsel ohne Jahresbestenlisten – höchste Zeit also, auch in diesem Jahr wieder mit einer Liste von Leseempfehlungen aufzuwarten! (Die Leseempfehlungen der letzten Jahre finden sich hier). Auch dieses Jahr haben wir unsere Mitglieder unter der Redaktion von Robin-M. Aust um ganz subjektive Lektüretipps gebeten, die aus den vergangenen zwölf Monaten im Gedächtnis geblieben sind – aus welchen Gründen auch immer. Hier also einige Notizen zum vergangenen Comicjahr 2018:

 

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Jörn Ahrens

Professor für Kultursoziologie, Justus Liebig Universität Giessen

Gipi: Die Welt der Söhne

avant-verlag

Gipis Stil wirkt skizzenhaft, zuweilen lässig bis geradezu nachlässig. Dennoch sind seine Zeichnungen, der Aufbau seiner Seiten ausgesprochen umsichtig durchkomponiert. Das scheinbar Unfertige, Flüchtige der Zeichnungen spiegelt die Fragilität der Figuren. In Die Welt der Söhne entwirft er ein apokalyptisches Szenario in schwarz-weiß, ganz ohne Backstory. Die Welt scheint geflutet, das Land ist weitgehend verschluckt. Die Katastrophe muss wenige Jahrzehnte zurückliegen; die Erwachsenen kennen noch eine andere Welt. Die Protagonisten, zwei Brüder und ihr Vater, leben auf dem Wasser, um sie herum kaum Menschen und beinahe nichts, das sie ernährt. Der Vater will, dass seine Söhne in dieser feindlichen Umwelt überleben können; Lesen bringt er ihnen gar nicht mehr bei. Jede Person, die auftaucht, wirkt erst einmal misstrauisch und kampfbereit. Menschen sind physiognomisch verunstaltet, wohl durch Kontamination, oder im Geiste durch eine grassierende inhumane Exzessreligion, die das Abschlachten anderer feiert. In seiner mit fast 300 Seiten bislang umfangreichsten Arbeit zeigt Gipi, wie sich Menschlichkeit reduziert auf Formen der Gewalt. Einerseits. Andererseits handelt es sich um eine ziemlich ruhige Meditation über die mentale Verfasstheit von adoleszenten Jungs, bei der die postapokalyptische Umwelt häufig nebensächlich wird. Die Brüder suchen etwas anderes, als nur das Überleben. Sie sehnen sich nach dem Anderen der Gewalt, nach Möglichkeiten der Kultur. Grandios, wenn sie das Tagebuch des Vaters nach dessen Tod durchblättern – über Seiten hinweg zeigt der Comic unleserliches Gekrakel, wie es die illiteraten Jungs sehen. Erst die allerletzte Seite eröffnet mit dem einzigen Lächeln im ganzen Buch einen Hinweis auf die Möglichkeit von Humanität.

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Pascal Regnauld / Roger Seiter: Mord für Mord, B.1: Gila Monster / B.2: Atemstillstand

Schreiber & Leser

Pascal Regnauld zeichnet Hintergründe für Sokals Inspector Canardo. Mit Mord für Mord hat er nun, nach einem Szenario von Roger Seiter, seine erste eigenständige, zweibändige Arbeit vorgelegt, und man darf sagen: das wurde auch Zeit. Ganz im Geiste des amerikanischen Film Noir (und gespickt mit Anspielungen) entwirft Seiter eine klassische, in den 1960er Jahren angesiedelte Gangstergeschichte um einen Mann, der seine Identität sucht. Wenn er sie schließlich findet, wird es zum Überleben zu spät sein. Das ist solide erzählt und macht Spaß zu lesen. Aber das wirkliche Fest sind Regnaulds Zeichnungen, die weder farbig sind, noch schwarz-weiß, die Figuren im Stil des Semifunny vor Art-Déco-Hintergründe setzen. Wenn Regnauld schwarz-weiß betont, mischt er zugleich blau ein und spielt mit der Palette möglicher Farbtonabstufungen, um seinen Zeichnungen trotz weitgehender Unfarbigkeit eine hohe Kontrastdichte zu geben; dasselbe kann er auch mit Sepia. Nur das Blut tropft rot ins Bild. Seinen Figuren gibt er häufig weiße Konturlinien, die Gegenstände haben oft gar keine. Selten hat man einen so eleganten Comic gesehen.

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Nury / Brüno: Tyler Cross, Bd.3: Miami

Carlsen

Seit 2016 erscheint Tyler Cross von Fabien Nury und Brüno im Carlsen Verlag; die Alben haben jeweils einen Umfang von um die 90 Seiten. 2018 ist mit Miami der dritte Band erschienen. Nury entwirft kompromisslos harte Geschichten, manchmal verwickelt, immer spannend und immer konsequent genregerecht. Wenn hier Klischees Verwendung finden, dann nur weil die Serie auch eine Hommage ist (ohne deshalb im mindesten ironisch zu werden). Tyler Cross ist ein Killer, der sehr professionell ist. Auch wenn er regelmäßig in Probleme schlittert, helfen ihm sein kühler Kopf und seine hinreichend rudimentär ausgeprägte Menschlichkeit am Ende immer, mit diesen auch klarzukommen. Brünos Zeichnungen sind, obwohl oberflächlich betrachtet ungemein konkret, extrem suggestiv und nur schwer einer Schule zuzuordnen. Alles ist über die Maßen stilisiert und flächig gehalten. Letztlich bleibt immer nur das Nötigste im Bild. Die Kolorierung von Laurence Croix greift dieses Prinzip konsequent auf und arbeitet ohne Abstufungen in einem monochromen Nebeneinander. So entfaltet sich eine extrem dichte Atmosphäre, die den Comic durchgängig trägt. Atemlos hechtet man als Leser durch die Bände und will gleich noch einmal oder mehr lesen.

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Robin-M. Aust

Literaturwissenschaftler, Heinrich Heine Universität Düsseldorf

Jakob Hinrichs: Der Trinker, nach Hans Fallada

Aufbau

Die Geschichte von Falladas Der Trinker (1944) ist an sich schnell erzählt: ein biederer Kaufmann gerät in die Alkoholabhängigkeit, verliert den bürgerlichen Halt und zerstört so sukzessive sein Leben. Soweit, so gut. Hinrichs kombiniert in Der Trinker diese fiktionale Geschichte mit Falladas eigener Biographie. Der Schriftsteller selbst agierte in seiner eigenen Alkohol- und Morphiumsucht vielleicht noch selbstzerstörerischer als der Protagonist seines Trinkers, versucht, seine Frau umzubringen und landet im Gefängnis. Hinrichs kombiniert die eigentlich simple Trinker-Erzählung mit Details aus anderen Erzählungen Falladas, aber auch biographischen Fetzen, Briefen zu einem Portraits eines Künstlers, der an seiner eigenen Existenz – grundlos? – scheitert. Wie auch schon bei Hinrichs vielleicht noch ein Stück dichteren Traumnovelle (nach Arthur Schnitzlers Erzählung von 1926) begeistern natürlich auch in Der Trinker die überbordend bunten, gleichzeitig tristen Bilder, die mal surreale-assoziativ, teils rauschhaft-ungreifbar, immer ungemein detailverliebt und anspielungsreich daherkommen.

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Isabel Kreitz (Hrsg.) u.a.: Die Unheimlichen (Reihe)

Carlsen

Eine Leseempfehlung, diesmal nicht unbedingt für individuelle Comics, sondern für eine neue Reihe: Die Unheimlichen erscheint bei Carlsen seit 2018 unter der Regie von Isabel Kreitz (Haarmann, Pünktchen und Anton, Die Entdeckung der Currywurst) und bringt unterschiedliche namhafte deutsche Zeichner_innen und klassische Gruselstoffe der Literaturwelt zusammen – ein Konzept, das bei mir natürlich auf Gefallen stößt und bisher zu einer Handvoll interessant-skurriler Adaptionen geführt hat. Bisher gezeichnet haben u.a. Nicolas Mahler (Der Fremde! nach Elfriede Jelinek) und Barbara Yelin (Das Wassergespenst von Harrowby Hall nach John Kendrick Bangs); für 2019 angekündigt ist Unterm Birnbaum nach Theodor Fontane, diesmal gezeichnet von Birgit Weyhe. Es bleibt, gespannt abzuwarten, welche Stoffe und Zeichner Isabel Kreitz noch für dieses Projekt zusammenführen kann.

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Nicolas Mahler: Das Ritual

Reprodukt

Auch 2018 war für Nicolas Mahler produktiv: Nach dem Re-Release seiner pseudo-autobiographischen Comics unter dem Titel Die Goldgruber-Chroniken,der gerade erwähnten Jelinek-Adaption, diversen Cartoon-Bänden, mehreren Lyriksammlungen und natürlich Literaturadaptionen erscheint mit Das Ritual mal wieder eine neue Erzählung von Mahler. Die kommt diesmal schon fast ungewohnt bunt daher – und es passiert für Mahler-Verhältnisse fast schon ungewöhnlich viel. Ausgangspunkt dieser Erzählung ist der japanische SFX-Pionier Eiji Tsuburaya, bekannt für die Godzilla-Filme – oder besser: für die in ihnen auftretenden Gummimonster. Mahler zeichnet in Das Ritual ein einfühlsames Portrait einer als Trash belächelten Kunst und der dahinterstehenden Künstler, das als Mahler-Comic gewohnt tragisch, komisch und selbstreflexiv daherkommt.

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Tillmann Courth

Comicjournalist und Blogger (COMIXENE, Comicoskop, tillmanncourth.de)

Mikael Ross: Der Umfall

avant

Beachtliche Graphic Novel über Menschen mit ‚Behinderung‘. Die jedoch nie als solche vorgeführt, geschweige denn als solche charakterisiert werden.
Noel Stock ist ein junger Mann, der nicht alleine leben kann. Als seine Mutter von einem Schlaganfall getroffen ins Koma fällt, kippt auch Noels Leben aus seiner Verankerung. Man bringt ihn zur Betreuung nach Neuerkerode, eine Dorfgemeinschaft aus Menschen mit und ohne Behinderung. Wie sich Noel hier in ein neues Leben finden muss und welche Kontakte er knüpft, davon erzählt Mikael Ross in Der Umfall. Ein Comic über Verluste, über Flüchtigkeit, Vergänglichkeit – und gerade dadurch auch über den Zauber des Augenblicks, die Macht der Fantasie und die Notwendigkeit menschlicher Fürsorge.
Am Ende sind einem Noel und seine schrägen Freunde (der ordnungsneurotische Valentin, die übergriffige Alice, der gutmütige Betreuer Robert, die lebenslustige Penelope) ans Herz gewachsen. Ein spezieller, leiser Humor sowie der karikatureske Strich runden DER UMFALL zu einer Sternstunde der ‚Graphic Medicine‘ ab. Besser kann man Menschen mit ‚Behinderung‘ nicht ins Licht rücken.

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Barbara „Eggy“ Eggert

Kunsthistorikerin und Comicautorin, ab Februar an der Kunstuniversität Linz

Jen Wang: The Prince and the Dressmaker

First Second

Eine warmherzig-humorvolle gender-bender Story mit überraschendem Ende, aus meiner Sicht geeignet für Menschen ab 10 Jahren. Die märchenhafte Geschichte im historischen Gewand verwebt zeitlose Themen wie Freundschaft, Liebe, Mode – und vor allem die Herausforderung, zu sich selbst zu stehen, auch wenn dies einen Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen bedeutet. Ein panelsprengendes Farb- und Formvergnügen – was das Cover nicht
unbedingt erwarten liess… Das Buch wurde vom Cartoon Art Museum San Francisco von Februar bis August 2018 im „Emerging Artist Showcase“ gefeatured.

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Ole Frahm

Literaturwissenschaftler, Arbeitsstelle für Graphische Literatur (ArGL) Hamburg

Paul Karasik, Mark Newgarden: How to Read Nancy. The Elements of Comics in Three Easy Panels.

Fantagraphic Books

1998, im Schreibheft. Zeitschrift für Literatur 51, veröffentlichten Martin tom Dieck und Jens Balzer Variationen von Mark Newgarden über Ernie Bushmillers Nancy. Damals hieß es schon, meine ich, er arbeite an etwas Größerem über den Strip. Nun, läppische 19 Jahre später hat der Zeichner mit Paul Karasik (der vor wiederum zehn Jahren die Arbeit von Fletcher Hanks wiederveröffentlicht hat) eine wunderbare Würdigung des Strips vorgenommen, indem sie einen Strip der Serie mit drei Panels vom 8. August 1959 in seine 44 Bestandteile zerlegen. Vom Strip ist jeweils nur der Teil zu sehen: Nr. 28 zeigt die Blickbeziehungen, Nr. 35 die Gestaltung der Sprechblasen, Nr. 40 die Typographie des Copyrightvermerks und Nr. 43 diskutiert das vierte Panel und zeigt: eine weiße Seite. Ich kann mir keine bessere Literatur über Comics vorstellen.

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Neal Adams, Rafael Medoff, Craig Yoe: We Spoke Out. Comic Books and the Holocaust.

IDW Publishing

Inzwischen ist Stan Lee gestorben, aber sein Vorwort zu diesem Band wird er noch gelesen haben. Dort behauptet er, die Lektüre der Comic-Geschichten hätten die jungen Menschen dazu erzogen, dass der Holocaust sich nicht wiederholen dürfe. Ob die Geschichten, die hier zusammengesucht wurden, diesen Anspruch erfüllen, sollte jede und jeder selbst überprüfen. Manche berühren den Holocaust eher indirekt, wie die Batman-Story „Night of the Reaper“, andere gehen recht frei mit historischen Tatbeständen um, aber gerade fiktionale Geschichten wie „Thou Shalt not Kill“, in der eine Steinstatue zum Golem erwacht, um sich an den marodierenden Wehrmachtssoldaten zu rächen, sind es allemal wert, wieder gelesen oder überhaupt entdeckt zu werden: „The golem walks again!“

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Ari Folman, David Polonsky: Das Tagebuch der Anne Frank.

Fischer

Manche der Bildfindungen, die Adams, Medoff und Yoe versammelt haben, lassen sich in der graphischen Version von Anne Franks Tagebuch wiederfinden. Viele andere wären zu ergänzen und erzeugen einen interessanten Eklektizismus, wenngleich der nicht immer unproblematisch ist. Ich bin gespannt, wie sich dieser Band in zwanzig Jahren liest und wie er dann bewertet werden wird. Das erste Jahr hat diese kluge Aktualsierung des Tagebuchtextes gut überstanden.

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Dietrich Grünewald

Kunstdidaktiker, Emeritus Universität Koblenz-Landau, ehem. 1. Vorsitzender der ComFor

Mikael Ross: Der Umfall.

avant

Hervorgegangen aus der privaten Initiative Pastor Gustav Stutzers 1868, hat sich die Evangelische Stiftung Neuerkenrode in Niedersachsen zu einem verzweigten sozialwirtschaftlichen Unternehmen entwickelt, das Menschen mit Beeinträchtigungen ein lebenswertes Zuhause bietet. Wenn diese großartige und wichtige Stiftung zum 150jährigen Jubiläum auf die Idee kommt, das mit einem Comic zu feiern – so sagt das viel über ihr liberales Selbstbewusstsein aus, zeigt aber auch, dass Bildgeschichten im kulturellen Bewusstsein unserer Zeit angekommen sind, dass sie akzeptiert werden und als eine wunderbare Möglichkeit der Kommunikation gesehen werden. Der Münchener und Wahlberliner Zeichner Mikael Ross, der mit Nicolas Wouters den gelungenen, spannenden wie nachdenkeswerten Bildroman Totem (avant 2016) geschaffen hat, hat zwei Jahre lang für seine Graphic Novel recherchiert. Der Umfall ist kein Werk sprühender ästhetischer oder dramaturgischer Innovation, aber Ross erzählt solide, gut mitempfindbar, in gelungenen leicht cartoonierten Zeichnungen, die jedes falsches Pathos, jede Form von „gutmeinender Anteilnahme“ ausschließen, die uns aber nahe miterleben, mitärgern, mitfreuen lassen, wenn der geistig behinderte junge Noel plötzlich alleine ist und in Neuerkerode lernt sein Leben zu meistern. Mir gefällt die Bildgeschichte sehr gut, eben weil sie kein Hymnus auf die Stiftung in beweihräuchernder Form ist, sondern völlig unpathetisch, lustig und unterhaltsam eine aufschlussreiche Geschichte erzählt, die sehr viel mehr Empathie wecken kann, als moralisierende Botschaften. Ich wünsche dem Comic viele viele Leser und Leserinnen!

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Linda Heyden

Literaturwissenschaftlerin, Universität Jena

Jeff Lemire, Dustin Nguyen: Descender, The Machine War (B. 6)

Image Comics

Von Jeff Lemire findet sich dieses Jahr vor allem „Black Hammer“ auf den Empfehlungslisten, aber ich möchte anlässlich des letzten Bandes, der dieses Jahr erschien, die Science-Fiction-Serie „Descender“ empfehlen.
Zugegeben beginnt die Geschichte zunächst sehr generisch in einer Zukunft, in der Menschen und Maschinen gegeneinander Krieg führen und der humanoide AI-Junge Tim-21 eine entscheidende Rolle spielt. Doch den Figuren, deren Hintergrundgeschichten und Charaktere sich nach und nach enthüllen, will man von Anfang an folgen. Vor diesen Figurenentwicklungen entspannt sich nebenbei die Geschichte, die dann im sechsten Band ihre größte Wendung nimmt und Lust macht auf die Fortsetzungsserie „Ascender“.
Vor allem aber fesselt vom ersten Cover an die visuelle Umsetzung in den Aquarellen von Dustin Nguyen, die beim Lesen wieder und wieder zum Verweilen einladen. Die Verbindung von SciFi-Genre und Aquarellstil ist ungewöhnlich und erzeugt eine besondere Atmosphäre. Nguyen wechselt immer wieder das Seitenlayout und die Farbpalette, so dass sich ständig neue visuelle Eindrücke bieten. Besonders das Layout mit 4 schmalen Panels, die über die Seitenbreite reichen, sind durch ihre Sequenzierung und Perspektivierung sehenswert. Farblich dominieren in Band 6 schließlich zarte Pastelltöne, in die sich die maschinellen Sprechblasen und Schriften von Steve Wands bei aller visueller Spannung durchaus harmonisch einfügen.

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Elisabeth Klar

Komparatistin, Autorin beim Residenz Verlag

Daniela Schreiter: Schattenspringer (Band 1-3)

Panini

Es wird viel zum Thema Autismus geschrieben, Betroffene hingegen kommen selten selbst zu Wort – schon allein deshalb wäre Daniela Schreiters (aka Fuchskind) Serie Schattenspringer, in der sie von ihrer Kindheit (Band 1) und Jugend (Band 2) als Asperger-Autistin erzählt, eine Empfehlung für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen wollen. Fuchskinds Comics sind aber zudem noch abwechslungsreich erzählt und voller Humor, und nutzen das Medium und all seine Möglichkeiten gekonnt, um die eigene Erfahrungsrealität auszudrücken – dabei lässt Fuchskind sich keine Gelegenheit zu geekigen Pop-Kultur-Referenzen entgehen. Bereits in Band 1 erklärt Daniela Schreiter, dass die Erfahrung eine_s einzelnen Autist_in allein niemals Verallgemeinerung auf andere Betroffene zulässt. Umso konsequenter ist es, dass sie in Band 3 schließlich andere Autist_innen zu Wort kommen lässt und deren Lebensgeschichten Raum gibt. Fuchskinds Schattenspringer-Serie ist reflektiert und informativ, regt zum Hinausblicken über den eigenen (neuro-typischen) Tellerrand hinweg an, oder lässt vielleicht ein Wiedererkennen eigener Erfahrungen zu – und es ist auch einfach ein sehr gut gemachter Comic.

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Lukas Kummer, Thomas Bernhard: Die Ursache

Residenz

Nach Nicolas Mahlers Adaptationen von Büchern von Thomas Bernhard (Alte Meister, Der Weltverbesserer) hat Lukas Kummer die Herausforderung angenommen, den ersten Teil der Autobiografie von Bernhard, Die Ursache, in das Comic zu übertragen. Dass Lukas Kummer dafür einen anderen Weg als Mahler einschlägt, ist gut, denn auch den zugrundeliegenden Text tragen eine andere Stimmung und ein anderer Anspruch. Lukas Kummer arbeitet mit Rhythmus und Wiederholung, mit dem Text als das Bild teilweise überdeckendes Zeichen, mit Raum und dabei insbesondere Häuserfassaden als Ausdruck der „abtötenden“, erstarrten, nach außen hin abgeschlossenen Stadt Salzburg. Wie im Text selbst gibt es keine direkte Rede, nur Bernhards stetiges Kommentar der auf den Panels abgebildeten Orte und Ereignisse. Der abstrahierte, reduzierte Zeichenstil erschafft gemeinsam mit der Farbwahl (Grau- und Schwarztöne, starke Kontraste) eine harte, kalte, ja unmenschliche Atmosphäre, in der die Menschen den Dingen untergeordnet oder zumindest gleichgestellt sind, und die das Erleben Bernhards in dem Text authentisch widerspiegeln, den_die Leser_in gleichzeitig in das Geschehen und in Bernhards Gedanken hineinziehen, ja, gar nicht mehr loslassen.

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Lukas R.A. Wilde

Medienwissenschaftler, Universität Tübingen

Jeff Lemire und Andrea Sorrentino: Gideon Falls

Image

Während sich im amerikanischen Non-DC/Marvel-Bereich scheinbar das ganze Jahr nur um Jeff Lemires Black Hammer gedreht hat, wurde ich durch ein regelrechtes Image-Revival geschleift: Skottie Youngs zauberhaftes Middlewest, Ed Brubakers und Sean Phillips routiniertes My Heroes Have Always Been Junkies, Ann Nocentis und David Ajas verstörendes The Seeds, Jody Leheups und Nathan Fox‘ wahnwitziges The Weatherman, die schwindelerregende Worldbuilding-Prämisse in Ryan Cadys und Andrea Muttis Infinite Dark, selbst Joe Hendersons und Lee Garbetts hanebüchend unterhaltsames Skywards… Im Sommer machte indes ein Einkauf von TV-Rechten Schlagzeilen, der bereits vor dem Erscheinen der ersten Comic-Ausgabe unter Dach und Fach war: Ein anderer neuer Wurf von Lemire: Gideon Falls. Eine Twin Peaks-artige Horrorstory in einer Midwest-Kleinstadt, aus der man nach dem Lesen gar nicht mehr herausfindet; gefallene Priester, Geheimbünde, Schizophrenie… Warum ich bei dieser Adaptation trotzdem skeptisch bleibe: Angesichts der zuvor genannten Konkurrenz hätten es die soliden Gruseleien niemals ohne Zeichnerin Andrea Sorrentino an die Spitze meiner Liste geschafft. Gemeint sind noch nicht mal ihre grisselig-pseudofotografischen Bilder, sondern das schwindelerregende Panel-Layout. Mehrmals pro Ausgabe finden sich formale Experimente, wie man sie sonst höchstens bei J.H. Williams III gesehen hat; zersplitterte, gefaltete, zu Mosaiken zusammengesetzte Panel-Geflechte, die dennoch ganz im Dienst erzählerischer Verunsicherung stehen. Gideon Falls per Handy auf ComiXology-App zu lesen ist, wie einen Kinofilm ohne Ton zu schauen – allein wegen dieser Erkenntnis ist jede neue Ausgabe ein kleines Juwel!

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Steven Olando und Garry Brown: CRUDE

Image

Nachdem meine vorige Auflistung an Empfehlungen eher interessante Titel enthielt, als dass man ihre nachhaltige Relevanz bereits treffsicher einschätzen könnte, gibt es für Steven Olandos und Garry Browns CRUDE keinerlei Rückhalte. Die Autoren entwerfen hier eine Orwell‘sche Sozialallegorie, die tief in ein Fass Frank Miller getunkt worden ist, um dabei alles zu zertrümmern, was an Frank Miller schon lange toxisch und reaktionär geworden ist. Eine russische Arbeiterkolonie aus Raffinerien und industriellen Niederwelten wird uns als Utopie verkauft, um endlich in Freiheit leben und zu lieben zu dürfen. Darum herum ist eine kapitalistische Maschine errichtet, die den Traum dieser Freiheit in harten Zahlen ausbeutet. Im Inneren dieser erschreckend gegenwartsnahen Blade Runner-Welt prügelt sich eine scheinbare Hard Boiled-Karikatur durch die Gassen und Kasernen, um den Tod seines Sohnes zu rächen, der selbst unerhörte Angst vor ihm und seiner elenden Intoleranz hatte – die es vielleicht nie gab, wenn man mal angefangen hätte, miteinander zu reden. Der alte Bastard bricht Knochen und zersplittert Schädel um dabei – auf eine unerklärlich anrührende Weise – das Genre in den Dienst von Liebe und Toleranz zu prügeln, ohne dabei je seine Regeln zu verlassen.

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Magdalene Visaggio und Sonny Liew: Eternity Girl

DC’s Young Animal

Soviel zum Thema Image, doch ich muss auch sagen: ich habe DCs Vertigo-Imprint vermisst, insbesondere die schrägen, weirden Stories der ersten Phase des Labels! Nun steht zwar ein großer „DC Vertigo“-Relaunch an, die ersten Titel lesen sich auch ganz hervorragend (Border Town und American Carnage) – aber doch eher wie weitere neue Image-Comics. Indes hat parallel DC’s Young Animal-Label weiter Fahrt aufgenommen, und nun, nach dem DCU-Crossover „Milk Wars“ in Phase II, geht die Formal auch langsam richtig auf. Insbesondere von Magdalene Visaggios und Sonny Liews Miniserie Eternity Girl war ich schwer begeistert, die genau den sweet spot zwischen identitätsforschender psychologischer Erzählung, high concept-Superhero-Wahnsinn in Jack Kirby-Dimensionen und Genre- und Medienbespiegelungen umkreist. Ein wilder Ritt wie bei Grant Morrisons Frühwerken zu Zeiten von Doom Patrol oder Flex Mentallo: Visaggios erzählt von Caroline Sharp, einer manisch depressiven Super-Agentin in Zwangsbeurlaubung, die entweder unsterblich ist oder in einem grässlichen Kreislauf aus ewigen Wiedergeburten feststeckt. In verschachtelten, sich gegenseitig metaphorisierenden Erzähl- und Realitätsebenen taumelt Sharp durch eine kosmische Odyssee, die sich auf den erlösenden Tod zubewegt, dabei aber das gesamte Universum in die Auslöschung zu reißen droht. Deutlich zu weird, um es je in einen Kanon – oder in eine TV-Adaption – zu schaffen, und genau darum mein Geheimtipp des Jahres!

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Neue Publikationsreihen angekündigt

Kürzlich wurden von den jeweiligen Herausgeber_innen gleich zwei neue Publikationsreihen im Bereich der englischsprachigen Comicforschung angekündigt:

Bei Wilfried Laurier University Press ist unter Herausgeberschaft von Barbara Postema, Candida Rifkind und Nhora Lucía Serrano die Publikationsreihe Crossing the Lines: Transcultural/Transnational Comics Studies in Vorbereitung. Diese interdisziplinäre Reihe sucht zeitgenössische Forschungsansätze, welche Comicforschung mit Impulsen aus den Gender Studies, der Kunstgeschichte und den Visual Studies sowie Postcolonial und Diaspora Studies verknüpfen. Nähere Informationen und Kontaktadressen können im Ankündigungsflyer gefunden werden. –> Zum Flyer

Bei Routledge ist die Reihe Routledge Focus on Gender, Sexuality, and Comics Studies geplant, herausgegeben von Frederik Byrn Køhlert. In dieser Reihe soll es gezielt um Beiträge aus dem Bereich der Gender und Sexuality Studies gehen, die sich mit Comics und comic-verwandten Formen sowie mit deren Konsum beschäftigen. Nähere Informationen und Kontaktadressen können im Ankündigungsflyer gefunden werden. –> Zum Flyer

Die Herausgeber_innen rufen zum Einreichen von Kurzbeschreibungen relevanter Publikationen auf. Näheres dazu in den jeweiligen Flyern.

Online-Dokument: „Gott (christlich) und Charlie Hebdo“

Am 30. Juli 2018 erschien die von Stephan Packard und Lukas R.A. Wilde herausgegebene Online-Publikation Charlie Hebdo: Nicht nur am 7. Januar 2015!
-> Weiter zur Publikation mit allen Beiträgen

Ein zusätzlicher Beitrag zur Debatte um Charlie Hebdo wurde später von ComFor-Mitglied Martin Wambsganß in Form eines persönlichen Essays nachgeliefert. Das 72 Seiten starke Online-Dokument „Gott (christlich) und Charlie Hebdo. Bausteine einer laufenden Auseinandersetzung“ wurde vom Autor für alle Interessierten zur Verfügung gestellt und kann hier frei heruntergeladen werden.

-> Zur Pdf (6,2 MB) 

Martin Schüwer-Publikationspreis

für herausragende Comicforschung

Nachwuchspreis, ausgeschrieben von der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) sowie der AG Comicforschung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM)

Die Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) und die AG Comicforschung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) loben 2018 zum ersten Mal den Martin Schüwer-Publikationspreis für herausragende Comicforschung aus. Der Preis wird ab 2019 jährlich verliehen. Er fördert den wissenschaftlichen ‚Nachwuchs‘, d.h. Wissenschaftler_innen, die, unabhängig von ihrem tatsächlichen Alter, noch keine unbefristete akademische Anstellung innehaben. Mit der Auszeichnung herausragender Veröffentlichungen aus dem Bereich der interdisziplinären Comicforschung soll der Publikationspreis zur nachhaltigen Sichtbarmachung, Förderung und Vermittlung comicbezogener Forschungsarbeit beitragen.

Der Preis ist nach dem 2013 viel zu früh verstorbenen Anglisten und Comicforscher Martin Schüwer benannt. Seine Dissertation Wie Comics erzählen (2006) hat Neuland für die narratologische Comicforschung erschlossen und ist zu einem Standardwerk der deutschsprachigen Comicforschung geworden. Mit dieser und seinen weiteren Arbeiten zu Comics sowie zur Didaktik der englischsprachigen Literatur hat Martin Schüwer Maßstäbe für die Exzellenz, die Zugänglichkeit und die Reichweite gesetzt, die Publikationen in unseren Fächern erreichen können. Als Comicforscher wie als Mensch zeichnete er sich durch seine interessierte und offene Art im Umgang mit anderen aus. Gemeinsam, im Austausch und im Abgleich mit anderen, wollte er sein Fach weiterbringen. Diesen Zielen widmen wir den Preis in seinem Namen.

Einreichung und Nominierungen:
Weiterlesen: Einreichung und Nominierungen

Sommerpause

Die Redaktion der Gesellschaft für Comicforschung verabschiedet sich in die Sommerpause. Daher wird es bis zum 1. Oktober 2018 keine wöchentlichen Updates geben. Hinweise auf neue Ausstellungen und aktuelle Calls for Paper lassen sich aber weiterhin unregelmäßig hier finden.

Bevor wir uns verabscheiden, möchten wir alle Comic-Interessierte noch einmal herzlich zur Jahrestagung der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) einladen. Unter dem Motto „Zwischenräume – Geschlecht, Diversität und Identität im Comic“ findet die Tagung dieses Jahr vom 17. bis 19. September an der Universität zu Köln statt. Die Gastgeberinnen sind Véronique Sina und Nina Eckhoff-Heindl. Die Anmeldung ist noch bis zum 31. August möglich.

Die Redaktion bedankt sich bei allen Leser_innen und wünscht eine schöne Sommerzeit!

ComFor-Publikation „Charlie Hebdo“ erschienen

Charlie Hebdo:
Nicht nur am 7. Januar 2015!

Lukas R.A. Wilde und Stephan Packard (Hrsg.)
Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) e.V.
104 Seiten
Open Access
ISBN 978-3-0006-0367-9
Juli 2018

Charlie Hebdos Karikaturen und Comics und ihre weiteren satirischen Beiträge sind älter als die Anschläge am 7. Januar 2015 und haben sie überlebt: Sie gehen thematisch weiter, sind vielfältiger und aus mehr Perspektiven zu betrachten, als es nach jenem Januar in vielen Medien geschah. Diese Ausweitung der Perspektive in der vorliegenden Sammlung nimmt die Karikaturen, Comics und weiteren Formate in Charlie Hebdo in den Blick. Sie versteht diese als politisch im starken Sinne des Wortes: Indem sie genuin offene Fragen verhandeln, können sie in keinem einfachen Konsens, nicht einmal dem bindenden der Demokratie und der Kunst- und Meinungsfreiheit, auf deren Boden sie stehen, vollständig aufgehen.

Diese Sammlung geht aus der Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaft für Comicforschung direkt nach den Anschlägen hervor. Dabei entstand der Wunsch, mehrere verschiedene Stimmen zu Charlie Hebdo in einer ruhigeren, ausführlicheren und differenzierteren Weise sprechen zu lassen, als es damals gelang. Auch deshalb haben wir uns für diese Ausgabe sehr viel Zeit genommen. Sie ist gerade keine Antwort auf die feigen Morde vor drei Jahren, sondern Ausdruck eines Interesses an der Zeitschrift, das darüber hinausgeht. Die fleckigen Spuren auf dem Titelbild meinen daher Tinte.

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Inhalt:

Nicht nur am 7. Januar 2015:
Politische Karikaturen und Comics in Charlie Hebdo – Zur Einleitung

Catherine Michel und Stephan Packard
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Ein Prophet ist keine Pfeife:
Charlie Hebdo und der Karikaturenstreit

Barbara Eder:

Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Reaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo auf das politische Ereignis des Karikaturenstreits. Dieses wurde in Ausgabe 712 unter Rückgriff auf mehr als 18 satirische Zeichnungen kommentiert. Wegen angeblicher rassistischer Beleidigungen musste sich der damalige CH-Chefredakteur dafür in einem Prozess gegen den Dachverband der französischen Muslime verantworten. Im Artikel werden die Zeichnungen von Ausgabe 712 als Grundlage für eine semiotische Analyse herangezogen, die die Frage nach den subjektiven Bedingungen des Rezeptionsprozesses ebenso aufwirft wie jene nach der möglichen Reichweite des gezeichneten Witzes. Aus den betont selbst- und medienreflexiven CH-Karikaturen allein – so die These – lässt sich der Vorwurf einer gezielt betriebenen, rassistischen Verleumdung keineswegs ableiten. Die CH– Zeichner_innen karikieren in Ausgabe 712 nicht nur Sujets aus der muslimischen Welt, sondern sämtliche höchste Wesen aller Weltreligionen. Sprechpositionen von Menschen aus islamischen Herkunftsländern, die bislang marginalisiert worden waren, finden darin Beachtung. Mit dem Abdruck des Statements „Pour la liberté d´expression“ der „Association du Manifeste des libertés“ beziehen etwa in Frankreich lebende Atheist_innen in Ausgabe 712 erstmals Stellung zu den dänischen Karikaturen.
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Humor ist eine ernste Sache:
Charlie Hebdo zeichnet und schreibt die Attentate des 7. Januars

Elisabeth Klar:

Die Attentate vom Januar 2015 stellen einen ebenso entsetzlichen wie entscheidenden Einschnitt in der Geschichte von Charlie Hebdo dar. Sie gehen mit Trauma, Verlust und gleichzeitig drastisch erhöhter medialer Aufmerksamkeit einher: einer verstärkten globalen Rezeption, die von Solidarisierung bis zu Verurteilung reicht. Die Zeitschrift publiziert nach dem 7. Januar 2015 kontinuierlich weiter, und vollzieht den Reflexionsprozess zu den Gewalttaten in ihren Texten und Karikaturen nach. Der folgende Artikel versucht nachzuzeichnen, wie die Gewalttaten und ihre Folgen in Charlie Hebdo während des Jahres 2015 besprochen werden; wie über Texte und Karikaturen Trauerarbeit geleistet, in diesem Kontext politische und gesellschaftliche Kritik verübt, und wie über Rezeption und ästhetische wie politische Möglichkeiten der Karikatur reflektiert wird. Ausgehend von dieser Analyse lässt sich auch eine ästhetisch-künstlerische wie politische Selbstdefinition der Zeitschrift skizzieren, die sich sowohl auf die Tradition und Geschichte der Zeitschrift rückbezieht als auch ständig neu verhandelt wird – und die den Leser_innen eine Position mit großer Verantwortung zuschreibt.
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Charlie als Symbol oder L’Esprit Charlie?
L’après-Charlie in den autobiografischen Comics von Luz und Catherine Meurisse

Marie Schröer:

Nach den Attentaten wurde Charlie Hebdo zu einem Symbol, dessen verschiedene Gruppen sich mehr oder weniger plakativ bedienten. In einer der im Internet verbreiteten links-liberalen Lesarten wurde primär die Oberfläche betrachtet, d.h. die Wahrnehmung auf die kontextlose Sichtung der Titelkarikaturen
beschränkt, um CH zum beispielhaften Symptom eines hegemonialen und rassistischen Diskurses zu erklären, der zur weiteren Marginalisierung der (französischen) Muslime beitrage. Die entgegengesetzte Extremposition bestand darin, die CH-Mitarbeiter_innen zu Märtyrer_innen, die Zeitschrift zum Symbol für Freiheit zu verklären. Auch dabei wurde wenig über die eigentlichen Inhalte, Motivationen und Motive der Satire-Zeitung berichtet. In Folge werden diese Symbole daher dekonstruiert und der Blick anschließend auf die auto-biografischen Comics der überlebenden Redaktions-mitglieder Luz und Catherine Meurisse gerichtet: Zwei Stimmen einer ehemals vielstimmigen Redaktion, zwei Menschen hinter dem Mythos, zwei Variationen des Esprit Charlie.
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Lachen über eine Tragödie:
Der Nahostkonflikt in Charlie Hebdo

Catherine Michel:

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Thematisierung des Nahostkonflikts in der Zeitschrift Charlie Hebdo. Im Zentrum stehen Fragen rund um den Aktualitätsbezug, d.h. welche Ereignisse (nicht) aufgegriffen werden, die Verteilung der Beiträge auf Text und Bild, die Autorenschaft, d.h. welche Beiträger_innen sich mit der Thematik systematisch oder nur gelegentlich auseinandersetzen, und schließlich der Humor selbst, mit dem an dieses explosive Themenfeld herangegangen wird. Dafür muss kurz allgemein auf das Thema ‚Hu­mor‘, die Vorgehensweise bei der Recherche für diesen Beitrag und das daraus resultierende Korpus eingegangen werden. Daran anschließend wird die eigentliche Auswertung der Text- und Bildbeiträge erfolgen; zunächst quantitativ hinsichtlich ihrer Verteilung auf Text und Bild, ihre Verteilung auf die einzelnen Epochen bzw. Publikationsjahre und auf die einzelnen Zeichner_innen/Autor_innen, und schließlich qualitativ, indem exemplarisch die Beitragsformen und deren Humor betrachtet werden.
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Medienecho zu ComFor-Tagungsbänden „Geschichte“ und „Grenzen“

Comics an der Grenze_Klein2016 erschien der Tagungsband „Comics an der Grenze: Sub/Versionen von Form und Inhalt“ (Ch. A. Bachmann, hrsg. v. Matthias Harbeck, Linda-Rabea Heyden und Marie Schröer) zur 9. ComFor-Jahrestagung 2014 in Berlin.

    • Im Online-Rezensionsforum literaturkritik.de bespricht Stefan Tuczek den Band. Er befindet, die Aufsätze seien „schon deshalb einen Blick wert, weil sie sich nicht mit den gängigen KünstlerInnen beschäftigen, sondern auch Comiczeichner wie Miguelanxo Prado oder Charles Burns in den Fokus der Betrachtungen ziehen … womit der Kanon noch einmal überdacht wird. Sehr erfreulich an dem Sammelband ist, dass jede Abteilung ein separates Vorwort erhalten hat, sodass der interessierte Leser sofort erfährt, was die folgenden Aufsätze mit dem großen Themenschwerpunkt der Grenzüberschreitung zu tun haben.“
    • Auch in der aktuellen Closure-Ausgabe #4 findet sich eine Rezension über den Band von Sebastian R. Richter. Er kommt trotz einiger Kritikpunkte zu dem Schluss: „Der Band ist sehr lesenswert. Im Detail finden sich Aspekte, die das Nachdenken, Diskutieren und auch Lesen von Comics mit dem Fokus auf Grenzsetzungen erweitern“.
    • Update vom 13. Mai 2018: Auf www.tagesspiegel.de rezensiert Thomas Greven den Band unter dem Titel „Theoretische Kanonen, empirische Spatzen“. Insgesamt scheint der Band dem Rezensenten zwar etwas uneinheitlich, führe aber auch „das Potenzial der deutschen Comicforschung“ vor Augen. Besonders der abschließende Beitrag Ole Frahms wird gelobt, der „sich explizit interdisziplinären – also wissenschaftlich Grenzen überschreitenden – Fragen“ zum Stand der Comicforschung widme.

Geschichte im ComicDer 2017 im Ch. A. Bachmann Verlag erschienene ComFor-Tagungsband „Geschichte im Comic: Befunde – Theorien – Erzählweisen (hrsg. v. Bernd Dolle-Weinkauff) versammelt Beiträge der 10. ComFor-Jahrestagung 2015 in Frankfurt/Main.

  • Bernd Hinrichs hat den Band für Splashcomics besprochen und für eine „interessante Aufsatzsammlung … mit vielen neuen Aspekten und Denkansätzen“ befunden.

 

ComFor-Leseempfehlungen 2017

Die Redaktion der Gesellschaft für Comicforschung wünscht ihren Leser_innen  und Freund_innen nachträglich noch einmal einen guten Jahresstart. Auch zu diesem Jahreswechsel möchten wir uns an den Listen aus Leseempfehlungen beteiligen, die man zum Jahreswechsel allerorts finden kann (hier geht es zu Leseempfehlungen der Vorjahre 2014-2016). Unter der Redaktion von Lukas R.A. Wilde haben wir unsere Mitglieder um ganz und gar subjektive Lektüretipps gebeten, die aus den vergangenen zwölf Monaten im Gedächtnis geblieben sind – aus welchen Gründen auch immer. Im Folgenden also einige Notizen zum Comicjahr 2017!

Juliane Blank

Literaturwissenschaftlerin (Germanistik), Universität des Saarlandes

D’Orsay-VariationenManuele Fior: D’Orsay-Variationen
Avant-Verlag

Auch wenn es sich um ein Auftragswerk des Musée d’Orsay handelt, erzählt der Comic nicht einfach die Geschichte des Museums. Stattdessen träumt sich Fior einen Streifzug durch die Kunstgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusammen – und zwar ganz wörtlich. Die von den Besucher*innen und den Gemälden genervte Museumswärterin schläft während der Arbeit ein und sieht im Traum ‚ihre‘ Künstler, die sie so gut kennt: In Momentaufnahmen wird gezeigt, wie sich die impressionistischen Künstler*innen um Edgar Degas darüber streiten, ob Kunst in der Natur oder im Museum von den ‚Klassikern‘ gelernt wird. Was hier in Variationen durchgespielt wird, ist die Frage nach der Dynamik von Ablehnung und Verehrung, nach den Mechanismen der Zuschreibung von Kanon und Avantgarde. Die Anekdoten, die Fior erzählt, sind nicht immer belegt; aber der Band ist auch kein Lehrbuch der Kunstgeschichte. Er zeigt vielmehr, wieviel Bewegung in der Kunstgeschichte ist, die uns heute so fixiert und scheinbar unumstößlich entgegen tritt, zumal im Museum. Dabei sieht der Comic auch noch wunderschön aus. Fior demonstriert einmal mehr seine Spezialität, durch Variation des visuellen Stils zu erzählen. Die Überblendungen zwischen verschiedenen Bilderwelten lassen die Leser*innen abtauchen in den Traum von der Kunst, aber auch immer wieder in ihrer eigenen Welt aufwachen – vielleicht mit einem neuen Blick.
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Tillmann Courth

Comicjournalist und Blogger (COMIXENE, Comicoskop, tillmanncourth.de)

My Favorite Thing is MonstersEmil Ferris: My Favorite Thing is Monsters
Fantagraphics

Das ganze Jahr schon mache ich Propaganda für dieses US-amerikanische Werk, das aus dem Nichts kam. Mein Comic des Jahres 2017! Die Comicdebütantin Ferris legt einen 380-Seiten-Klotz vor, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat: ein höchst eigenwillig illustriertes Werk um ein Mädchen aus Chicago, das im Jahr 1968 mit ihrer sexuellen Identität ringt und ihre Umwelt wie einen düsteren Horror-Krimi wahrnimmt. Auf liniertem und gelochtem Schreibheftpapier (!) breitet Ferris mit feinem Buntstift ein Panoptikum der Zeit und ein Sittengemälde der Nachbarschaft aus. Protagonistin Karen fantasiert sich aus ihrem elenden Unterschichten-Alltag heraus, indem sie sich in Kunst flüchtet, Selbstermächtigung aus Horror-Trash gewinnt und als kecke Detektivin einem realen Mordfall nachgeht. Dabei kommen noch dunkle Geheimnisse zu Tage, die bis in ein deutsches Konzentrationslager zurückreichen. Das alles klingt wahnsinnig verblasen, therapeutisch und anspruchsvoll. Dank der Brille der Naivität, durch die Karen blickt, kann Ferris jedoch ihre Themen federleicht und mit viel trockenem Witz jonglieren. My Favorite Thing is Monsters bewältigt auf spielerische Weise, woran sich Dutzende Kunstcomicschaffende die Zähne ausgebissen haben: ein popkulturelles, genderbewusstes, zeitkritisches Familiendrama mit Humor! Für mich ist dieser Comic „the great American GRAPHIC novel“ (eine extensive Besprechung findet sich auf meinem Kulturblog).
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Weiterlesen: Empfehlungen von elf weiteren Comic-Expert_innen der ComFor

Letzter Post 2017

Wie jedes Jahr verabschiedet sich die Redaktion der Gesellschaft für Comicforschung hiermit für eine kurze Feiertagspause. Wir wünschen allen unseren Mitgliedern und Freunden einen guten Rutsch und ein erfolgreiches Jahr 2018 mit vielen spannenden Leseerlebnissen. Ab dem 8. Januar 2018 sind wir wieder mit regelmäßigen Neuigkeiten zur Comicforschung zurück. Wie gewohnt werden wir das Jahr dann erneut mit einigen Primärliteratur-Empfehlungen von ComFor-Mitgliedern eröffnen.

Frohe Feiertage,
Alexandra Hentschel, Julia Ingold, Ulrich Koch, Laura Oehme & Lukas R,A. Wilde