Die Comic Art Collection der Michigan State University – ein kurzer Bericht

Wohin fahren, wenn man US-amerikanische Superheldencomics studieren sowie Fanzines und Prozines aus den 1960er Jahren bis heute lesen möchte?

Diese Frage stellte sich in der Antragsphase eines Forschungsprojekts zum Thema „Autorisierungspraktiken seriellen Erzählens am Beispiel der Gattungsgenese von Batman- und Spider-Man-Comics“. Das im Rahmen der Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ (Sitz: Georg-August-Universität Göttingen; Sprecher: Frank Kelleter) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit Oktober 2010 geförderte Projekt beschäftigt sich mit der historischen Funktion von Autorisierungskonflikten in der Evolution US-amerikanischer Superheldencomics und untersucht dabei vor allem den Einfluss, den die Aushandlung von Autor- und Leserrollen auf die Entwicklung dieser Comic-Gattung genommen hat und immer noch nimmt.

Die ursprüngliche Frage danach, wo man sich möglichst umfassend über US-amerikanische Superheldencomics bzw. Fanzines/Prozines informieren und Textmaterial sichten kann, konnte schnell beantwortet werden: Die Comic Art Collection an der Michigan State University (MSU) in East Lansing ist der ideale Ort für ein solches Unterfangen. Im Juli 2011 hatte ich die Gelegenheit, dieses Archiv für zwei Wochen zu besuchen. Was folgt ist ein kurzer Erfahrungsbericht, der dieses Archiv vorstellen und deutsche Comic-Wissenschaftler ermuntern soll, vom reichhaltigen Fundus der dort vorhandenen Sammlung Gebrauch zu machen (wer sich für Comics interessiert und aus anderen Gründen in Michigan ist, sollte ebenfalls einen Abstecher dorthin wagen). Zugang haben alle Wissenschaftler und Interessierte mit legitimem Forschungsinteresse; Reisepass oder Personalausweis reichen aus, um sich dort anzumelden.

Die Comic Art Collection geht auf den amerikanischen Professor Russel B. Nye zurück, der Anfang der 1970er Jahre damit begann, eine Comicsammlung an der MSU aufzubauen. Nye hatte sich mit Comics in seiner Monografie The Unembarrassed Muse: The Popular Arts in America (New York: Dial, 1970) beschäftigt und wollte seine Forschungsmaterialen (neben Comics auch Romane aus den populären Detektiv-, Science Fiction-, Western-, Romance- und Fantasy-Genres) für ein breites Publikum an Forschern und Studierenden zugänglich machen. Bis heute hat die Comic Art Collection vor allem auch durch das Wissen und die Arbeit des Bibliothekars und ehemaligen Comic-Ladenbesitzers Randall W. Scott ein solch umfangreiches Sortiment an amerikanischen und internationalen Comics gesammelt, dass sie, neben der Billy Ireland Cartoon Library & Museum an der Ohio State University in Columbus, zur ersten Adresse für Comicforscher in den USA geworden ist.

Die Sammlung umfasst umfangreiche Bestände an Comic Books (insgesamt um die 180.000 Hefte, die meisten davon im Original, andere auf Mikrofilm), Zeitungsstrips (circa 2,5 Millionen, darunter privat erstellte Sammelalben, thematisch geordnete clippings, sowie 2 Millionen noch nicht katalogisierte proof sheets des King Features Syndicate) und fast die gesamte existierende Forschungsliteratur über Comics (Monografien, Sammelbände, Zeitschriften), darunter auch deutsche Publikationen wie das Lexikon der Comics (hg. Marcus Czerwionka), das Jahrbuch Deutsche Comicforschung (hg. Eckart Sackmann), Comics, Mangas, Graphic Novels (hg. Heinz Ludwig Arnold und Andreas C. Knigge) und Comics: Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums (hg. Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva, Daniel Stein). Darüber hinaus besticht die Sammlung durch ihre internationale Breite. Es finden sich dort eine beachtliche Anzahl an Comics aus Argentinien, Belgien, Brasilien, Frankreich, Dänemark, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Korea, Mexiko, den Niederlanden, den Philippinen, Schweden und Spanien, und auch deutsche Comics sind gut vertreten: von Walter Moers’ Kleines Arschloch und den Arbeiten von Ralf König bis hin zu deutschen Ausgaben von Lucky Luke, Asterix, Tim und Struppi und den Lustigen Taschenbüchern, um nur bekanntere Werke zu nennen; auch weniger bekannte Comics wie Katrin Kremmlers, Regine Schuchs und Eva Wagendristels Ausgezeichnet! Lesben Comics oder Moneymaker: Von Geld, Gold, Öl von Wolfgang Wimmer und Gabriel Nemeth findet man dort. Das Besondere an dieser beeindruckenden Sammlung ist, dass sie weitgehend über den Online-Katalog der MSU sowie über den Online-Index der Comic Art Collection erschließbar ist. Wer sich also vorab informieren will, was dort genau vorzufinden ist, kann dies bequem von zuhause aus tun.

Meine eigenen Erfahrungen mit der Comic Art Collection und den verantwortlichen Bibliothekaren waren uneingeschränkt positiv. Vor allem Randy Scott erwies sich als wandelndes und mitteilungsfreudiges Comic-Lexikon. Er kennt die Comic-Sammlung wie seine Westentasche und konnte auch generelle Anfragen mit sehr konkreten Hinweisen beantworten. Mir war es dadurch möglich, neben frühen Batman, Detective Comics und Spectacular Spider-Man-Hefte auch Fanzines wie Capa-Alpha, Prozines wie Amazing Heroes und David Anthony Kraft’s Comics Interview sowie Fan-Magazine wie Marvelmania, FOOM, Marvel Age und Amazing World of DC Comics zu sichten. Das Kopieren dieser Texte war aufgrund ihrer Beschaffenheit und ihres Alters zwar nicht erlaubt, doch war es möglich, sie zu fotografieren und das Gelesene auf diese Weise zu dokumentieren. Der kleine Lesesaal der Special Collections Division war dafür bestens geeignet.

Wer mehr über die Comic Art Collection an der MSU erfahren will, kann dies im Internet unter
http://comics.lib.msu.edu/ tun. Die Bibliothekare sind unter der Email comics@msu.edu zu erreichen; der Ansprechpartner für alle Comic-Interessierten ist Randall W. Scott. Informationen über mein Forschungsprojekt, das ich zusammen mit Frank Kelleter bearbeite, und die DFG-Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ gibt es auf http://popularseriality.uni-goettingen.de.

(Daniel Stein)

4 Gedanken zu „Die Comic Art Collection der Michigan State University – ein kurzer Bericht“

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  2. Randy Scott war auch schon in Erlangen. Er hat vermutlich von den Amis den besten Überblick über europäische und deutsche Comics – so stammt auch die kommentierte Bibliografie „European Comics in English Translation“ von ihm (Jefferson N.C., 2002).

    eck@rt

  3. Daniel Stein

    Randy erzählte mir von seiner Reise nach Erlangen, die ihm wohl sehr viel Spaß bereitet hatte. Die Sammlung an deutschen Comics, die er an der MSU aufgebaut hat und immer noch weiter ausbaut, ist wirklich beeindruckend – wie auch sein fast grenzenloses Wissen darüber.
    Daniel

  4. Thanks for the kind words, Daniel (and also Eckart). The German collection here grows nicely (I am a good customer of amazon.de) but now they have opened amazon.es so I will be concentrating there for a bit.

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