CFP: Menschen – Tiere – Kultur. Praktiken in der Interspezies-Begegnung

Konferenz
Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz
Koblenz
9. - 10. Juni 2020
Stichtag: 30.07.2019

In den Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften hat sich in den vergangenen Dekaden ein Paradigmenwech­sel – der „Animal Turn“ (Ritvo 2007) – vollzogen: Eine interdisziplinäre Forschungsgemein­schaft macht das Mensch-Tier-Verhältnis mit unterschiedlichen Methoden zum zentralen Gegenstand ihrer Betrachtun­gen. Allerdings spielt die Linguistik im Bereich der Human-Animal Studies bisher nur eine margi­nale Rolle. Nach wie vor steht der Mensch als animal symbolicum (Cassirer) im Zentrum linguistischer Interessen, auch wenn sich in jüngerer Zeit vermehrt linguistische Arbeiten finden, in denen kommunikative Praktiken der Interspe­zies-Begegnung untersucht werden (vgl. Steen i. Dr. a), b); Rettig i. Dr.; Torres Cajo/Bahlo 2016; Adams 2014; Tannen 2004). Von der Konstitution einer Tierlinguistik – vergleichbar mit der bereits etablier­ten Tiersoziologie, Tierpsychologie oder Tiergeschichte – kann aber noch nicht die Rede sein.

Um sich aus linguistischer Perspektive (z.B. der Interaktions-, Gesprächs-, Medienlinguistik) mit Praktiken der Mensch-Tier-Begegnung zu beschäftigen, ist es erforderlich, die aus Soziologie und Sozialpsychologie übernommenen theoretischen Prämissen, insbesondere bezüglich Intentionalität und Perspektivenüber­nahme, einer Revision zu unterziehen. Werden Tiere nicht nur als kommunikative Ressource oder fiktionali­sierte Gesprächspartner betrachtet, wird die Behandlung tierlicher Akteure als Subjekte notwendig. Aus einer posthumanistischen Perspektive werden dadurch die dichotomisierenden Konzepte von Natur vs. Kultur, Handeln vs. Verhalten, Geist vs. Körper in Frage gestellt. Als anschlussfähig erweisen sich hier z. B. Ansätze, die Kultur als dynamisches, interaktionales Konzept im Sinne von „doing“-Praktiken (vgl. Günthner/Zhu 2016, 209) auffassen, sowie frühe, die Tierperspektive berücksichtigende, ethnometho-dologische Arbeiten (wie Sanders/Arluke 1993) oder praxeologische Zugänge (z.B. die Akteur-Netzwerk-Theorie Latours).

Ziel der Tagung ist es, Linguist/innen mit Forscher/innen aus anderen Bereichen der Culture-Animal bzw. Human-Animal Studies sowie mit Akteur/innen aus der Mensch-Tier-Praxis zusammen­zubringen und in einem gemeinsamen Dialog über empiriebasierte, fachspezifische Zugänge neue Perspek­tiven auf konkrete Bedingungen, Möglichkeiten und Ausgestaltungen von Mensch-Tier-Kommunikation und -Interaktion zu entwickeln. Dabei stehen insbesondere zwei Analyse-Ebenen im Fokus:

I Alltägliche Praktiken der Mensch-Tier-Begegnung: Wirkliche Tiere

Auf der ersten Ebene fragen wir danach, welche (historisch, kulturell, situationell und artspezifisch unter­schiedlichen) Praktiken und kommunikativen Gattungen (wie z.B. Gassi- oder Zoogespräche) sich in Inter­spezies-Begegnungen herausgebildet haben. Interessant sind hier insbesondere direkte Interaktionen, in denen verschiedenste artspezifische Ausdrucksressourcen beteiligt sind. Durch die Begegnungspraktiken zeigt sich, auf welche Weise das Verhältnis der beteiligten Lebewesen zueinander konzeptualisiert und bestimmt wird und wie (z.B. durch Empathie) eine die Artgrenzen überschrei­tende Kommunikation und Kooperation überhaupt erst möglich wird. Solche Praktiken finden mit unterschied­lichen Formen der Beteiligung und in verschiedenen, sich überschneidenden Lebenswelten von Menschen und Tieren statt (z.B. im gemeinsamen Alltag von Menschen und Haustieren, in der Interaktion mit einem Schulhund, beim Zoobesuch, beim Reiten, beim Taubenfüttern im Park, im Kontext gemeinsa­mer, zweckgerichteter Aufgabenbewältigung, etwa im Sport oder in der Landwirtschaft).

II Inszenierungen von Mensch-Tier-Begegnungen: Diegetische und semiotische Tiere

Auf der zweiten Analyse-Ebene fragen wir nach den unterschiedlichen Inszenierungs­praktiken, die die Begeg­nungen mit Tieren in einen neuen kulturellen und semiotischen Kontext stellen. Sowohl im literari­schen als auch medialen Raum finden sich zahlreiche und vielfältige Repräsentationen von Begegnungen mit diegetischen oder semiotischen Tieren, die auf reale Begegnungen mit wirklichen Tieren vor- und zu­rückverweisen (vgl. Borgards 2016). So können Mensch-Tier-Begegnungen z.B. die Quelle literarischer Gen­res (wie z.B. narrative Erlebensdarstellungen in Jäger/innen- und Mensch-Haustier-Biografien) sein. Inszenie­rungen von Mensch-Tier-Begegnungen finden wir in multimodaler Form in den traditionellen und sozialen Medien, wie etwa in Haustier- und Zoo-Sendungen, Facebook-Tiergruppen, „Dog blogs“ (vgl. Leppänen 2015) oder Tiervideos auf Youtube u. v. m. Im Sinne der Geo-Semiotik (vgl. Scollon/Scollon 2003) begegnen uns semiotische Tiere auch alltäglich auf Tier-Schildern im öffentlichen und im privaten Leben, wodurch auf unterschiedliche Weise Räume der Mensch-Tier-Begeg­nung konstituiert werden. Das Mensch-Tier-Verhältnis wird wesentlich durch solche spezifischen medialen Praktiken geprägt (vgl. Steen 2018) bzw. überhaupt erst konstituiert (vgl. Pschera 2014).

Wir freuen uns über Vortrags-Abstracts (max. 400 Wörter) bis zum 30.7.2019 (an: steen@uni-koblenz.de).

Literatur: 

Adams, Tony E. (2014): Animals as Media. Speaking through/with Nonhuman Beings. In: Plec, Emily (Hrsg.): Perspectives on Human-Animal Communication. Internatural Communication. New York, London: Routledge, S. 17–34.

Borgards, Roland (2016): Tiere und Literatur. In: Ders. (Hrsg.): Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart: Metzler, S. 225–244.

Günthner, Susanne/Zhu, Qiang (2016): ,Doing Culture‘ als kommunikative Praxis. Zur Dynamisierung des Kultur-konzepts in der Gesprächsforschung. In: Muttersprache 3, S. 208–220.

Leppänen, Sirpa (2015): Dog blogs as ventriloquism: Authentication of the human voice. In: Discourse, Context and Media 8, S. 63–73.

Pschera, Alexander (2014): Das Internet der Tiere. Der neue Dialog zwischen Mensch und Natur. Berlin: Matthes & Seitz.

Rettig, Heike (im Druck): Praktiken des Empathisierens in Reitunterricht und Pferdeausbildung. In: Jacob, Katharina/Konerding, Klaus-Peter/Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sprache und Empathie. Boston, New York: de Gruyter.

Ritvo, Harriet (2007): On the animal turn. In: Daedalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences 136/4, 118–122.

Sanders, Clinton R./Arluke, Arnold (1993): If Lions Could Speak: Investigating the Animal-Human Relationship and the Perspectives of Nonhuman Others. In: The Sociological Quaterly 34/3, S. 377–390.

Scollon, Ron/Scollon, Suzie Wong (2003): Discourses in Place. Language in the Material World. London, New York: Routledge.

Steen, Pamela (2018): „Tiere sind die besseren Menschen“. Moralisierungen im Web 2.0 aus tierlinguistischer Perspektive. In: Hayer, Björn/Schröder, Klarissa (Hrsg.): Tierethik transdisziplinär. Literatur – Kultur – Didaktik. Bielefeld: transcript, S. 191–210.

Steen, Pamela (im Druck, a): Selektive Empathie mit Tieren. In: Jacob, Katharina/Konerding, Klaus-Peter/Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sprache und Empathie. Boston, New York: de Gruyter.

Steen, Pamela (im Druck, b): ,Kontaktzone Zoo‘: Die kommunikative Aneignung von Zootieren. In: Böhm, Alexandra/Ullrich, Jessica (Hrsg.): Animal Encounters. Kontakt, Interaktion und Relationalität. Stuttgart: Metzler.

Tannen, Deborah (2004): „Talking the Dog: Framing Pets as Interactional Resources in Familiy Discourse“. In: Research on Language and Social Interaction 37/4, S. 399-420.

Torres Cajo, Sarah/Bahlo Nils (2016): „Ach der ist ja süß…“ Gassigespräche. Eine kommunikative Gattung im Hinblick auf Soziabilität und Zweckorientierung. In: Deutsche Sprache. Zeitschrift für Theorie, Praxis, Dokumentation(2016) 1, S. 77–97.

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