CFP: „Hurra die Welt geht unter“. Katastrophen und Krisen in der Populärkultur

Conference
Kooperationstagung der AG Comicforschung und der AG Populärkultur und Medien - Gesellschaft für Medienwissenschaft
17.11.2022 - 19.11.2022
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Stichtag: 30.06.2021

Katastrophen und Krisen als fundamentale Störungen einer Ordnung werden in der Populärkultur immer wieder als Szenarien existenzieller Bedrohung, aber auch des Aufbruchs und der Befreiung inszeniert.

,Katastrophe‘ wie auch ,Krise‘ verweisen dabei auf „unterschiedliche Intensitäten und Verlaufsformen von Zustandsveränderungen der Gesellschaft“, die „(zunächst) als negativ bzw. unerwünscht bewertet werden“ (Habscheid und Koch 2014, 7). Diese Unerwünschtheit führt dazu, dass Katastrophen und Krisen in medialen Diskursen verstärkt aufgegriffen werden. Dabei kann man Prozesse der Auseinandersetzung, Einordnung, Deutung oder Bewältigung von Katastrophen und Krisen (vor allem im Sinne eines Auslotens von Handlungsspielräumen) beobachten (vgl. Blank 2021, 27f. und 599).

Unser Erfahrungswissen über Katastrophen und Krisen speist sich entsprechend aus einem umfassenden „collective reservoir of cultural forms and patterns of understanding“ (Meiner und Veel 2012, 1), das Menschen sowohl individuell durch persönliche Erlebnisse als insbesondere auch kollektiv durch massenmediale Kommunikation und populärkulturelle Inszenierungsformen erwerben. Die Bedeutung von Erfahrungsmustern für die Entwicklung kommunikativer Strategien und medialer Darstellungsverfahren ist in der Vergangenheit besonders in sozialwissenschaftlichen Diskursen betont worden. Ansätze einer soziologischen Rahmentheorie, wie sie von Ervin Goffmann (1974) begründet wurde, verstehen die Organisationsfähigkeit von Alltagserfahrung als notwendig für jedwede Form der Kommunikation. Psycholog:innen wie Jerome Bruner (1997) oder David Polkinghorne (2015) gehen davon aus, dass die Ausbildung narrativer Kompetenz, die sich dadurch offenbart, Geschichten nicht nur zu verstehen, sondern auch produzieren zu können, ganz ursächlich von der Fähigkeit abhängt, Erfahrungen in sinngebende Ordnungsmuster einzupassen.

Vor dem Hintergrund eines erhöhten Bewusstseins für Katastrophen und Krisen (mit Beck 2007: „Weltrisikobewusstsein“) sowie aktueller, neuartiger Erfahrungen mit z.B. ökologischen Krisen (etwa Klimawandel, Krise des maritimen Ökosystems, Artensterben, Ressourcenraubbau und Nachhaltigkeitskrise) oder einer globalen Pandemie (etwa AIDS oder COVID-19) erscheint es auch für die Comic- und Populärkulturforschung geboten, die genannten Zusammenhänge verstärkt anhand ihrer Untersuchungsgegenstände zu reflektieren. Populärkultur wird somit als Seismograph mentalitätsgeschichtlicher Veränderungen im Umgang mit Katastrophen und Krisen und als Ursprungsort innovativer Formen der kulturellen Auseinandersetzung mit Katastrophen und Krisen beschreibbar.

Die Kooperationstagung der AG Comicforschung und der AG Populärkultur und Medien ergreift die Gelegenheit, mit gebündelter Expertise solche Katastrophen- und Krisendiskurse herauszuarbeiten, wie sie in Comics, Filmen, Musik, Literatur oder anderen popkulturellen Erzeugnissen verhandelt werden.

Auf diese Weise geraten hochaktuelle Fragestellungen zur Medienkultur in den Blick. Zu diesen gehören z.B.:

  • Welche Typen von Katastrophen und Krisen werden in der Populärkultur reflektiert bzw. imaginiert? Gibt es transmediale oder medienspezifische ‚Trends‘, die sich beispielsweise durch eine verstärkte Verwendung von apokalyptischen Motiven, Genrestereotypen oder Erzählmustern in der Popmusik oder auch in (audio-)visuellen Erzählformen oder Comics belegen lassen?
  •  Welche Rolle spielt der Rückgriff auf ein Archiv, auf Topoi und Konventionen der Katastrophendarstellung, wie sie etwa für den Bereich des Comics in Superheldennarrativen oder auch Sachcomics zu beobachten sind? Haben sich bereits (trans-)mediale Genreformationen ausgebildet, die sich analog zu etablierten Spielarten wie der Form des Katastrophenfilms beschreiben lassen?
  • Gibt es genuin populärkulturelle Katastrophen- und Krisennarrative? Welchen Einfluss haben diese auf andere kulturelle und gesellschaftliche Bereiche? Wie gelingt es derartigen Narrativen, sich in den sozialen Medien durchzusetzen und zu Diskursverschiebungen beizutragen?
  • Wie werden (natur-)wissenschaftliche Erkenntnisse zu sozialen (z.B. Kriege, Zunahme von Ungleichheit, Bedrohung von Minderheiten), ökologischen (z.B. Klimawandel, Umweltzerstörung und Gefährdung des maritimen Ökosystems) und gesundheitlichen (z.B. Pandemien) Katastrophen und Krisen globalen Maßstabs popularisiert?
  • Welche Entwürfe von ,Normalität‘ prägen die Inszenierungen von Katastrophe und Krise als Ausnahmezustand? Inwiefern sind diese Entwürfe von heteronormativen und hegemonialen Diskursen geprägt? Welche Formen von Ein- und Ausschlüssen werden damit reproduziert?
  • Welche medialen Praktiken und Aneignungsformen haben sich vor dem Hintergrund eines gesteigerten Katastrophen- und Krisenbewusstseins im 21. Jahrhundert entwickelt? Wie prägen aktuelle digitale Produktionen wie z.B. Podcasts, Memes oder GIFs die kulturelle Aushandlung von Krisen- und Katastrophendiskursen im digitalen Raum?
  • Gibt es gar eine neue populärkulturelle ,Ästhetik der Katastrophe‘?

Gewünscht sind Einreichungen für (1) Einzelpräsentationen oder (2) freie Formate:

  • (1) Einzelpräsentationen: Vorträge von 20 Minuten zzgl. Diskussion; Einreichungen umfassen ein Abstract mit max. 2.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Titel und Bibliografie mit max. fünf Titeln) sowie eine Kurzbiografie.
  • (2) freie Formate: z.B. Gespräche, Lesungen, Performances, filmische oder musikalische Beiträge von 30-60 Minuten; Einreichungen umfassen ein Abstract mit max. 2.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Titel und Bibliografie mit max. fünf Titeln) sowie eine Kurzbiografie.

Einreichende müssen nicht Mitglied in einer der veranstaltenden AGs sein. Externe Beiträge sind ausdrücklich willkommen.

Die Beiträge können in deutscher oder englischer Sprache sein.

Deadline für alle Einreichungen: 30.06.2021

Einreichungen und Rückfragen bitte per E-Mail an: agpopundmedien@googlemail.com

Veranstaltende: Juliane Blank, Markus Kuhn, Andreas Veits (AG Comicforschung), Mario Anastasiadis, Charis Goer, Martina Kalser-Gruber (AG Populärkultur und Medien)

Weitere Informationen:
https://agcomic.net/
http://www.ag-pop.de/

Quellen
Beck, Ulrich. Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2007.
Blank, Juliane. Katastrophe und Kontingenz in der Literatur. Zufall als Problem der Sinngebung im Diskurs über Lissabon, die Shoah und 9/11. Boston und Berlin: De Gruyter, 2021.
Bruner, Jerome. Sinn, Kultur und Ich-Identität. Heidelberg: Auer, 1997.
Goffman, Erving. Frame Analysis. An Essay on the Organization of Experience. New York: Harper & Row, 1974.
Habscheid, Stefan und Lars Koch. „Einleitung“. Dies. (Hg.). Katastrophen, Krisen, Störungen. Stuttgart und Weimar: Metzler, 2014 (= Themenheft Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik). 5–12.
Meiner, Carsten und Kristin Veel (Hg.). The Cultural Life of Catastrophes and Crises. Berlin und Boston: De Gruyter, 2012.
Polkinghorne, Donald. „Possibilities for Action: Narrative Understanding“. In: Narrative Works 5.1. (2015). 153–173. https://journals.lib.unb.ca/index.php/nw/article/view/23789/27569 (26.02.2021).

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