Anlässlich des 14. Comic-Salons reiste Prof. Dr. Jaqueline Berndt mit einigen ihrer Studentinnen nach Erlangen, um die Graduate School of Manga Studies der Kyoto Seika University (KSU) sowie die studentischen künstlerischen Arbeiten vorzustellen.
Für die Erlangen-Ausgabe der Comixene gab sie ein kurzes E-Mail-Interview, das wir hier mit freundlicher Genehmigung durch Chefredakteur Martin Jurgeit posten dürfen.
[1] Sie sind Professorin am Manga Research Center der Ky?to Seika-Universität. In Deutschland, selbst in Frankreich, findet Comicforschung, wenn denn überhaupt, nur auf Eigeninitiative von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ihren jeweiligen Disziplinen statt. Ist Japan das Traumland der Comicforschung?
Ich bin Kunstwissenschaftlerin und Professorin für Comic-Theorie an der Manga-Fakultät der KSU, außerdem Direktorin der seit April 2010 bestehenden Graduate School of Manga Studies.
Das International Manga Research Center ist eine Forschungseinrichtung der KSU, vergleichbar mit deutschen „Arbeitsstellen“. Dieses Center bildet den inhaltlich-konzeptionellen Kern des Kyoto International Manga Museum. Drei KSU-Professoren bilden die Leitung; vier researcher (ohne Lehrverpflichtung, ohne Fakultätszugehörigkeit) forschen dort Vollzeit. Weiterhin gibt es natürlich Verwaltung, Zeitkräfte etc.
Die KSU ist also in zweierlei Hinsicht mit Manga-/ Comicforschung institutionell befasst: (a) über das genannte Center, (b) über den genannten neuen Masterkurs, in welchem auch theoretisch gearbeitet wird. Auf Bachelor-Ebene hat die praxisorientierte Ausbildung Vorrang, wobei mit „Praxis” im Falle von story-manga der kulturindustrielle Standard gemeint ist, also z.B. das, was für Manga-Magazine akzeptabel, weil verkäuflich erscheint.
Der Master-Studiengang unserer Graduate School besteht aus zwei Zweigen mit unterschiedlichen Eintrittsexamen, Studiengebühren, z.T. Lehrveranstaltungen: Der erste ist praktisch-künstlerisch (jitsugi) orientiert, sowohl Cartoon als auch story-manga werden gelehrt. Professoren sind in diesem Studiengang Takemiya Keiko und Itahashi Shuho für story-manga, Shinohara Yukio für cartoon und Tamada Kyoko für Bilderbuch. Der Masterkurs ist mit einer künstlerischen Arbeit oder einem wissenschaftlichen Aufsatz abzuschließen. Der zweite Zweig ist theoretisch ausgerichtet und für NachwuchswissenschaftlerInnen gedacht. Professoren sind in diesem Bereich Yoshimura Kazuma und ich. Der Abschluss wird mit einer wissenschaftlichen Arbeit, auf Japanisch oder Englisch, erzielt. Auf Bachelor-Ebene wird nur praktisch-künstlerisch immatrikuliert.
Derzeit beantragen wir beim japanischen Bildungsministerium die Eröffnung eines Doktorkurses für Manga-Studien ab April 2012. Der Doktorkurs wird mit einer wissenschaftlichen Dissertation abzuschließen sein, was nicht nur für theoretische, sondern auch praktisch-künstlerische Doktoranden gilt.
Auf Bachelor-Ebene wird in erster Linie das „Handwerkszeug” vermittelt. Das heißt für die story-manga-Richtung z.B., den Aufbau von Erzählungen unterschiedlicher Länge sowie deren manga-gerechte Umsetzung zu erlernen. Oft verwenden die Professoren dafür konkrete Aufträge, wie etwa die Erstellung von Broschüren in narrativer Manga-Form als Werbe- oder Aufklärungsmaterial. Begleitend gibt es theoretische Lehrveranstaltungen, z.B. zur Geschichte von Manga und Anime, zum Vergleich mit anderen Comic-Kulturen, zum nationalen und globalen Marketing von Manga/ Anime.
Wie die Vielzahl der koreanischen und chinesischen Studierenden bei uns zeigt, kann man Manga in der o.g. Form offenbar nur in Japan studieren. Die Ky?to Seika University, eine 1968 gegründete Kunsthochschule, ist die größte und traditionsreichste, aber nicht mehr die einzige Hochschule dieser Art in Japan.
Sowohl Kunsthochschulen als auch human- und gesellschaftswissenschaftliche Studiengänge an japanischen Universitäten haben ihr Curriculum im Laufe der vergangenen Dekade an aktuelle Phänomene wie Popkultur, Media-Mix, Subkultur etc. angepasst. Meist findet die Beschäftigung mit Manga oder z.B. auch Anime aber im Rahmen herkömmlicher Disziplinen statt (Soziologie, mass communication studies, media studies, visual studies etc.), wobei die Medien oft nur als Material interessieren, ohne Berücksichtigung ihrer ästhetischen und kulturellen Eigenart bzw. ihrer Rezepetionsgeschichte und der spezifischen Diskurse.
Ob Japan das Traumland der Comicforschung ist, hängt von den Wünschen an ein solches ab. Aufgrund der alltäglichen, ökonomischen Präsenz von Manga im Lande ist die Akzeptanz vielleicht größer; die Studien sind stärker an regulären Lesern orientiert, so gut wie gar nicht an „Kunst” im herkömmlichen, intellektuellen Sinne.
[2] Dem Manga Research Center ist das Ky?to International Manga Museum angegliedert. Was gibt es dort für den Besucher zu sehen?
„Angegliedert” ist das falsche Wort. Kernstück des Museums sind die Regale mit Manga-tankobon, die sich über alle Flure des dreistöckigen Gebäudes ziehen. Die gibt es weniger zu sehen als zu lesen. Ortsansässige japanische Besucher kommen vor allem deswegen und setzen selten einen Fuß in eine Ausstellung.
Seit der Eröffnung im November 2006 gab es eine Vielzahl Sonderausstellungen, größere wie kleinere. Seit April 2010 führt eine ständige Ausstellung in Manga als Medium ein.
1966 eröffnete in Japan das erste kleine Museum für einen Mangazeichner; mittlerweile gibt es landesweit etwa 50 solcher Einrichtungen. Von ihnen hebt sich das 2006 geschaffene Ky?to International Manga Museum sowohl durch seine touristenfreundliche Lage und seine Besucherzahlen als auch durch sein breites Verständnis von Manga als modernem Medium ab. Gerade damit aber wird es zum Brennspiegel für die gegenwärtige kulturelle Position von Manga in Japan: das Verhältnis von Comics und Kunst, Staat und Subkultur, Lesern und Ausstellungsbesuchern.
[3] Auf dem diesjährigen Comic-Salon in Erlangen werden Sie gemeinsam mit einigen Studierenden die Ausstellung „Manga als ‚Sprache’“ präsentieren.
Korrekt: Wir sind ins Junge Forum eingeladen. Der Veranstalter kann sich eine solche Beteiligung nur in Form einer Ausstellung vorstellen. Manga sind aber Lesegut. Ich habe also den Studierenden davon abgeraten, Originalzeichnungen zu präsentieren; dafür die Bücher bzw. Hefte, die sie bislang gemacht haben. Frau Lee bringt eine kurze Story an die Wand (als narrative Installation gewissermaßen), neben der Treppe, die zu unserem Stand hinaufführt. Am Stand selbst gibt es dann neben den „Büchern” auch einige Poster, die die Fakultät, deren Dekanin, die Graduate School etc. vorstellen.
[3.1] Soll der Titel implizieren, dass Manga resp. Comic einen visuellen Sprechakt darstellen, bei dem es mehr um das ‚Wie’ als das ‚Was’ zu gehen scheint?
Manga so zu präsentieren, wie er in Japan funktioniert und bei uns gelehrt wird, nicht in Anpassung an europäische Gegebenheiten zu „verkunsten”. Das kann zu Skepsis, Ablehnung u.ä. führen, ist aber eine Auseinandersetzung wert, weil es nicht nur Japan betrifft, sondern die Vielfalt von Comics überhaupt, insbesondere im Zusammenhang mit ihren angestammten Lesern. Kurzum, Manga als Sprache meint zu allererst, dass hier die Bilder „gelesen” werden, weniger als Bilder betrachtet. Das betrifft die hochgradige Kodifizierung, das vornehmliche Funktionieren von Manga als geteilte Sprache und das vermeintliche Fehlen von stilistischer Originalität.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Die Fragen stellte Felix Giesa.
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