Die Comic Arts Conference im Rahmen des jährlichen Comic-Cons in San Diego fand dieses Jahr vom 21. – 24. Juli statt. Dietrich Grünewald war dort, hat eine Fotostrecke mitgebracht und berichtet:
Comic Con
Das Gedränge ist enorm. Permanent spuckt die rote Tram Besuchermassen an der Haltestelle Convention Center aus, die dann in das riesige langgestreckte Gebäude stürmen, schnell von zahlreichen Ordnern in mit Absperrbändern vorgegebenen Zick-Zack-Wegen zielsicher geleitet. Ausgestattet mit riesigen Tüten, die wie große Rucksäcke zu tragen sind und dazu dienen, die Massen an Informationsmaterial aufzunehmen sowie die käuflich erworbene Comic-Schätze, schieben sich Jung und Alt durch die schmalen Gänge der Ausstellungshalle. Überlebensgroße und lebensgroße Comic-Figuren – maskierte Helden und maskierte Schönheiten – ziehen die Blicke auf sich, riesige Bildschirme fordern mit wild-hektischen Actions-Sequenzen die Aufmerksamkeit, Musik, Lautsprecheransagen und ein nie endender Stimmensalat umschließen das Gewusel akustisch. Geduldige Schlangen bilden sich vor Ständen, wo Zeichner emsig auf Papier oder Bildschirm Figuren entwerfen oder die Besucher porträtieren, wo Autoren ebenso emsig frisch erworbene Comic-Books signieren.
Aus allen Teilen der USA kommen hier die Comic-Fans zusammen, auf dem jährlichen Comic Con International San Diego, der vom 21. bis 24. 7. durchgeführt wurde. Für die meisten ist das ein Riesenfest, das sie ausgiebig genießen. Nicht nur Kinder und Jugendliche – wie wir das bei unseren, wenn auch wesentlich kleineren Comicfesten auch gewohnt sind -, sondern vor allem zahlreiche Erwachsene tragen Kostüme, präsentieren sich stolz in ihrer Lieblingscomic-Rolle. Und da nehmen sie einiges auf sich, finanziell und auch körperlich – die Soldaten aus Star Wars in ihren weißen Rüstungen, der Zentaur, der seinen per Seilzug bewegten umgeschnallten Pferdkörper durch die Gänge führt, die vielen Maskierten aus den Superhelden- und Fantasy-Universen mit ihren typischen Attributen, die Magier, die Feen, die Piraten, die Comictierfiguren. Sie kommen schnell ins Schwitzen. Aber sie sind ständig agil, freuen sich, wenn sie für jeden, der sie fotografieren möchte, in typischer Pose erstarren können und nehmen dies als Reverenz. Auch draußen, in der abgesperrten 5. Avenue, tummeln sich die Maskierten, gibt es immer wieder kleine Umzüge, oft mit lauten Trommelschlägen begleitet. Zumindest der historische Kern San Diegos, seine Lokale, die Schaufenster der Geschäfte, das Werbedesign der Fassaden hat sich ganz in den Dienst der Comics gestellt.
Die Kostüme spiegeln, was auch das Angebot in den Ausstellungen dominiert: die Mainstream-Comics der us-amerikanischen Syndikate, DC, Marvel, Dark Horse. Größeren Werbeaufwand findet man noch für MAD (Kupers Version von Spy vs. Spy), für „Bone“ von Jeff Smith (25 Jahre!) – doch das absolut dominante Angebot der Comic-Books, DVDs, Computerspiele, Spielfiguren, Kostüme, T-Shirts usf. usf. konzentriert sich auf die kostümierten Helden von Superman bis Batman, Spinne, Fantastic Four usf. und ihre Widersacher. Man hat den Eindruck, Amerika flüchtet sich in die Kostümwelt der unbezwingbaren US-Helden und trotzt so dem Rest der Welt. Natürlich sind auch Mangas vertreten; aber sie spielen eher eine Nebenrolle. Und europäische Comics habe ich, außer einer etwas größeren Herausstellung der Schlümpfe (The Smurts) nur versteckt gefunden: an einem Stand Hergè, Tardi. Und als einziges Werk eines deutschsprachigen Comickünstlers konnte ich den Sammelband des Zürchers Thomas Ott ausmachen.
Während für Sammler des Goldenen wie des Silbernen Zeitalters unübersehbar Box an Box mit reichem Material wartete, aber auch wunderbare großformatige Neuausgaben von „Little Nemo“ und „Krazy Kat“, fristeten die literarischen Graphic Novels eher ein Nischendasein, fanden sich nur versteckt an wenigen Ständen, wie dem von „Last Gasp“, wo die Pincochio-Ausgabe von Winshluss immerhin mit dem Verweis auf die Auszeichnung des Buches in Angoulême beworben wurde. Fantagraphics bot Dave McKeans „Celluloid“, eine textfreie erotische Bildgeschichte von 2011, an; Feinheiten wie den Holzschnittroman „Walking Schadwos“ (Neil Bousfield) oder die hypnotische Zeitreise in die Jugend, „Too Cool to be Forgotten“ (Alex Robinson) musste man schonsehr gezielt suchen und sie fanden sich eher zufällig. Doch der Eindruck kann auch täuschen, zumindest sind auch viele US-Comic-Leser nicht nur auf die Mainstream-Unterhaltung fixiert, wie die lange Schlange vor dem Stand bescheinigt, an dem Craig Thomson seine Graphic Novel „Blankets“ signierte. Und auch das Rahmenprogramm – das dem Besucher mittels eines Events Guide von knapp 200 Seiten angekündigt wurde – ging zumindest partiell über die eher populistischen Werbeveranstaltungen für den Mainstream hinaus, thematisierte z. B. die Notwendigkeit, aktuelle Graphic Novels im Schulunterricht zu behandeln, bot Künstlern wie Eric Drooker ein Forum, mit Hilfe von Gitarren- und Mundharmonika-Unterstützung seine textfreien Bildromane („Blood Song“, „Flood!“) einem durchaus kundigen Publikum nahe zu bringen. Und aufmerken ließ auch, dass im Kontext einer gesonderten Kunstausstellung, die vornehmlich mehr oder weniger gelungene Nachbildungen oder Variationen (Zeichnung, Grafik, Malerei, Plastik) der Massencomic-Helden (von 15.- $ bis 1250.- $ für ein Ölporträt eines Superheldenkinostars von Mark Landry) anbot, die vorgestellte Hall of Fame als neues Mitglied Lynd Ward präsentierte, der mit seinen textfreien Bildromanen bekannt geworden ist (sein Meisterwerk: „Vertigo“, 1937, 2009 neu von D. A. Beronä herausgegeben).
Comics Arts Conference
Eingebunden in dieses Großereignis ist die „Comics Arts Conference“, die im Raum 26 AB, während der Comic-Con-Tage stattfand und hier nicht nur eine immanente wissenschaftliche Tagung war, sondern zu vielen Vorträgen auch ein interessiertes allgemeines Publikum begrüßen konnte. Gegründet 1992 von Randy Duncan (Henderson State University) und Peter Coogan (Washington University in St. Louis), und seit 1998 Element des Comic Con San Diego, ist die Comics Arts Conference ein öffentliches Forum, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende, Kritiker und Praktiker zum Diskurs zusammen führen will.– also durchaus vergleichbar unserer jährlichen Wissenschaftstagung, wenngleich in anderen Größendimensionen. Auch das als Ausrichter fungierende „Institute for Comics Studies“ ist als virtuelles Institut, das an Comics interessierte Wissenschaftler und Wissenschaftler zusammen bindet, (im gleichen Sinne) der ComFor vergleichbar.
Das Programm der Konferenz war dicht gedrängt, 16 Panel an vier Tagen, leider ohne eingeplante Pausen, so dass es nicht möglich war, allen Beiträgen zuzuhören. (Was leider auch dazu führte, dass es nicht die Regel war, dass Referenten auch bei anderen Vorträgen mit dabei waren. Schade.) Die Panel umfassten i.d.R. drei oder vier Redner zu einem übergeordneten Thema mit anschließender gemeinsamer, wenngleich oft nur kurzer, Diskussion. Die Themen waren weitgesteckt, reichten über Fan-Studien, die Frage nach dem Fremden, Andersartigen in Comics bis zu Digitalen Comics, Adaptionen (Film, Computerspiele), der Psychologie des „Dark Knight“ oder der Frage nach der Zensur und Mangas in Japan. In einem speziellen Panel referierte E. Paul Zehr aus seinem Buch „Inventing Iron Man“ und stellte die Comic-Welt des Iron Man mit den Bedingungen der physikalischen Welt in Bezug; mehr eine Performance im Superman-Kostüm – aber hoch interessant – die Präsentation von Arlen Schumer („The Silver Age von Comic Book Art“), der das Werk Mort Weisingers (Hrsg. von Superman von 1940 – 1970) vorstellte. Ebenfalls eine spezielles Panel war „Focus on David Lloyd“; der britische Comic-Künstler („V wie Vandetta“) war Gast der Comic-Con und stellte sich der Diskussion.
Sehr gelungen – und hier wäre zu fragen, ob das für die Zukunft eine Anregung auch für unsere Tagungen sein könnte – die Posterpräsentationen von Studierenden. Immerhin 1,5 Stunden lang konnten Studierende von unterschiedlichen us-amerikanischen Hochschulen kleine Forschungsprojekte vorstellen und individuell allen Interessenten erläutern. Auch die Teilnehmenden der Comics Arts Conference kamen aus unterschiedlichen Hochschulen der USA, wie z. B. die Germanistin Kristy Boney (University of Central Mossouri), die über den Einfluss der deutschen Romantik (insbesondere natürlich E.T.A. Hoffmann) auf Gaimans „Sandman“ referierte.
Neben einem jungen Nachwuchswissenschaftler aus Rio de Janeiro durfte es dann die ComFor sein, die der Veranstaltung einen internationalen Anflug gab. Neben mir war Martin Schüwer eingeladen, der am Samstag in Panel 9 – Sequential Artistry – referierte. Er sprach über die narrative Bedeutung des Raumes und die Art seiner Visualisierung im Comic, vornehmlich festgemacht an McCays „Little Nemo“. Im gleichen Panel analysierte Keegan Lannon (Southern Illinois University) Craig Thompsons „Blankets“ im Hinblick auf das Verhältnis von Rahmung und Zwischenraum und deren narrativen Stellenwert für die erzählte Zeit; Tof Eklund (Full Sail University) untersuchte – mit Referenz u.a. zu Groensteen und Deleuze – die sehr beachtenswerte Graphic novel „Too Cool to be Forgotten“ von Alex Robinson unter dem Aspekt der Reise in die Zeit (zurück in die Jugend). [Vom Vortrag des jungen Kollegen aus Brasilien, Fabio Luiz Carneiro Mourilhe Silva, der die Entwicklung der Comics, insbesondere die Artikulation von Zeit, anhand der Theorien Gaston Bachelards, dem Konzept des Bruchs, darstellte, habe ich leider wenig verstanden – für Interessenten sei auf sein Buch verwiesen: The Concept of Rupture in Comic-Books. Blurb Inc.2011.]
Am Tag vorher, am Freitag, durfte ich im Panel 6 „Wordless Comics“ referieren. Eingebunden zwischen den Vortrag von Andrei Molotiu (Indiana University) über abstrakte Comics und den von David A. Beronä (Plymouth State University) über aktuelle textfreie Holzschnitt-Romane konnte ich mein Konzept „Prinzip Bildgeschichte“ vorstellen, wobei es mir insbesondere darum ging, die spezifischen Erzähl- und Rezeptionsweisen der Bildgeschichte, besonders deutlich bei den textfreien, transparent zu machen.
Insgesamt: eine sehr gute und erweiternde Erfahrung. Ich freue mich sehr, dass Martin Schüwer und ich die ComFor vertreten durften und dass es so gelungen ist, weitere Kontakte zu knüpfen. Und ich freue mich besonders, dass Randy Duncan im November nach Passau kommen und referieren wird. Bleibt zu hoffen, dass der Austausch keine Eintagsfliege bleibt und dass vielleicht andere ComFor-Mitglieder im nächsten Jahr an der Comics Arts Conference teilnenehmen. Es lohnt sich.