Comics gehören zu den ältesten und kulturgeschichtlich bedeutsamsten Formen des populärkulturellen seriellen Erzählens. Umso erstaunlicher ist es, dass die Vielzahl serieller Phänomene, die die Geschichte und Gegenwart der Comics prägen, bislang noch relativ unerforscht sind. Einige Projekte innerhalb der seit Oktober 2010 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ wollen diesem Desiderat nun Abhilfe schaffen.
Die Forschergruppe, die seit dem 1. Oktober 2010 arbeitet und sich auf ihrer Eröffnungskonferenz vom 6. bis 8. April 2011 erstmals öffentlich einem Fachpublikum von Forscher/innen aus Deutschland und der Schweiz vorstellte, besteht aus 15 Wissenschaftler/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen aus den Disziplinen Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Germanistik, Amerikanistik, empirische Kulturwissenschaft und den Medienwissenschaften. Ihr Ziel ist es, einen Erzähltypus zu erforschen, der seit dem 19. Jahrhundert zu einem auffälligen Kulturmerkmal geworden ist: Fortsetzungsgeschichten mit festen Figuren, die mit kommerzieller Absicht für ein Massenpublikum hergestellt wurden. Dabei geht es vor allem darum, den Zusammenhang von Populärkultur und seriellem Erzählen zu beleuchten und die Analyse ästhetischer Merkmale von Serien mit der Untersuchung der jeweiligen Nutzungsform der Leser oder Zuschauer zu verbinden. (1)
Zu den prominentesten Vertretern des untersuchten Erzähltypus‘ zählen neben Fernsehserien (z.B. Tatort und dem so genannten US-amerikanischen Quality TV) sowie Heftromanen (z.B. Perry Rhodan), um nur die in der Forschergruppe untersuchten Fallbeispiele zu nennen, auch Comics. Aus diesem Grund widmen sich zwei Projekte dieser Erzählform auf unterschiedliche Weise: Ruth Mayer und Shane Denson (Leibniz Universität Hannover; Shane Denson ist Mitglied der ComFor) untersuchen anhand von topischen Figuren wie Frankenstein, Tarzan, Fu Manchu oder Superman die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Serialität und Medialität, die die Populärkultur des 20. und 21. Jahrhunderts geprägt haben (Comics sind hier also ein Medium unter mehreren); Frank Kelleter und Daniel Stein (beide Georg-August-Universität Göttingen; ich bin Mitglied der ComFor) konzentrieren sich auf die Rolle von Autorisierungskonflikten und Autorrollen in der Gattungsgeschichte US-amerikanischer Superheldencomics (mit Fokus auf Batman und Spider-Man). Ein drittes Projekt, dass sich mit den Auswirkungen serieller Intermedialitäts- und Erzählformen auf Entstehung und Entwicklung angloamerikanischer Graphic Novels ab den 1980er Jahren beschäftigt (z.B. die Arbeiten von Neil Gaiman) und von Gabriele Rippl, Stephanie Hoppeler (Mitglied der ComFor) und Lukas Etter an der Universität Bern bearbeitet wird, ist der Forschergruppe assoziiert.
Erste Forschungsergebnisse werden in dem für 2012 geplanten Tagungsband der Eröffnungskonferenz erscheinen. Zu den weiteren Aktivitäten dieser Projekte gehören der von Christina Meyer und Daniel Stein geleitete Workshop „The Transcultural Work of Comics and Graphic Narratives“ auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien in Regensburg (18. Juni 2011) und die von Gabriele Rippl, Stephanie Hoppeler und Lukas Etter an der Universität Bern organisierte Konferenz „Interdisciplinary Methodology: The Case of Comics Studies“ (14. und 15. Oktober 2011). Im Rahmen des Regensburger Workshops hielt Shane Denson einen Vortrag zum Thema „Frame, Sequence, Medium: Comics in Plurimedial and Transnational Perspective“; Lukas Etter sprach über „The ‘Big Picture’ as a Multitude of Fragments: Jason Lutes’ Depiction of Weimar Republic Berlin with an Effect of Plurality“. Auf der Konferenz in Bern werden Mitglieder der Forschergruppe mit Vorträgen zu „Multistable Frames: Notes Toward a (Post-)Phenomenological Approch to Comics“ (Denson) und „Authorship in Comics: Historical and Theoretical Reflections“ (Stein) vertreten sein.
Daniel Stein
1) Diese einleitenden Sätze basieren in Teilen auf der Pressemitteilung der Georg-August-Universität Göttingen vom 12.5.2010. Eine anschauliche Darstellung der Interessen und Ziele der Forschergruppe findet sich in Frank Kelleter, „Serienhelden sehen dich an“, Psychologie Heute 38.4 (2011): 70-75.