Die französische Produktion Katz, die Art Spiegelmans MAUS antwortet, ist spätestens durch den gegenwärtigen Rechtsstreit mit Rechteinhabern, in dessen Zug der größte Teil der Auflage voraussichtlich vernichtet wird, Gegenstand öffentlicher Diskussion geworden. Ole Frahm (Genealogie des Holocaust. Art Spiegelmans MAUS – A Survivor’s Tale. München 2006) hat Katz auf Einladung der Redaktion aus seiner Sicht kommentiert:
Katz heißt ein französischer Comic, wie Katz’s Delicatessen im East Village New York. Doch in dem Comic geht es nicht um ein Pastrami Sandwich, sondern um die Aneignung des künstlerischen Werkes, nämlich MAUS – A Survivor’s Tale von Art Spiegelman. Katz ist mit MAUS nahezu identisch – nur die Köpfe der Figuren sind neu gezeichnet. Die Figuren in MAUS sind Chimären, menschliche Körper mit Tierköpfen. Mit diesen Figuren zeichnet Art Spiegelman die Geschichte, die ihm sein Vater Vladek vom Überleben in Auschwitz und Dachau erzählt. Die Juden tragen Maus-, die Deutschen Katzen-, die Polen Schweine- und die Amerikaner Hundeköpfe. Diese entpuppen sich als Masken. (Abb. 1) Vladek gibt sich während der deutschen Besatzung als Pole aus, was durch eine Schweinemaske dargestellt wird. Für den Leser ist das dünne Band der Maske sichtbar, für die polnischen Eltern, deren Kinder Vladek einen Juden gerufen haben, nicht. Ist das Mausgesicht Vladeks seine wahre Identität? MAUS macht darüber keine Aussagen. Es zeigt, wie die Konturen der Tiermasken zwischen Identifikation und Identifizierung entstehen, zwischen Selbstwahrnehmung und gesetzlichem Zwang.
In Katz ist solche Differenzierung aufgegeben. Schon die Ambivalenz des deutschen Wortes MAUS auf dem Cover eines amerikanischen Comics wird durch Katz nicht gewährleistet. Er soll dies wahrscheinlich auch gar nicht übertragen, denn es scheint eine Provokation zu sein, alle Figuren zu Katzen, also in der Metaphorik von MAUS zu Deutschen – und das heißt implizit natürlich zu Tätern – zu machen. Nachts sind alle Katzen grau und alle Menschen Täter – aber in der von dem Feuer der verbrannten Leichen erhellten Nacht des Holocaust wurde, um im Bild zu bleiben, sehr genau zwischen Menschen unterschieden. In Katz sind die Fellmuster der Köpfe individualisiert, bei Vladek vor allem sollen sie aber durch ihre unförmige Größe als Eingriff in MAUS sichtbar sein. (Abb. 2) Dadurch wird die graphische Reflexion der Seite – in dem ersten Bild ist Vladeks Maske schwer zu erkennen, in der zweiten, auf dem ihn die Kinder von hinten anschauen, wirkt sie dadurch gefährdet – beseitigt.
Aber auch die historische Reflexion, die sich an den Tiermasken abzeichnet, fehlt: angesichts des Holocaust hat der Nationalsozialismus mit den Nürnberger Gesetzen ein Identifikationsregime durchgesetzt, durch das Menschen qua nachzuweisender Abstammung zu Juden wurden. Diese biopolitische Identifizierung sah von allem Individuellen ab. Theodor W. Adornos Wort, dass „in den Lagern nicht das Individuum starb, sondern auch das Exemplar“ (Negative Dialektik. Frankfurt am Main 1975, 355), findet in den Mausmasken einen bildlichen Ausdruck. Zugleich bleiben alle Figuren durch ihre Kleidung oder andere kleine Differenzen unterscheidbar.
Das Vorgehen in Katz impliziert, dass MAUS das historische Geschehen biologisiert. Auch dies greift zu kurz, denn wenn sicherlich der nationalsozialistische Vergleich der Juden mit Ratten zitiert wird, so ist doch die Verschiebung zur Darstellung mit Mäusen entscheidend. Katz bezieht sich nur auf MAUS, nicht auf die nationalsozialistische Politik. MAUS artikuliert eine, wie ich meine, interessante politische Ästhetik, die sich als Gegenentwurf zu den Implikationen nationalsozialistischer Ästhetik auffassen lässt, nicht zuletzt, weil MAUS sich auf Comics wie Krazy Kat und Mickey Mouse bezieht. Katz reduziert Spiegelmans Ästhetik auf die Tierköpfe, streicht diese Bezüge und gefällt sich in der Provokation, ein Werk über den Holocaust zu verändern.
Es gibt sicherlich interessante Formen produktiven Mißverstehens, aber die Reduktion der Tierköpfe auf die Täter-Opfer-Dichotomie in Katz ist in zweierlei Hinsicht unverschämt: sie unterschlägt, dass MAUS ein entschieden komplexeres Bild zeichnet, dass die erzählte Geschichte durchaus nicht in den Tiermasken aufgeht. Und sie ignoriert den Erlösungsantisemitismus der Nationalsozialisten (Saul Friedländer), der projektierte, alle Juden der Erde zu vernichten.
Sicherlich ließe sich Katz als underground-Strategie lesen, als Meta-Kommentar zu Spiegelmans Bedürfnis, zuletzt in MetaMAUS die Interpretation seines eigenen Werkes und damit dessen Nachleben zu kontrollieren. Katz wäre in dieser Perspektive ein Statement, dass sich die Lektüre eines Comics nicht kontrollieren lässt. Doch darf nicht vergessen werden, dass dieser Comic auf dem international sicher bedeutendsten Comic-Festival in Angoulême erstmals vertrieben wurde, auf dem Art Spiegelman „allgegenwärtig“ war, mit einer großen Werkschau geehrt und dem Grand Prix de la Ville d’Angoulême ausgezeichnet wurde. Doch was ist angesichts dieser Würdigung eines bedeutenden Werkes der Punkt der Appropriation? Gibt es hier ein detournement, wie gelegentlich zu lesen war? Nein. Die Situationistische Politik wendete sich gegen das Spektakel, entwendete Comics, die Teil einer kulturindustriellen Produktion waren, um mit ihnen den Klassenkampf zu verschärfen. Auch Bart Beaty geht fehl, wenn er diese Überzeichnung mit dem Vorgehen der Air Pirates vergleicht. Die Air Pirates haben ihr Recht eingefordert, eigene Versionen von Mickey Mouse zu produzieren, weil die gezeichnete Linie ihrer Auffassung nach allen gehört. Sie haben das strukturell parodistische Moment des Comics erkannt, das die Urheberschaft notwendig durchstreicht, und eben auf das Eigentumsrecht angewandt. Strukturell gilt dies auch für Katz, doch Spiegelman ist nicht Walt Disney (auch wenn Vladek in einer Szene hofft, sein Sohn würde genau so berühmt). Katz macht nicht nur eine Aussage über künstlerische Praxis, sondern interpretiert den Holocaust (so wie die Air Pirates Mickey haben „Fuck You“ sagen lassen, Abb. 3).
Die Differenz zeigt sich auf einer Seite, wegen der Art Spiegelman schon einmal einen Prozess angestrengt hat. Auf ihr ist die Verbrennung der Juden in großen Gruben dargestellt. Dieses Panel zu vergrößern, wie Phaidon es gemacht hat, verwandelte es „into something very graphic and totally decontextualized“ (Art Spiegelman: MetaMAUS. New York 2011, S. 100). In Katz sind vier der sechs dargestellten Figuren neu gezeichnet. Wie wenig sie dem Versuch nachkommen, den bei lebendigem Leibe verbrannten ein Bild zu geben, ein unmögliches Bild (vgl. Ole Frahm: Genealogie des Holocaust. München 2006, S. 223), ist offensichtlich (Abb. 2). Und so sollte es niemanden wundern, dass Spiegelmans französischer Verlag Flammarion die Verbreitung von Katz untersagt, auch wenn dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit für die kleine Auflage – es sollen 800 Exemplare gedruckt worden sein – ebenso steigt wie deren Sammlerpreis. Aber die Intervention von Katz ist dagegen nicht zu verteidigen, sie bleibt in ihrer Akribie trotzig, kleinlich und ressentimenthaft. Im übrigen gibt es schlimmere Aneignungen von MAUS, beispielsweise Auschwitz von Pascal Croci, und interessante Provokationen in Bezug auf den identifikatorischen Gutmenschen-Diskurs über den Holocaust, beispielsweise der in Spanien und Frankreich verbotene Comic Hitler=SSvon Gourio und Vuillemin (Abb. 4).
Ich danke Bart Beaty für die Beispiele von Katz.
(Ole Frahm)