Bildrollen und Manga – Japanische Bilderzählungen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Vom 30. September  bis zum 6. Januar 2013 ist im Hannoveraner Wilhelm Busch Museum die Ausstellung „Bildrollen und Manga – Japanische Bilderzählungen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ mit über 170 Originalexponaten zu sehen.

 

 

 

 


Aus dem Pressetext:

30 Originalzeichnungen zu einem Meilenstein des japanischen Comics

Zentrales Exponat der Ausstellung ist der Manga Barfuß durch Hiroshima von Keiji Nakazawa (*1939), von dem Originalzeichnungen einzig im Museum Wilhelm Busch – Deutsches Karikaturmuseum und dann für lange Zeit nicht mehr außerhalb Japans zu sehen sind.

Mit diesem Comic schuf Nakazawa zu Anfang der 1970er Jahre einen Meilenstein des japanischen Manga gelang Nakazawa vor 40 Jahren mit einem Comic, der sich ursprünglich an Jugendliche wandte, was sich in der japanischen Öffentlichkeit nahezu kein anderes Medium traute: Die Auseinandersetzung mit der japanischen Gesellschaft während des Zweiten Weltkriegs und mit dem atomaren Trauma. Barfuß durch Hiroshima gewann auf diese Weise nicht nur für die Entwicklung des Manga große Bedeutung, sondern auch für die japanische Vergangenheitsbewältigung. Zudem machte dieser Manga den japanischen Comic auch im Ausland salonfähig: 1982 wurde Nakazawas Geschichte vom Rowohlt Verlag als erster Manga überhaupt in der Bundesrepublik veröffentlicht und lenkte damit den Blick deutscher Leser auf die japanische Comic-Kultur.

Bilderzählungen auf Querrollen

Das älteste Exponat der Ausstellung und gleichzeitig eine besondere Rarität ist eine Bildrolle aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die knapp 13 Meter lange Querrolle zeigt einen Dichterwettstreit in Form aneinander gereihter Bilder und Texte. Derartige großformatige Werke wurden Stück für Stück entrollt, so dass immer nur ein Abschnitt zu sehen war und die Szenarien flüssig wechselten.

Meister des japanischen Farbholzschnitts

Mit Verbesserung des Holzschnittdrucks im frühen 17. Jahrhundert und dem Bedürfnis nach günstiger Unterhaltung kam es in Japan zu einer weiten Verbreitung von Drucken. Großer Beliebtheit erfreuten sich die sogenannten ukiyo-e („Bilder der fließenden Welt“), von denen eine vielgestaltige Auswahl namhafter Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts in der Ausstellung zu sehen ist, unter anderem Arbeiten von Hokusai (ausgesprochen „Hoksai“) Katsushika (1760–1849) und Hiroshige Utagawa (1797–1858).

Öffnung zur westlichen Moderne

Nach Jahrhunderten der selbst gewählten Isolation öffnete Japan 1854 seine Häfen – und löste damit einen rasanten und umfassenden gesellschaftlichen und kulturellen Umbruch aus.

Ausgehend von den populären ukiyo-e-Ansichten der Überseehandelsstadt Yokohama kam es zu einer verstärkten Thematisierung von Erscheinungsformen der modernen westlichen Welt im tradierten Medium des Vielfarbenholzschnitts.

Auch europäische Karikaturisten kamen in den Folgejahren in das „Reich der aufgehenden Sonne“ und brachten ihre Bildtradition mit. Einer von ihnen war Charles Wirgman (1835–1891), der 1862 nach britischem Vorbild die Satirezeitschrift The Japan Punch gründete. War das Heft ursprünglich an ausländische Leser gerichtet, fand es auch unter den Einheimischen dankbare Abnehmer, für die eigens eine übersetzte Version erschien. So ist es nicht verwunderlich, dass sich im ausgehenden 19. Jahrhundert und in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts japanische Zeichner vielfach an ausländischen Vorbildern orientierten und es zu einer Verschmelzung der europäischen und fernöstlichen Bildsprache kam.

Gleichzeitig zu Bildrollen und Manga ist im Museum Wilhelm Busch anlässlich des 75-jährigen Bestehens die Sammlungsausstellung Karikatur & Zeichenkunst mit 200 ausgewählten Werken der europäisch-anglo-amerikanischen Karikatur von den Anfängen bis in die Gegenwart zu sehen. Hiermit bietet sich die einmalige Gelegenheit eines direkten Vergleichs zwischen der Bildtradition der westlichen und der fernöstlichen Welt.

Aktuell, brisant – und mit langer Vorgeschichte: Konflikte und Kriege zwischen
Japan und China

Einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Darstellungen der japanischen Kriege des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts in narrativen großformatigen Holzschnitten und Propaganda-Karikaturen.

Diese seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wiederholt aufflammenden militärischen Konflikte zwischen Japan und China, zuletzt im sog. „Fünfzehnjährigen Krieg“ (1931–1945), bilden den historischen Ausgangspunkt für die bis heute anhaltenden Spannungen zwischen den beiden Nationen, die sich tagesaktuell in anti-japanischen Protesten in China und im gewaltsamen Disput um eine unbewohnte, aber rohstoffreiche Inselgruppe (chin.: Diaoyu / jap.: Senkaku) im Ostchinesischen Meer entladen, auf die Japan seit dem gewonnenen ersten Krieg gegen China im Jahr 1895 Anspruch erhebt.

Das Satire-Magazin Manga: Der Zweite Weltkrieg aus Sicht der japanischen Karikatur

Von großer Seltenheit und inhaltlicher Brisanz – sowie erstmals in Europa in einer Ausstellung zu sehen – sind die Karikaturen des japanischen Magazins Manga, das während des Zweiten Weltkriegs mit hohem ästhetischem Anspruch satirische Bildpropaganda produzierte. Unter der militaristischen und ultranationalistischen Staatsführung entwickelte sich das 1940 gegründete Heft des populären Nonsens-Karikaturisten Hidezo Kondo (1908–1979) zu einem der führenden Mitteilungsorgane der Kaiserherrschaft und wartet aus westlicher Perspektive mit zum Teil überraschenden und ungewohnten Bildinhalten auf.

Gleichsam den Gegenpol hierzu bilden die eingangs erwähnten Originalzeichnungen zum Comic Barfuß durch Hiroshima aus den 1970er Jahren, mit denen der überzeugte Pazifist und Atom-Gegner Keiji Nakazawa selbstkritisch Stellung zu der von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit bestimmten japanischen Gesellschaft während des Zweiten Weltkriegs nimmt und einen entschiedenen Appell für Frieden und Völkerverständigung abgibt.

 

Neben einem Begleitheft, welches ab dem 26. Oktober im Museum erworben werden kann, wird es parallel zur Ausstellung ein umfangreiches Rahmenprogramm, zu dem auch einige Fachvorträge zum Manga und dessen mutmaßlichen Vorformen gehören, geben:

Prof. Gereon Sievernich, Direktor Martin-Gropius-Bau: Hokusai in Tokio
Mi 14.11.2012, 18 Uhr

Jörg Worat M.A., Publizist: Kunst? Schund? – Comicästhetik in Ost und West
Mi 28.11.2012, 18:00 Uhr

Yasufumi Sanada, Hiroshima: “MANGA” ist eine Friedenskultur
Mi 05.12.2012, 18 Uhr

 

Abbildungen:

Keiji Nakazawa, Seite 1 aus Barfuß durch Hiroshima, 1972, Tusche/Feder und Deckfarben auf Bleistift, Hiroshima Peace Memorial Museum

Hidezo Kondo, Madame Chiang Kai-shek (Titelblatt der Zeitschrift Manga), 01.05.1942, Farbdruck, Rekihaku – National Museum of Japanese History, Sakura

 

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