Rezension: Triëdere Nr. 6

Triëdere – Zeitschrift für Theorie und Kunst, Heft 6 (1/2012), „Art moyen & Yuma: Spezifische Potentiale des Comics“, Wien: Verein Zeitschrift Triëdere, 133 Seiten, 11 €. (ISSN 2075-5031)

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Durch die Formulierung „Zeitschrift für Theorie und Kunst“ mag die Vermutung naheliegen, bei Triëdere (der Name bezieht sich auf eine Wortschöpfung Robert Musils) handele es sich um eine wissenschaftliche Zeitschrift. Jedoch geht es in Triëdere nicht vorrangig um theoretische Texte über Kunst, sondern die Kunst (verstanden als Bildende Kunst und Literatur) und die Theorie, also Primär- und Sekundärliteratur, stehen hier gewissermaßen gleichberechtigt nebeneinander. Durch diese Ausrichtung wird auch die „anachronistische“ Beschaffenheit des Hefts „als bibliophile Kleinauflage auf echtem Papier“ (http://www.triedere.com) erklärt. Positiv hervorzuheben an der buchbinderischen Gestaltung ist der Schutzumschlag aus Papier, der außen mit dem Pappeinband verklebt ist (Französische Broschur), so dass er nicht verrutschen oder gar verloren gehen kann, aber seine Innenseiten immer noch als Lesezeichen dienen können.

Das kurze Editorial (S. 1-2) geht zwar auf den aktuellen Stand der Comicforschung ein, sagt aber wenig darüber, welchen Platz das vorliegende Heft darin einnehmen soll. So bleiben die Fragen unbeantwortet, warum man sich für das Thema Comic entschieden hat (Themen früherer Ausgaben waren z.B. „Erinnerung“ oder „Zeichnung“), wie die Autorinnen und Autoren akquiriert wurden, und worin sich das Heft von anderen Fachpublikationen abhebt. Befremdlich mutet zudem die Aussage an, es sei „eine zentrale Eigenheit des Comics […], von der Anforderung an Realitätsnähe befreit zu sein“. Dieses alte Vorurteil, Comics seien per se weniger realistisch als andere Kunstformen, glaubte man doch längst überwunden zu haben.

Der erste Artikel ist Thomas Beckers „Wer hat Angst vor der Neunten Kunst? Kurze Archäologie eines Legitimierungsdiskurses“ (S. 5-13). Darin schildert Becker die zaghafte Entwicklung des Comicfeldes von einer art moyen im Sinne Pierre Bourdieus hin zu einer legitimen Kunst, unter Auflistung der bekannten Stationen: die Louvre-Ausstellung 1967, den Literaturpreis des Guardian für den Comic Jimmy Corrigan 2001 usw. Dabei kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass Becker hier nicht nur einen Diskurs beschreibt, sondern auch selbst eine Position darin einnimmt, indem er Comics von Art Spiegelman oder Chris Ware als auf irgendeine Weise besser zu erachten scheint als z.B. „triviale Science Fiction“. An der formalen Anlage des Aufsatzes fällt auf, dass er nur sechs Fußnoten enthält, so dass viele Aussagen unbelegt bleiben; die vier Abbildungen werden im Text nicht ausdrücklich referenziert und haben nur einen vagen Bezug zu ihm; die Bildunterschriften sind sehr knapp gehalten und verzichten auf Maßangaben der Originale (was z.B. bei einer Gegenüberstellung von einem Roy-Lichtenstein-Gemälde und seiner Comic-Vorlage, wie in Abb. 1, angebracht wäre). Hier zeigt sich das eingangs gesagte: Auch wenn die Inhalte der Triëdere-Artikel wissenschaftlich anmuten mögen, handelt es sich doch nicht um wissenschaftliche Artikel im engeren Sinne.

Das wird auch beim zweiten Beitrag deutlich, „A Sense of Yuma“ von Ole Frahm (S. 14-21), der in erster Linie den Humor von George Herrimans Krazy Kat aus zeichentheoretischer Sicht zu ergründen sucht. Dabei dehnt Frahm rasch das Blickfeld auf Comics im Allgemeinen aus, was wenig überzeugend wirkt, etwa wenn er schreibt, Comics „kombinieren die Zeichenbestände von Zeichnungen und Schrift“ (wo doch bekanntermaßen zahlreiche Comics ohne jegliche Schrift auskommen), oder durch kryptische Formulierungen wie: „[Comics] weisen die Frage der Hermeneutik zurück, die nach der Lektüre doch einen Sinn zu bestimmen vermag, sondern werfen eine erkenntnistheoretische Frage auf.“ Mit Thomas Beckers vorangegangenem Artikel gemein sind Ungenauigkeiten bei den Bildunterschriften (zwei der drei gezeigten Krazy-Kat-Strips sind undatiert) und die Beschränkung auf gerade einmal sechs Literaturhinweise.

Barbara Eders Text „Horror vacui & Outer Space. Das ‘gelobte Land’ der 8×6 Zentimeter“ (S. 23-33) knüpft lose Verbindungen zwischen der Philosophie Gilles Deleuzes und unterschiedlichen Comics. Das mündet in anfechtbaren, verallgemeinernden Thesen wie: „Deterritorialisierte avancieren […] zu bevorzugten Erzählfiguren im Comic.“ Zum schwer verständlichen Inhalt kommen auch hier formale Nachlässigkeiten hinzu, etwa Zitate, die von den Sprechblasentexten in den Abbildungen abweichen (z.B. zitiert Eder: „Still the wisest is the man, who knows what he truely hungers for.“; im abgebildeten Comic von Jon Macy steht hingegen: „Still, the wisest is the man who knows what he truly hungers for.“).

Der überzeugendste Artikel im Heft ist wohl der von Doris Neumann-Rieser (S. 35-46), vor allem da er einen klar umrissenen Gegenstand hat: die Rezeption von Comics in der kommunistischen Zeitschrift (Österreichisches) Tagebuch in den 40er und 50er Jahren. Der Aufsatztitel „In der Uniform des Gegners. Der Comic im Österreich des Kalten Krieges“ ist dabei ein wenig ungenau, da eine einzige Zeitschrift wohl kaum das gesamte „Österreich des Kalten Krieges“ repräsentieren kann. Jedenfalls stellt Neumann-Rieser einerseits die comicfeindliche, meist mit Antiamerikanismus und Pazifismus argumentierende Haltung der Tagebuch-Autoren heraus, und zeigt andererseits Beispiele für „sehr eigenwillige Verwendungen des Mediums gezeichneter Bildfolgen“, die im Tagebuch abgedruckt worden sind. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Autorin sich die Mühe gemacht hätte, die Quellen für die abgebildeten Comic-Panels aus dem von ihr zitierten Tagebuch-Artikel ausfindig zu machen und anzugeben (u.a. ein auch in Frederic Werthams Seduction of the Innocent reproduziertes Panel aus „Murder, Morphine and Me“ von Jack Cole, was darauf hindeutet, dass der Tagebuch-Autor womöglich gar nicht den Original-Comic, sondern nur Werthams Buch kannte).

Der darauffolgende Beitrag ist kein Aufsatz, sondern ein Auszug aus einem Comicband namens Inmates (S. 47-65), geschrieben von Thomas Ballhausen, gezeichnet von Jörg Vogeltanz und erschienen in dessen eigenem Verlag edition preQuel. Anders als der überwiegende Rest des Hefts wurden diese Comic-Seiten nicht in Graustufen, sondern mit zusätzlicher Farbe gedruckt, was eine Art Sepia-Optik ergibt. Schade ist hingegen, dass die Seiten des Comics zu knapp in die Abmessungen der Heftseiten eingepasst worden sind, so dass man zur Heftmitte hin Teile der Zeichnungen und der Sprechblasenschrift nicht mehr erkennen kann. Inhaltlich lässt sich kaum etwas über diesen dafür viel zu kurzen und obskuren Ausschnitt sagen. Ballhausen selbst schreibt in der Einleitung, „Angesiedelt in einer düsteren, phantastischen Welt am Rande des Zusammenbruchs liefern sich diese hochgradig aufgeladenen, tragischen Figuren ihr tödliches Endspiel“. Da drängen sich durchaus die grundsätzlichen Fragen auf, warum gerade dieser Comic zum Abdruck in Triëdere ausgewählt wurde und was er mit den Textbeiträgen zu tun hat.

Auch im nächsten Beitrag stehen Comics an sich im Vordergrund. Elena Messner stellt vier „Zeitgenössische Comics aus Serbien und Bosnien-Herzegowina“ vor (S. 66-100), die jeweils auf mehreren Seiten (mit deutschem bzw. englischem Text) abgebildet und von Messner auf einer Seite kommentiert sind. Die Kommentare zu diesen im deutschen Sprachraum kaum bekannten Autoren (und einer Autorin) sind hilfreich und lassen diesen Beitrag weniger deplatziert im Kontext des Hefts wirken als Inmates. Aus irgendeinem Grund sind diese Kommentartexte jedoch bedauerlicherweise in einer kleineren, magereren und daher schwerer lesbaren Schrift gedruckt als das übrige Heft.

Darauf folgt wieder ein Textbeitrag. Unter dem Titel „Poetik des Naheliegenden im Comic“ (S. 101-115) geht Walter Pamminger einem durchaus faszinierenden formalen Phänomen nach: der „kompositorischen Verkettung“. Damit sind bildliche Strukturen gemeint, die sich über Panelgrenzen hinweg mit Strukturen in benachbarten Panels zu größeren Kompositionen verbinden lassen, welche bisweilen in einem Spannungsverhältnis zur herkömmlichen Lesereihenfolge stehen. Auffällig ist dabei Pammingers Verzicht auf jegliche Hinweise auf andere relevante formalanalytische Forschungsliteratur, die mit Sicherheit existiert (zumindest Scott McCloud hätte genannt werden können).

Bei „Chantal Montellier, der Comic und der Fall der Frauen“ (S. 117-123) handelt es sich um einen Auszug aus Mira Falardeaus Buch Femmes et humour, das 2013 erscheinen soll. Im zweisprachig abgedruckten Text – französisches Original und deutsche Übersetzung – stellt Falardeau einige Texte (keine Comics) der Comicautorin Chantal Montellier vor, in denen sie Sexismus in der Comic-Industrie anprangert. In diesem kurzen Auszug kommt Falardeau selbst kaum zu Wort, sondern gibt nur die Ansichten Montelliers wieder, und man hat nach der Lektüre das Gefühl, sich so nur bedingt einen Eindruck von Falardeaus Buch verschafft zu haben.

Der letzte Beitrag im Heft ist „Der Künstler mit der Maus. Oder: wie sich Claes Oldenburgs Kunst Comic-Elemente aneignet“ (S. 125-130) von Wolfgang Pichler. Durch den Titelzusatz ist der Forschungsgegenstand klar definiert, und dennoch ist Pichlers Lösung dieser Aufgabe nicht ganz zufriedenstellend. Da wären zum Einen diverse Ungenauigkeiten, die die Kraft der Argumentation schmälern: Ist der Kopf von Mickey Mouse tatsächlich das Firmenlogo von Walt Disney, oder ist es nicht vielmehr das Märchenschloss? Verweist dieser Mäusekopf wirklich eindeutig auf Comics, oder nicht vielmehr auf Trickfilme? Dann ist der Comic-Bezug von einigen angeführten Beispielen (das Bild „Ray Gun Poster Dog“, die Lesung aus The Scarlet Pimpernel in einer Performance) so vage, dass man sie ebenso gut hätte weglassen können. Wenn aber tatsächlich „in diesem Artikel nur die wichtigsten und augenfälligsten Beispiele für die Beeinflussung durch Comics in Oldenburgs Werk […] angedeutet werden [konnten]“, so muss man sich angesichts jener Beispiele fragen, ob diese Beeinflussung wirklich so bedeutend war wie behauptet. Zudem verstrickt sich Pichler bezüglich des Kunststatus von Comics in Widersprüche: Einerseits sind Comics für Pichler bloß „ein der Bildenden Kunst besonders nahestehendes Phänomen der Alltagskultur“, und er fordert eine klare Unterscheidung zwischen den „verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen“ Populärkultur (zu der dann Comics zählen) und Kunst – andererseits wird im letzten Satz des Artikels der Comic wiederum als „Kunstform“ und einer der „Bereiche der Bildenden Kunst“ bezeichnet (ohne dass die eine oder die andere Position kunsttheoretisch begründet würde).

An dieser Ausgabe von Triëdere als Ganzes ist noch lobend zu erwähnen, dass es den Autorinnen und Autoren anscheinend selbst überlassen war, eine geschlechterneutrale Sprache zu wählen. So finden sich unterschiedliche Lösungen wie „NutzerInnen“ (Neumann-Rieser, Pichler), „Leser_innen“ (Eder) oder die rein männliche Form wie „Leser“ (die überwiegende Mehrheit). Das zeugt vom Respekt, den die Redaktion ihren Beitragenden entgegenbringt, anstatt sie durch Vereinheitlichung zu bevormunden. Was an dem Heft noch ins Auge sticht, ist das deutliche Übergewicht an österreichischen Autorinnen und Autoren: Von den 14 im Verzeichnis aufgeführten Personen stammen 7 aus Österreich. Das liegt natürlich am Redaktionssitz der Zeitschrift, zeigt aber eben auch eine gewisse Voreingenommenheit bei der Auswahl der Beitragenden, die unangebracht wäre, würde es sich hier um eine wissenschaftliche Zeitschrift handeln. Insgesamt ist Triëdere Nr. 6 eine Art Mischwesen, nichts Halbes und nichts Ganzes: Den behandelten Themen nach scheint sich die Zeitschrift an ein wissenschaftliches Fachpublikum zu wenden. Dennoch würde kaum einer der Artikel wissenschaftlichen Kriterien standhalten, und so wäre es irreführend, Triëdere als akademisches Journal zu bezeichnen. Es handelt sich aber auch nicht um gehobenen Comic-Journalismus à la The Comics Journal. Am ehesten vermag dieses Triëdere-Heft noch dem deutschsprachigen Comicforschungspublikum als Inspirationsquelle und womöglich als Unterhaltungslektüre dienen – zwingend relevante Sekundärliteratur ist es jedoch nicht.

Martin de la Iglesia (Göttingen / Saarbrücken)

 

One thought on “Rezension: Triëdere Nr. 6”

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