in Kooperation mit der Muthesius Kunsthochschule und FH Kiel
Juni 22-24, 2023
Erzählungen sind anthropologische Grundkonstanten kultureller Praxis und eng verwoben mit dem epistemischen Versuch Lebenswelten zu beschreiben, ihnen Sinnstrukturen zu verleihen und gleichzeitig auch individuell zu charakterisieren. Abhängig von der sprachlichen Entwicklung des Homo sapiens ist die These gebräuchlich, dass Erzählungen und mythische Beschreibungen schon vor jeder medialen Speicherung und Fixierung mündlich stattgefunden haben. Wissenschaftlich gesehen wird der Zugriff auf eine Kulturgeschichte der Narration evident durch Schriftsysteme gestützt, wie beispielhaft den über 4.000 Jahre alten und Keilschrift-basierten Tontafeln, welche Verse des Gilgamesch-Epos beinhalten. Wesentlich älter zeigen sich dagegen Höhlen- oder Felsbilder der Ur- und Frühgeschichte, die neben Informationen über Flora und Fauna in vielen Kontexten ebenfalls symbolische Darstellungen beinhalten mit oftmals mythologischer oder narrativer Funktion.
Erzählungen als Aspekte einer individuellen oder kollektiven Imagination zeigen sich somit medienästhetisch immer abhängig von den jeweiligen Zeichenformationen und -konfigurationen sowie den eingesetzten Medientechnologien einer jeweiligen Zeit oder Epoche: Das, was erzählt wird, findet damit Eingang in unterschiedliche mediale Rezeptionskontexte und historisch sich konstant entwickelnde Materialitäten, Medien, Technologien, Zeichenstrukturen wie auch in kreative Herstellungsstrategien und praktische Verwendungskontexte.
Der analytische Zugriff auf das »Storytelling« kann für das Symposium aus zwei eigenständigen Richtungen gedacht werden: Einerseits ist ein wissenschaftlich-hermeneutischer Zugriff auf den Begriff »Storytelling« wünschenswert, der eine historische und mediensystematische Verortung möglich macht. Ziel kann es demnach sein, den Begriff kulturgeschichtlich zu verorten und mit aktuellen Deutungs-Tendenzen und technischen Perspektivierungen in Beziehung zu setzen. Ein Augenmerk kann hier auf den transdisziplinären Bedeutungen für emotive, individuelle und kollektive Kommunikationsstrategien liegen, wie auch auf den spezifischen Ausprägungen der Erzählweisen in linearen, nicht-linearen und multimodalen Mediensettings. Weiterhin könnte Berücksichtigung finden, ab wann oder in welchen Medienszenarien Narrative zu Gunsten weiterer sensorischer Impulse in den Hintergrund rücken, direkt ausgeschaltet oder in neue Kommunikationsformen und -formate überführt werden. Andererseits sollte ein explizit gestalterischer Zugriff auf den Begriff »Storytelling« gewährleistet werden, der die Funktion des darstellenden Mitteilens konsequent mit gestalterischen Entscheidungen und der Selektion medialer Zeichensysteme eng führt, um den Gestus von gestalteten Erzählmodi herausarbeiten zu können. Ziel ist dann keine Werkschau, sondern vielmehr das analytische in Beziehung setzen von gestalterischem Repertoire und den anvisierten narrativen Kommunikationseffekten.
Der für das Symposium zu Grunde gelegte Begriff des »Storytellings« soll bewusst weit und offen verstanden werden, wobei hier konkrete Erzählungen, Erzähl- und Mitteilungsweisen oder abstrakte Null-Erzählungen ebenso Berücksichtigung finden, wie die möglichen Ausprägungen innerhalb von sensorischen Narrativen: Zu nennen wären bspw. haptische Narrative, wie die Papierwahrnehmung eines Comics, die Qualität von Stoffen für hochwertige Kleidung oder die Steuerung und Interaktion bei einem Computer Game. Visuelle Narrative aus Illustration, Informations- oder Computergrafik, Fotografien, Druckerzeugnisse, Bewegtbilder, immersive Bilder, Typografie, Farbsignifikationen oder Szenische Theater-Atmosphären. Auditive Narrative als Sprachliche Erzählungen, Dialoge, Sound Design, Soundscapes, Leitmotive, Filmmusik und Bildtöne, Hörspiele, individuelle Stimmcharakteristiken, Soziolekte, Phonosphären. Olfaktorische Narrative wie Parfüm als Statussymbol oder duftende Naturwerkstoffe als Nachhaltigkeitsnarrative. Gustatorische Narrative als landestypische Gerichte im Urlaub, Confiserie oder Geschmacksempfindungen als Belohnungen. Propriozeptive Narrative im Kontext von Körperbewegungen in einer VR-Anwendung oder Schreckeffekten während eines Horrorfilms im Kino. Viszerozeptive Narrative im Modus des leiblichen Spürens von Höhe in einer Flugsimulation, das Empfinden von Arachnophobie im Kontext einer therapeutischen VR-Anwendung oder beschleunigte Montage und Blickirritationen im Action-Kino. Ebenfalls zählen thermozeptive Narrative dazu, wie beschleunigter Herzschlag und erhöhte Körpertemperatur bei einem Life Action Role Play oder sportliche Erschöpfung als Leistungsnarrativ oder auch nozizeptive Narrative, wie z.B. Schmerzen in der Hand durch übersteigerte Messanger-Nutzung, die Steuerung von interaktiven Medien oder das Gewicht eines schweren Buches in den Händen nach langer Lesezeit.
Da das Erzählen und konkrete Mitteilen eng mit den jeweiligen ästhetischen Repertoires der Medientechnologien in Beziehung steht und von diesen auch strukturell beeinflusst wird, zeigt sich »Storytelling« ebenso über die jeweilige sensorische Aneignung vermittelt und damit wirksam über die sensorischen Wahrnehmungsmodalitäten der Rezipierenden. Das Spannungsfeld von »Erzählung – Medium – Wahrnehmung« gilt hierbei besonders durch zahlreiche Innovationen des sogenannten »Digital Turn« beeinflusst, wobei vor allem das Geflecht von medienund artefaktspezifischen Strukturierungsleistungen gemeint ist. Systematische Beschreibungen oder Modellbildungen lassen sich folglich nur an der Schnittstelle von Multi-, Trans- und Intermedialität formulieren, wobei sich Narrative dann kontinuierlich durch die je individuelle Abhängigkeit ihrer Verkörperung durch Artefakte, Werke und Medien konsolidieren.
Das Symposium macht es sich zum erklärten Ziel, eben jene progressiven und innovativen Interdependenzen des Konstrukts »Storytelling« in den Blick zu nehmen, um gleichzeitig und exemplarisch den zahlreichen gegenwärtigen Erzählstrategien und -formaten in Design, Kunst, Medienkultur und ästhetischer Tradition produktiv nachzuspüren.
Die offizielle Deadline für das Einreichen von Abstracts mit einer Länge von 500 bis 800 Wörtern ist der 20. Februar 2023.
Bitte senden Sie eine kurze Biografie, Kontaktinformationen und das Abstract an Prof. Dr. Lars C. Grabbe (MSD – Münster School of Design), Prof. Dr. Patrick Rupert-Kruse (FH Kiel) und Prof. Dr. Norbert M. Schmitz (Muthesius Kunsthochschule Kiel) über: contact@movingimagescience.com. Bei weiteren Fragen dürfen Sie sich gern an die Organisatoren des Symposiums wenden. Weitere Informationen unter www.movingimagescience.com.
Für die Teilnahme als Gast schicken Sie bitte eine E-Mail an Prof. Dr. Lars C. Grabbe über l.grabbe@fh-muenster.de (eine Registrierung via Mail ist für den Eintritt erforderlich). Der Eintritt zur Konferenz ist frei und es werden keine Kosten erhoben.