Auch in diesem Jahr wünscht die Redaktion und der Vorstand der Gesellschaft für Comicforschung all ihren Leser_innen und Freund_innen einen guten Start ins neue Jahr 2025 und präsentiert zu diesem Anlass wieder aktuelle Leseempfehlungen von Comicforscher_innen, die wir zum Jahresabschluss gesammelt haben. (Die Leseempfehlungen der letzten Jahre finden sich hier.) Viele unserer Mitglieder haben uns erneut ganz subjektive Lektüretipps geschickt, die aus den vergangenen zwölf Monaten im Gedächtnis geblieben sind – aus welchen Gründen auch immer. Darunter haben sich auch ein, zwei Titel eingeschlichen, die bereits zuvor publiziert worden sind, aber in diesem Jahr nochmal besonders im Gedächtnis geblieben sind.
Jörn Ahrens
Kultursoziologe, Justus Liebig Universität Giessen
Neyef: Hoka Hey!
Die Pine Ridge Reservation 1904. Die Frontier ist geschlossen, die Kinder der Lakota werden zu Amerikanern erzogen. So auch George, ein Junge, der Arzt werden will, die rechte Hand des Reservatsverwalters und doch nur sein Diener ist. Der Comic eröffnet mit einem Picknick in der Prärie, dessen Idylle schnell gestört, der Verwalter erschossen wird von einer Gruppe aus zwei versprengten Indianern (zur Legitimität des Begriffs vgl. Mattioli 2023) und einem Weißen. Die kleine Gruppe ist der letzte Widerstand indigener Identität gegen die längst vollzogene Eroberung des Westens. Sie müssen sehr viel und sehr viele rächen und versuchen zugleich, eine Lebensweise zu rekonstruieren, die ihre ist, die sie aber selbst gar nicht mehr wirklich kennen. George müssen sie mitnehmen, erst als Gefangenen, als Ballast, dann als Schüler und Kompagnon, schließlich als Nachfolger. Die Gruppe wird bald von einem Kopfgeldjäger beseitigt, auch eine aussterbende Art der Zeit. Nur George überlebt; er wird die Rache sechs Jahre später vollenden und den Faden einer Existenz als Lakota wieder aufnehmen. In lichten Bildern, stilistisch irgendwo zwischen Manga und Bande Dessinée, der Text gut verteilt, in schönen Panels, die den Lesefluss ebenso steuern, wie sie die Lust am Hinschauen befeuern, erzählt dieser Band ebenso ruhig wie atemlos. Die 220 Seiten legt man nicht vor der letzten Seite aus der Hand.
Noel Simsolo und Bézian: Doktor Radar, Bd.1: Mörder der Wissenschaftler
Was ist das für ein Zeichner, dieser Bézian! Warum liegt bislang kaum etwas von ihm vor auf deutsch? Rasant skizzenhafte Zeichnungen, Hintergründe nur wo nötig, von Seite zu Seite, manchmal von Panel zu Panel wechselnd monochrome Kolorierung, zuweilen unterbrochen von Farbtupfern, so viel Gebrauchsgraphik des Art déco als Stilistik. Dieser Comic entfaltet schon allein ästhetisch eben jene Dynamik, die auch seine Geschichte prägt, ruhelose Helden, die nie Charaktere werden, immer Schablonen bleiben, das aber erstklassig. Doktor Radar, dessen Gesicht niemand kennt, tötet Wissenschaftler. Ob er damit auch die Vernunft mordet, bleibt dahingestellt. Gejagt wird er vom Gentleman-Detektiv Ferdinand Straub, ein Ass, ein detektivisches Genie, aber immer einen Moment zu spät. Angesiedelt in den frühen 1920er Jahren ruft dieser Comic die ganze Kolportage der Zeit auf, kreiert ihr eine große Hommage mit ständigem Augenzwinkern. Am Ende entkommt Doktor Radar als Roter Baron und die Frage steht im Raum: „Wird die Welt weiterhin erzittern?“ In Frankreich gibt es bereits mindestens drei Bände. Bitte schnell übertragen!
Mikael: Harlem
New York City im Jahr 1931. In original zwei Bänden, hier zusammengefasst zu einer Ausgabe, tauchen wir ein in eine Welt, in der der Jazz entsteht und der moderne Journalismus, in der Rassismus nicht nur alltäglich ist, sondern gut sichtbar die Ordnung der Gesellschaft prägt, ihre Strukturen und Institutionen, und in der Kriminalität und Unternehmergeist so eng beieinander liegen, dass klar wird, weshalb gerade zu dieser Zeit Disruption und kreative Zerstörung zu einem Topos werden konnten. Mittendrin eine schwarze Frau ohne wirklichen Namen, „Queenie“ oder „Frenchy“, die als Zugewanderte aufgestiegen ist und ein undurchsichtiges Imperium aus eher zwielichtigen Unternehmungen regiert. In losen Rückblenden wird ihre Geschichte halbwegs transparent gemacht. Atmosphäre, Erzähltempo und Artwork stimmen sehr schön zueinander. In großen Bildern in gedeckten Farben, während die Rückblenden in blau und gelb gehalten sind, und in visuell stark durchkomponierten Seiten entfaltet dieser Comic große erzählerische und graphische Intensität. Vordergründig geht es dabei um das allzu gut bekannte, ikonische New York der dreißiger Jahre, dessen vielfach zu Klischees geronnene Facetten auch allesamt bedient werden. Aber in Wirklichkeit geht es um Emanzipation, der schwarzen Amerikaner_innen, der Migrant_innen, der Frauen. Dafür dreht dieser Band dann so ziemlich alles um und entwirft eine Reihe beeindruckend starker Charaktere, die die Geschichte noch einmal neu lesbar machen.
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Arnold Bärtschi
Klassischer Philologe, Ruhr-Universität Bochum
Mari Yamazaki und Tori Mikki: Plinius (Pline), Band 12
Im Mai 2024 erschien der zwölfte und letzte Band der französischsprachigen Übersetzung der Mangareihe Plinius von Mari Yamazaki und Tori Mikki (Casterman 2017-2024). Die Serie folgt dem antiken Naturforscher Gaius Plinius Secundus auf seinen Forschungsreisen quer durch das Mittelmeer und illustriert die Entstehung seiner monumentalen Enzyklopädie Naturalis historia. Nicht nur geben die Autor_innen mit ihren realistischen Zeichnungen einen lebendigen Einblick in die antike Welt unter Kaier Nero, sondern sie liefern auch eine neue und subtile Darstellung von dessen Karriere, die von gesundheitlichen Problemen und Machenschaften am Kaiserhof geprägt ist. Dementsprechend bietet die Lektüre nicht nur spannende Anknüpfungspunkte an Aspekte der Antikerezeption wie den berühmten Ausbruch des Vesuvs, sondern auch an den Bereich der Graphic Medicine. (Und nebenbei erweitert man beim Lesen gehörig seinen französischen Wortschatz, da sich Plinius für alle möglichen obskuren Naturerscheinungen interessiert.) Allen Leser_innen, die von Yamazaki-senseis unterhaltsamer Serie Thermae Romae um den zeitreisenden Thermenarchitekten Lucius begeistert waren, ist Plinius wärmstens zu empfehlen!
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Ole Frahm
Comicforscher, Arbeitsstelle für Graphische Literatur (ArGL) Hamburg
Salomon J. Brager: Heavyweight. A Family Story of the Holocaust, Empire, and Memory
Ein Comic wie eine Doktorarbeit. Etwas zu lang, zu viele Themen, sehr belesen und mit Fußnoten am Ende. Und doch ist es sicher einer der interessanteren Beiträge der letzten Jahre: gerade weil es wie ein langer Essay wirkt, der nach über 300 Seiten gesteht, er hätte gerade mal die Oberfläche angekratzt. Schade, dass Brager daraus kein Argument für den Comic selbst macht, der ja immer wieder der Oberflächlichkeit bezichtigt wurde. Gleichzeitig ist dies nicht die Tradition, in die sich Brager stellen will. Lange Zitate, von Primo Levi bis Dirk Moses, unterbrechen die Geschichten, es geht um settler colonialism (ohne Israel zu erwähnen), Stolpersteine, Deutsche Erinnerungspolitik, die Frage nach Entschädigungen… Es ist der Versuch, die eigene Familiengeschichte, die nicht eine, sondern mehrere Geschichten meint, in einem größeren historischen Kontext zu begreifen – bis zu einem afro-amerikanischen Friedhof, der in Flatbush, Brooklyn, wo Brager wohnt, überbaut wurde. „It’s the unmarked graves that haunt, that call to be unsettled“. Bragers Comic ist ein solcher Ruf, erschüttert zu sein – ohne vorzuschreiben, was aus dieser Erschütterung folgt. Es ist kein Zufall, dass die Comics deutscher Zeichner_innen in ihren Familiengeschichten eher die Momente aufsuchen, die beruhigend wirken… Der Urgroßvater Bragers war übrigens Boxer, was den Titel etwas ‚leichter‘ macht…
Leela Corman: Victory Parade
Das ist das Beste, was ich seit Jahren gelesen habe. Corman lässt erfrischend die meisten Konventionen der Holocaust-Comics beiseite, wie schon der Titel andeutet: er ist farbig, es gibt nicht eine Hauptfigur (und sei es nur, wie bei Salomon J. Brager die eigene Persona), sondern mehrere, die vor dem Tod nicht sicher sind; die Vernichtung der Juden wird zwar erzählt, aber vor allem durch ihre Auswirkungen auf die Leben in New York; es spielt in der Working Class; die Träume, Alpträume, die Phantasien und Kinofilme der Zeit sind ebenso real wie das, was gemeinhin als real begriffen wird; es gibt keine Erzählerin, die das ganze rahmt und durch in der Perspektive absichert; Figuren der Leinwand und Gespenster treten auf wie alle anderen Figuren. Dies führt nicht zu einer Relativierung, Banalisierung oder Trivialisierung, sondern erinnert aufgrund der Schilderungen der Wirkungen des Holocaust daran, was uns heute daran noch betreffen sollte.
Sascha Hommer: Das kalte Herz
Walter Benjamin und Siegfried Kracauer lobten in den 1920er Jahren die Erzählform des Märchens als eine, die sich der bürgerlichen Welterklärung, wie sie im Roman populär und bis heute dominant wurde, entziehen würde. Walter Benjamin hat 1932 sogar Hauffs Das kalte Herz für das Radio als Hörspiel eingerichtet. In den Graphic Novels, die leider viel zu häufig der Ästhetik des Romans folgen und damit das proletarische Erbe der Comics verdrängen, sind Märchen selten. Authentische Lebensbeichten oder Familiengeschichten, wie sie Bragers Heavyweight vorführen, herrschen vor. Doch in den letzten Jahren scheint sich etwas zu ändern, wie auch Cormans Victory Parade andeutet. Sascha Hommer, der in Freiburg, nahe des Schwarzwalds aufgewachsen ist, wendet sich in seiner jüngsten Publikation Hauffs Klassiker zu. Hommers Werk darf sicher zu einem der heterogensten und insofern experimentellsten im deutschsprachigen Comic gelten. Es gibt Autobiographisches (In China), das aber eher als Vorwand dient, über die Fremdheit verschiedener Kulturen nachzudenken (weshalb er Spiegelmans Masken aus Maus zitiert), es gibt Fantasy (Im Spinnenwald), eine eher erkenntnistheoretische Erzählung, er hat mit Jan-Frederik Bandel einen Comic-Strip gezeichnet (Im Museum) und sich literarische Texte angeeignet (Dri Chinisin nach Brigitte Kronauer), auch hier favorisiert Hommer die kleine Form der Erzählung gegenüber dem Roman. Nun also Das kalte Herz, das 1827 zuerst veröffentlicht wurde. Kein einfacher Stoff, zur Romantik zählend und von Geld, Geiz und Wucher als bösen Kräften handelt. Doch Hommer weiß den Stoff aus seinen antisemitischen Implikationen zu lösen – und durch kleine Veränderungen (aus dem Glasmännlein wird ein Glasweiblein) zu etwas zeitgenössischem zu machen. Alles überzeugt: die gedeckten Farben, die naive Hauptfigur Peter Munk, der vom Köhler zum Handelsherr wird, die rätselhaften Geister des Waldes – vor allem aber die Erzählung selbst, die den Ton wahrt, das Phantastische unterstreicht und ohne Zierrat zum Nachdenken über das Verhältnis von Märchen, Moderne und Comics einlädt.
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Benedikt L. Freiling
Germanistikstudent, Philipps-Universität Marburg
Edgar Allan Poe, adaptiert von Gaby von Borstel und Peter Eikmeyer: Der Rabe/The Raven
Die neue Adaption von Edgar Allan Poes Gedicht „Der Rabe/The Raven“ ist ein absolutes Meisterwerk! Die Autor_innen Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer haben es geschafft, Comic und beeindruckende Bildkunst auf eine völlig neue Art und Weise zu arrangieren. Doch für das kreative Autor_innenpaar ist das keineswegs eine neue Erfahrung. Nach der Adaption von „Im Westen nichts Neues“ und „Heinrich Heine – Eine Lebensfahrt“ reiht sich das Gedicht von Poe in diese beeindruckende Reihe ein.
Die zweisprachige Ausgabe, die dieses Jahr im Splitter Verlag erschienen ist, ist ein echtes Highlight! Die Autor_innen verknüpfen darin die Lyrik mit einem roten Faden, der den Inhalt unterstreicht, und präsentieren uns dazu noch bildgewaltige Hintergrundportraits von dem Raben. Die Dualität der zweisprachigen Ausgabe ist absolut beeindruckend und wird von den kontrastreichen Zeichnungen perfekt ergänzt. Der Band enthält nicht nur einen faszinierenden Beitrag über das Leben des Autors, sondern auch einen inspirierenden Text über die Rehabilitierung eines verkannten Tieres, der spannende Bezüge zur Comicwelt aufweist. Die düstere Stimmung wird auf eindrucksvolle Weise durch dunkle Farben und gezielte Akzente eingefangen. Auf jeden Fall eine absolute Empfehlung für alle Lyrik-Fans, die auch mit Comics beschäftigen. Nach dem Lesen sollte man allerdings darauf achten, dass die Antwort auf die Frage „Wie oft man denn dieses Buch in der Zukunft lesen will?“ nicht lautet „Nimmermehr“.
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Aleta-Amirée von Holzen
Schweizerisches Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM
Flix: Das Zyx
Hier legt der deutsche Comic-Künstler Flix erstmals ein Werk vor, das an Kleinkinder (und ihre vorlesenden Eltern) gerichtet ist. Versiert kombiniert er Bilderbuch und Comic, bleibt seinem cartoonhaften Stil treu, präsentiert diesen aber so bunt und rasant wie noch selten – ausgerechnet in einem ABC-Buch, das in eine Gutenachtgeschichte mündet. Der Clou ist, dass das ABC von hinten aufgesagt wird. Auf jeder Seite beginnt der durchgehend gereimte Text mit dem nächsten Buchstaben des Alphabets. Am Anfang stehen entsprechend die letzten drei: Zyx. Sie bilden Namen eines putzigen Fantasiewesens, das beim Zähneputzen von einem wundersamen Licht in eine Zwischenwelt «geblitzt» wird – hier steht es vor lauter Türen, die aber alle verschlossen sind. Zum Glück sitzt in der Nähe «am Lagerfeuer […] ein riesiges Ungeheuer», das als Gegenleistung für seine Hilfe nur gemeinsames Teetrinken fordert. Nach 26 Tassen rückt es den Schlüssel für Tür Nummer 17 raus. Schon schwebt das Zyx in rosa Wolken und landet flugs auf einem Piratenschiff, das von einer Seemannsbraut befehligt wird – hier wird es brenzlig für das Zyx, aber sehr spassig für die Lesenden. Von Doppelseite zu Doppelseite fällt, schwebt, rudert und schwingt das Zyx von einer absurden Situation in die nächste, bis das Bett verlockender scheint als alle Abenteuer. Das Umschlagen der Seite nutzt Flix meisterlich für die Szenenwechsel, und die Freude an der Sprache ist allgegenwärtig. Bei dieser irrwitzig-spektakulären Abenteuerfahrt muss man einfach gute Laune bekommen.
Pei-Yu Chan, Jian-xin Zhou (aus dem Taiwanischen von Johannes Fiederling):Tsai Kun-Lin (4 Bde.)
«Tsai Kun-lin – Der Junge, der gerne las» lautet der schlichte Titel des ersten Bandes dieser
Biografie des taiwanischen Verlegers und Menschenrechtsaktivisten Tsai Kun-lin (1930–1923). Seine Lebensgeschichte, die immer wieder von erschütternden Schicksalsschlägen geprägt wird, bündelt dabei gleichsam die Nachkriegsgeschichte Taiwans und macht die schwer überschaubare Geschichte des Landes als Spielball der Weltmächte greifbar. Wort und Bild prägen dabei eine gewisse Behutsamkeit, die Tsai Kun-lin als Menschen und seine Geschichte umso beeindruckender wirken lassen. Jeder Band ist stilistisch angepasst: In zarten Rosatönen und Bleistiftgrau wird von der relativ ungetrübten Kindheit erzählt, während seine Familie die Kriegszeit übersteht. Dank seiner Liebe zu Büchern kommt er auf eine höhere Schule, doch wird ihm diese zum Verhängnis. Weil er einen Buchklub besucht hat, wird er während der Schreckensherrschaft der Kuomintang als Verräter verurteilt und auf eine Gefangeneninsel deportiert. Die unmenschlichen Zustände während seiner zehnjährigen Haft dort spiegelt ein harter, holzschnittartiger Stil. Der Neuanfang danach ist in klaren Filzstiftstrichen und mit Gelbtönen präsentiert, und für Comic-Geschichtsinteressierte ist vor allem auch dieser Band interessant: Tsai Kun-lin war eine prägende Figur für Comics in Taiwan. Er brachte als Übersetzer Mangas nach Taiwan und gründete eine erfolgreiche Kinderzeitschrift – bis auch hier eine Naturkatastrophe für die Pleite sorgte. Der letzte Band schliesslich ist seinem Engagement für das Erinnern und Aufarbeiten der Erlebnisse seiner Generation gewidmet. Beeindruckend ist dabei, wie Tsai Kun-lin trotz all der politischen Verwerfungen, die sein Leben prägen und immer wieder erschweren, nicht verbittert, sondern stets Wissensdurst, Schaffensdrang und Bescheidenheit zu erhalten vermag. Eine unbedingte Leseempfehlung!
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Myriam Macé
Literaturwissenschaftlerin, Uni Bremen
Lou Lubie: Racines (franz.)
In dieser Bande Dessinée (BD) erzählt Lou Lubie die Geschichte von Rose: Im französischen Überseegebiet La Réunion geboren, hadert das Mädchen mit ihrem genetischen Erbe. Denn mit ihrer hellen Hautfarbe ähnelt sie den metropol-französischen Mädchen in ihrer Klasse – wären da nicht ihre krausen Haare! Um auch beim späteren Studium in Paris als ‚echte‘ Französin durchzugehen, glättet Rose ihre Haare mit allen erdenklichen Mitteln. Die BD thematisiert Identitätskonflikte und Selbstverleugnung, Rassismus und strukturelle Diskriminierung sowie die französischen Kolonialgeschichte und ihre postkolonialen Effekte. Gleichzeitig zeigt Lou Lubie anhand von Roses Geschichte, wie tief das dominierende Schönheitsideal glatter Haare in sozialen Machtstrukturen verankert ist und welche Rolle Haare als Ausdruck von Identität und Widerstand spielen.
Wie Rose durch die Akzeptanz ihrer kreolischen (Haar-)Wurzeln (= Racines) ihre Identität neu definiert und stolz zu zeigen lernt, erzählt die selbst aus La Réunion stammende Autorin durch die Verbindung von (auto-)fiktionaler Erzählung und Sachcomic-Elementen. Lou Lubie verbindet damit persönliche und gesellschaftliche Themen zu einem Werk, das soziale, kulturelle und historische Zusammenhänge nachvollziehbar macht. Eine lesenswerte BD für alle, die die Geschichte des menschlichen Haars und die gesellschaftlichen Verflechtungen und politischen Dimensionen eines scheinbar alltäglichen Themas erkunden möchten.
Luz: Deux filles nues (franz.)
Die Geschichte eines Bildes aus seiner Perspektive erzählen? Luz zeigt uns mit seiner neusten quasi-biographischen Bande Dessinée (BD), dass dies möglich ist! In ihrem Zentrum steht das Gemälde Zwei weibliche Halbakte (=Deux filles nues) des deutschen Malers Otto Mueller. Von seinen ersten Pinselstrichen im Berliner Vorstadtwald 1919, über seine Zeit an den Wänden seines ersten Besitzers, bis hin zu seiner nationalsozialistischen Einstufung als „entartete Kunst“ während der NS-Diktatur blickt das Gemälde auf die Menschen und Ereignisse um es herum – und wird damit zum stillen Zeugen einer der dunkelsten Epochen der Moderne.
Bezeichnend ist die Verbindung zwischen Luz‘ neustem Werk und seiner eigenen Lebensgeschichte. Als langjähriger Zeichner bei Charlie Hebdo und Überlebender des Anschlags auf die Redaktion am 07. Januar 2015 hat er mit Deux filles nues eine historische Erzählung geschaffen, die sich mit Überleben, Zensur und der Instrumentalisierung von Kunst durch autoritäre Regime auseinandersetzt. Ob seine künstlerisch-pointierte Recherche mit Lorbeeren belohnt wird, bleibt abzuwarten: Die BD ist Teil der Sélection Officielle des Festivals von Angoulême 2025 und könnte eine der größten Auszeichnungen Europas für Comics gewinnen, die Ende Januar vergeben wird.
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Hanspeter Reiter
Comicoskop-Redakteur
Andrus Kivirähk, Maximilian Murmann (Übersetzer) und Veiko
Tammjärv (Illustrator): November, Erster Teil
Eine Graphic Novel im Sinne grafischer Literatur, übertragen aus reiner Text-Vorlage in eine Bild-Geschichte. November handelt von einem namenlosen Dorf in Estland, in einer Zeit, als die Esten den Deutsch-Balten als Leibeigene dienten, mit einer gehörigen Portion Bauernschläue und Mystizismus. Da gibt es die Geister der Toten, die zu Allerseelen an den Familientisch geladen werden und die aus Haushaltsgegenständen gefertigten „Kratts“, die den Esten bei ihren Machenschaften gegen die Obrigkeit helfen. Mit staunenswerten Figuren wie Meereskühen aus Normal-Kuh plus Seekuh – ergänzt ums Fliegen. Oder eine Werwölfin. Graphic Novel-klassisch ist dies in SW plus Grautönen, allerdings ergänzt um die Schmuckfarbe Rot, spärlich und deshalb umso auffallender eingesetzt, etwa bei eben der Werwölfin oder besonders nachvollziehbar, um Feuer zu verdeutlichen – doch auch für eher Übernatürliches. Das Layout ist variabel eingesetzt, seien es sechs Panels oder auch ganzseitige. Texte kommen ergänzend in Umrahmung, wenn auch schlecht lesbar (Negativschrift schwach auf schwarzem Fond), in Versalien wie auch (leider üblich) in den Sprechblasen. Interessant die in manchen der 16 Kapitel einleitenden Personen-Vorstellungen, z.B. S. 99 „Die junge Baronin“.
Bastien Vivès: Letztes Wochenende im Januar
Das Cover deutet es gleich bildlich an, der Rückseiten-Text verstärkt es: Hier geht es um einen Seitensprung beim Comicfestival in Angoulême. Mit dem Besucher_innenstrom aus aller Welt trifft der etablierte Zeichner Denis Choupin ein, als Teil dieser gigantischen Maschinerie. Routiniert arbeitet er die Signierstunden und Meetings ab, plaudert leutselig mit Fans. Alles ist wie immer… Bis in der Schlange vor seinem Signiertisch eine Frau steht, die für ihren Mann eine Widmung möchte… Es kömmt, wie es kommen „muss“. Dargestellt mit feiner Feder, frei von jeglichem Porno-Anklang und ziemlich „ohne Worte“. Ähnlich wie vorher die schwungvollen Tanz-Szenen, in denen die beiden einander näher kommen, Bewegungen toll ausgearbeitet, unter Verzicht auf sonst Comic-übliche Hilfsmittel à la Swoosh oder Speedlines: Hier wie dort zeigt der Zeichner meisterlich, dass und wie Comic rein bildlich wirken kann & wirkt! Apropos, die SW-Graphic Novel bietet vielerlei Grau-Töne und „Massen-“ wie auch Einzel-Porträts, fein gestaltet – siehe Doppelseite 46/47 im Vergleich mit/ohne Fond plus Schattenwürfe usw. Nun, wieviel Autobiografisches ist da drin, ist dieser Story rund um „brich doch mal aus der family aus“, die eben an jenem Wochenende die Verlobung des Sohnes feiert? Schön dieses Verbinden mit quasi Meta-Position und einer feinen Liebes-Geschichte!
Rewriting Earth: Der wichtigste Comic der Welt
Quasi ein Reader zum Thema – oder ist das dann ein „Viewer“, weil: Comic 🙂 ?! Nun also 120 Geschichten zur Rettung des Planeten: 300 Umweltschützer_innen, Künstler_innen, Autoren_innen, Schauspieler_innen, Filmemacher_innen und Musiker_innen haben sich für den wichtigsten Comic aller Zeiten zusammengeschlossen, inkl. zwei für Deutschland exklusive Zusatz-Storys von Timo Wuerz – und übrigens mehrfach vertreten Wars and Peas, ebenfalls bei Panini erschienen (ursprünglich in den USA veröffentlicht). Mit einer Förderung für die beteiligten Organisationen je verkauftem Exemplar. Apropos: Deren sieben werden vorgestellt, intensiv illustrativ präsentiert als „Projektprofil“, mit integrierten Text-Beiträgen, etwa „Born Free“ (Lasst Wildtiere in der Wildnis). Das sind die Kapitel: 1 Veränderung (u.a. Konsum-Verhalten), 2 Schützen (u.a. Plastik…) 3 Retten (u.a. Regenerierung) 4 Motivieren (Geschichten…). Neben klassischen Comics mit vielseitig gestalteten Panel-Folgen und variierenden Layouts, Ligne-claire z.B., gibt´s auch integrierte ganz- und doppelseitige Darstellungen: Ein Füllhorn anregender Impulse, nachdenklich machend – oder gar Vorlagen liefernd. Und natürlich inkl. klimaneutraler Herstellung als nachhaltigem Konzept – wenn auch mit den üblichen Text-Fragezeichen: Fast durchgängig kommen die Sprechblasen-Texte in Versalien daher = schlecht(er) lesbar. Ausnahmen gibt es, erfreulich immerhin: S. 168ff., 207ff. u.a. Und übrigens auch besondere Fundstücke, siehe OHNO als Pogo-Remake. Manga-Adaptionen dagegen suchen Betrachter_innen vergebens…
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Natalie Veith
Anglistin und Mediendidaktikerin, Universität Frankfurt
Emil Ferris: My Favourite Thing Is Monsters, Book 2
Monster werden häufig als Manifestationen von Ängsten gesehen, doch Emil Ferris dreht den Spieß um: Für ihre junge Protagonistin Karen Reyes sind Monster Teil ihrer Identität sowie eine Bewältigungsstrategie, um mit den Herausforderungen ihres Lebens umzugehen, etwa mit Trauer, Verlust, Gewalterfahrung und Diskriminierung. Monster werden hier zur positiven Antithese menschlicher Abgründe und zum Zeichen von Geborgenheit. Da sich Karens Liebe für Monster mit einer Leidenschaft fürs Zeichnen und Kunst paart, stellt Ferris Comic auch eine Art grafische Sammlung des Monströsen dar – von den Titelbildern billiger Groschenromane bis hin zu berühmten Gemälden.
Nachdem der erste Band so einige Fragen offen gelassen hatte, war ich sehr gespannt auf die Fortsetzung, die nahtlos an die geschichtsträchtige Handlung anknüpft: Wir befinden uns erneut im turbulenten Chicago der 1960er Jahre. Noch immer beschäftigt Karen der mysteriöse Tod ihrer Nachbarin, der KZ-Überlebenden Anka, und nun auch die Identität von Viktor und ihre eigenen Familiengeheimnisse. Wie schon der erste Band ist auch dieser so gestaltet, als blicke man direkt in Karens Tagebuch: ein Ringbuch mit handschriftlichen Texten, Zeichnungen und Kommentaren. Ferris gelingt es hier, ihrer Geschichte eine spontane und unmittelbare Atmosphäre zu verleihen und klassische Erzählstrategien und visuelle Konventionen von Comics durch andere Elemente zu ergänzen, ohne dabei jedoch Abstriche bei der ästhetischen Gestaltung zu machen – im Gegenteil!
Ram V, Filipe Andrade: Rare Flavours
Der menschenfressende Dämon Rubin träumt davon, in die Fußstapfen Anthony Bourdains zu treten und möchte mithilfe des arbeitslosen Filmabsolventen Mo eine Netflix-Food-Doku drehen. Aus dieser bizarren Ausgangssituation entwickelt sich eine wunderbare Parabel über die Rolle von Gier und Genuss in der kapitalistischen Massen- und Konsumgesellschaft, über die Wertschätzung von Geschmack und die Anerkennung von Geschichten und Schicksalen, die mit Essen verbunden sind. Für Mo wird die Geschichte zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und Einstellung zum Essen und Filmemachen, während anhand von Rubin die Frage nach Menschlichkeit und Monstrosität verhandelt wird.
Ram V hat mich schon oft mit seinem Talent beeindruckt, interessante Szenarien und ungewöhnliche Charaktere zu schreiben, die trotzdem sehr greifbar wirken und sich klar vom Comic-Mainstream abheben, und Rare Flavours ist hier keine Ausnahme! Auch habe ich mich sehr gefreut, dass es eine erneute Zusammenarbeit mit Zeichner Filipe Andrade ist, mit dem Ram V bereits The Many Deaths of Leila Starr veröffentlicht hat. Die Darstellung der massiven körperlichen Präsenz Rubins in Kombination mit den teils surrealen Farben und dem Zeichenstil ist wirklich sehr gelungen und unterstreicht die Geschichte ganz wunderbar.
Zoe Thorogood: It’s Lonely at the Centre of the Earth
Comics zum Thema mentale Gesundheit gibt es einige, aber leider enden sie manchmal (zu?) versöhnlich – in einem Moment der sozialen Integration oder der persönlichen Erfüllung und des Wachstums einer fiktiven Figur. Sowas ist zwar eine nette Geschichte, angenehm zu lesen, hat aber leider häufig wenig mit der Realität zu tun, denn Depression zieht sich oft wie Kaugummi und es fällt den Betroffenen schwer, die Situation zu akzeptieren oder einen Sinn darin zu finden. Thorogoods „auto-bio-graphic-novel“ sticht hier als eine vergleichsweise ehrliche und ungeschönte Auseinandersetzung mit Depressionen heraus. Sie zeigt den realen, zwischen Höhen und Tiefen schwankenden Alltag einer an Depressionen leidenden Comicschaffenden: In Momenten des Beisammenseins fällt es ihr schwer, eine echte Verbindung zu ihren Mitmenschen zu fühlen. In Momenten des Erfolgs nagt stets der Selbstzweifel an ihr (und das in einer unbeständigen Branche mit hohem Leistungsdruck).
Auch die grafische Umsetzung des Themas ist bemerkenswert, denn Thorogood experimentiert mit grafischen Konventionen, etwa wenn ihre verschiedenen Alter Egos, die unterschiedliche Aspekte ihrer Persönlichkeit verkörpern und in unterschiedlichen Zeichenstilen dargestellt sind, miteinander interagieren. Dieser uneinheitliche, bisweilen zerrüttete Stil trägt viel dazu bei, dieses schwer greifbare Thema zu veranschaulichen und hilft bei einer angemessenen Auseinandersetzung und Sensibilisierung. Der Comic ist schon seit einiger Zeit im englischen Original verfügbar, seit 2024 gibt es nun auch eine deutsche Übersetzung.
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Christine Vogt
Direktorin LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen
Eva Müller: Scheiblettenkind
Ein ungewöhnliches, aber wichtiges gesellschaftliches Thema verarbeitet Eva Müller in ihrem in sehr direkten Bleistiftzeichnungen ausgeführten Werk Scheiblettenkind: die Scham über die soziale Herkunft und den Zweifel an sich selbst, ob der Bildungsferne des eigenen Elternhauses. Die Autorin beginnt mit einem Intro, in dem sie erklärt, dass sie die Autofiktion als Erzählweise gewählt habe und wünscht „Viel Spaß beim Lesen“, während sie Herz und Hirn der Leserschaft entgegenstreckt. Mit vielfachen Zitaten erzählt sie ihre Lebensgeschichte. Aus einem Dorf und einfachen Verhältnissen stammend, stets – teils schwer – für ihr eigenes Geld arbeiten müssend, findet sie nach und nach ihren Weg zur Zeichnerin und Künstlerin. Doch bleibt der Selbstzweifel in Form der Schlange visualisiert, stets an ihrer Seite und schleicht sich manchmal nur am Rande und manchmal sie gänzlich verzehrend ins Bild. Eine große Erzählung und grandiose Identifikation für alle, die einen Bildungsaufstieg machen und sehen, dass sie mit ihren inneren Widerständen nicht allein sind. Karl Marx kommentiert jedes Kapitel am Schluss humorvoll.
Tanja Esch: Boris, Babette und lauter Skelette
Auf amüsante und ganz selbstverständliche Weise nähert sich Tanja Esch in diesem unterhaltsamen Buch dem Thema der Identitätssuche und des „Andersseins“. Boris erhält von seiner Nachbarin Lynette deren „Haustier“, das sie vor langer Zeit in einer Tierhandlung als Hamster gekauft hat. Doch ein Hamster ist Babette nicht und auch die anderen Versuche sie einer Tierart zuzuordnen – hier lernen die jungen Leser_innen ganz nebenbei etwas über Tiere, wie zum Beispiel das Wiesel – misslingen. Babette ist gelb, kann sprechen und liebt Grusel und Skelette. Da Boris mit seinem Haustieranliegen bei seinen Eltern auf Ablehnung trifft – seine Mutter arbeitet ständig, ist zugewandt aber geistig abwesend, sein Vater putzt ständig und ist übertrieben ordentlich – geht er zu seinem Opa, der skurril mit lauter ausgestopften Tieren zusammenlebt. Er hilft Boris „Knochen“ aus Ästen zu schnitzen und für Babette ein erstes Skelett zu bauen. Schließlich zieht Babette bei dem Opa ein und sie tauschen sich über das „Anderssein“ aus, das der Opa als dunkelhäutiger Zuwanderer in den 1970er Jahren ebenfalls persönlich erfahren hat.
Walter Moers: EDWARD GOREY. Großmeister des Kuriosen
Bestseller-Autor Walter Moers hat sich von seinem zamonischen Kontinent weg in ein neues Abenteuer gewagt: die Vorstellung des amerikanischen Zeichners und Autors Edward Gorey. In einem Prachtband mit zahlreichen Abbildungen der Werke Goreys sowie Fotografien zu seinem Schaffensort, dem Elephant House, gibt Moers Einblick in das Werk des Multitalents, das das eigene Schaffen Moers stark beeinflusst (hat). In einem Abecedarium, das mit diesem Begriff anfängt und mit „Z wie ZILLAH – who dank too much gin“ aufhört, werden spezielle Begriffe aus dem Gorey-Kosmos gedeutet. Moers übersetzt einige der bekanntesten Geschichten Goreys ins Deutsche, so Eine Harfe ohne Saiten, Der fragwürdige Gast, Die Kleinen von Gashlycrumb oder Der Westflügel. Herrlich auch die Zeichnungen mit Zweizeilern zu Die Stimmgabel und Der Wackelhump. Ebenfalls wird der Cover-Kunst Goreys, seinen handgenähten kuriosen Figbash-Puppen und dem Dracula-Theater jeweils eigene Kapitel gewidmet Ein wundervolles Buch um sich mit den grafischen wie textlichen Umsetzungen der fantastischen Art des Edward Gorey bekannt zu machen oder sein Wissen zu vertiefen. Eine Reise in fremde und anrührende Welten.
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Lukas R.A. Wilde
Medienwissenschaftler, NTNU Trondheim
Adam Ellis: Bad Dreams in the Night
Unbemerkt von Feuilleton Comic-Kritik wurde Adam Ellis in den letzten Jahren zu einem echten Webcomic-Superstar mit Millionen von Follower_innen auf allen wichtigen Social Media-Kanälen. Diese Print-Ausgabe, eine Horror-Anthologie namens Bad Dreams in the Night, gibt einen faszinierenden Einblick, wie meisterlich Ellis die vielleicht schwierigste Erzählform überhaupt bespielt, nämlich extrem kompakte Kurzgeschichten. Auch wenn die Artworks eher funktional als überwältigend anmuten transportieren sie perfekt die große Bandbreite erzählerischer Stile, die zwar alle irgendwie im Genre Horror verortet sind, dabei aber enorm experimentierfreudig daherkommen und ihre jeweilige Schreckenspointe zu einem immer wieder überraschenden, schnörkellosen Kern verdichten. Die beigefügten Endnoten, in denen der Künstler Einblicke bietet, wie und warum das jeweilige Szenario entstanden ist, wirken authentisch und sympathisch – eine rundherum beeindruckende Publikation!
Richard Blake: Hexagon Bridge
Hier ist es ein wenig umgekehrt wie bei Ellis: die Zeichnungen, Layouts und das grafische Welt-Design sind absolut überragend und einzigartig, während sich die Handlung weitgehend verschließt und auch an einer einigermaßen beliebigen Stelle endet bzw. abbricht. Vielleicht weil die anzitierten Themen KI und Multiversen dennoch genau den erzählerischen Zeitgeist treffen, wurde Richard Blakes Hexagon Bridge sicher eines der meistgenannten „Best of 2024“-Comics des vergangenen Jahres. Immer wieder wurde dieses „High Concept“-SciFi-Opus mit den Filmen Christopher Nolans, den Romanen Isaac Asimovs oder den Comic-Frühwerken Jonathan Hickmans verglichen. Für mich ist es eher eine Art Musikvideo in Moebius-Ästhetik, das seinen Sog alleine über Rhythmus und visuelle Symphonien entfaltet. Dass es sich dabei tatsächlich um das Comic-Debut von Blake handeln soll, ist kaum zu glauben – hoffentlich ein Name, den man noch viel häufiger hören und lesen wird!
Ken Forkish und Sarah Becan: Let’s Make Bread: A Comic Book Cookbook
Das ist jetzt, zugegeben, schon eher die Kategorie „Highly Special Interest“, aber was einem als Deutscher im Ausland natürlich vor allem immer fehlt, ist: gutes Brot! Zufällig habe ich in diesem Jahr damit begonnen, fast täglich zu backen als ich zeitgleich in einem Comicladen über dieses herrliche Sachcomic gestolpert bin, das eine ganz wunderbare Handreichung zur Pflege von Sauerteigkulturen, zu verschiedensten Backtechniken und -traditionen sowie zahlreiche Brot-„Fun Facts“ mit äußerst empfehlenswerten Rezepten kombiniert. Forkish hat bereits zahlreiche „richtige“ Bücher übers Brotbacken verfasst, aber die schönen Bebilderungen von Becan und die sympathischen Avatare machen (mir) viel mehr Lust aufs Ausprobieren als irgendwelche Hochglanz-Stock Photos. Highly special interest, wie gesagt…
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