Dass es nicht mehr lange bis zum zweijährliche Comic-Main Event in Deutschland, dem Comic-Salon in Erlangen, dauert, erkennt man immer eindeutig daran, dass die Nominierungen für den Max und Moritz-Preis bekannt gegeben werden. Auch wenn dieses Jahr mit nur zwei Wochen Abstand die Nominierungen so knapp wie noch herausgegeben worden sein dürften.
Nicht wie gewohnt in verschiedenen Sparten, sondern in einer Art Short List wurden zwanzig Titel benannt, welche dann aber in den Kategorien „Bester Comic-Strip“, „Bester deutschsprachiger Comic“, „Bester internationaler Comic“ und „Bester Comic für Kinder“ ausgezeichnet werden. Nicht nominiert wurden Comics in den Sparten „Bester deutschsprachiger Comickünstler“ und „Beste studentische Comic-Publikation“, diese werden direkt bei der Preisverleihung am ersten Juniwochenende ausgezeichnet. Der Sonderpreis geht an den französischen Szeneristen Pierre Christen (bes. „Valerian & Veronique“ und die „Legenden der Gegenwart“), den Spezialpreis der Jury erhalten die Verlage Carlsen Comics und Salleck Publications für ihre Will Eisner-Editionen (Carlsen „Ein Vertrag mit Gott“; Salleck „Die Spirit Archive“).
Zudem soll erstmals nach dem Vorbild des Publikum-Preises in Angoulême auch in Erlangen ein solcher Preis auf der Grundlage der ‚Liste‘ vergeben werden. Ulkigerweise gibt es wegen dieses Punktes derzeit heftigen Streit in der ‚Szene‘, nachdem im Forum des Comic-Salons vorgeschlagen wurde, den Publikumspreis zu boykottieren. Ein Preis, der auf einer Vorauswahl beruhe, könne kein echter Publikumspreis sein, so der Tenor. Dem könnte man vielleicht noch folgen, aber hier meint „Publikumspreis“ den vom Publikum aus den nominierten Titeln ausgewählten Favoriten. Das muss man nicht mögen und kann ja einfach nicht abstimmen, aber warum man dann im folgenden dem Comic-Salon demokratische Grundsätze absprechen will oder die Kompetenz der Jury als solche bestreiten muss, ist wirklich hanebüchen – und leider ein typisches Zeichen für die sich gerne selbstzerfleischende Szene. Das Für und Wider eines solchen Preises soll hier nicht breitgetreten werden, aber, und so wird es auch derzeit diskutiert, die Erstellung einer Long List nach Art des „Deutschen Buchpreises“ mit 50 Titeln scheint doch eine vielversprechende Lösung. Diese sollte dann aber tunlichst schon lange vor dem Salon, vielleicht schon zu Jahresbeginn, veröffentlicht werden. Aus ihr könnte man den Publikumspreis wählen lassen, zusammenstellen sollte sie eine unabhängige Expertenjury.
Soweit zu den Förmlichkeiten und Änderungen – doch was steht drin, in dieser Liste? Und was ist davon zu halten, was die Jury dort nominiert hat? Nun, einige Titel waren wohl einfach absehbar, etwa „Ein neues Land“ von Shaun Tan oder „Pinocchio“ von Winshluss bei den internationalen Titeln sowie „Such dir was aus, aber beeil dich“ von Nadia Budde oder „Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen“ von Jean Regnaud und Émile Bravo bei den Titeln für Kinder. Ragen diese vier doch aus der gesamten Liste heraus, sind doch auch wenig überraschend die Nominierungen von „Hector Umbra“, „Ikkyu“ und „Drei Schatten“. Zu ergänzen sind hier sicherlich zwei deutschsprachige Arbeiten, die in den letzten Monaten für viel Aufmerksamkeit in der Presse gesorgt haben und damit zu Recht nicht bei den Nominierten fehlen durften. Die Rede ist von Uli Lusts atemberaubender autobiographischer Nabelschau „Heute ist der letzte Tag vom Rest meines Lebens“ und Barbara Yelins und Peer Meters Historienstück „Gift“. Für viel Rummel sorgen wird noch Jens Harders Evolutionscomic „Alpha directions“; warum es allerdings bereits jetzt nominiert ist, schmeckt etwas komisch. Erschienen ist der Titel schließlich erst diese Woche. Ähnlich wie vor zwei Jahren, als „Mouse Guard“ zeitgleich mit den Nominierungen erschien, muss man sich auch dieses Jahr wundern, warum man nicht einfach zwei Jahre warten kann. Genug andere ‚ausreichend‘ gute Titel gibt es ja.
Überzeugen diese Comics alle durchweg und haben so sicherlich jedes Recht auf der Nominierungsliste des wichtigsten deutschen Comicpreises zu stehen, so fallen doch vor allem bei den Comic-Strips und mehr noch bei den Mangas die schwachen Kandidaten auf. Auch hier wenig überraschend sind zwei Strips aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die mit ihrer Comic-Seite aus der Masse der Zeitungscomics herausragt: Kat Menschiks außergewöhnliches und die Grenzen des Comics weit ausreizendes „Variables Kalendarium“ und die beiden Bibel-Strips von Ralf König „Prototyp“ und „Archetyp“. Warum man dort aber „Li?“ von Mark Tatulli findet, erschließt sich einem wohl nur, wenn man bedenkt, dass der Vertreiber von „Li?“, Bulls Press, auch der Stifter des Preises ist. Es muss ja nicht jeder mögen, aber mir hätte hier „Im Museum“ von Sascha Hommer und Jan-Frederik Bandel besser gefallen und übrigens erscheinen auch beim „Tagesspiegel“ Comic-Strips. Überhaupt könnte man sich über die Zusammensetzung der Jury sehr wohl auslassen. Beim Deutschen Jugendliteraturpreis schied vor einigen Jahren ein Jurymitglied aus, nachdem es ein Volontariat bei einem Verlag begann. Man mag sich über sonstige Entscheidungen des Jugendliteraturpreises ärgern, in Sachen Transparenz und Unabhängigkeit ist er jedoch vorbildlich. Auch ist dort ein Dauereinsatz nicht möglich, da alle zwei bzw. vier Jahre durchgetauscht wird. Das könnte vielleicht auch für Erlangen ein Vorbild sein.
Aber Jury-Arbeit ist sicherlich kein Zuckerschlecken und so werden die Mitglieder derselbigen wissen, warum sie mit „Kirihito“ von Osamu Tezuka eins seiner schwächeren Werke nominiert haben – sollten irgendwann einmal wahre Klassiker von ihm, wie etwas „Buddha“, auf Deutsch erscheinen, wird man ihn hoffentlich erneut nominieren – oder Belangloses wie „Orange“ von Benjamin. Überrascht muss man sein, das sich keinerlei Comics aus dem nordamerikanischen Raum finden. Mit Art Spiegelmanns „Breakdowns“ wurde einer der wichtigsten Comics der letzten beiden Jahre unter den Tisch fallen gelassen und zumindest nominierenswert wären auch „Wimbeldon Green“ von Seth, „Shortcomings“ von Adrian Tomine und „Die drei Paradoxien“ von Paul Hornschemeier gewesen.
Etwas seltsam mutet auch der selektive Blick auf die Verlagslandschaft. Was ist denn eigentlich mit Titeln der Edition Moderne? Rutu Modans „Blutspuren“ ist ebenso wie „Sonnenfinsternis“ vom Splitter Verlag ein ausgezeichneter Comic und durchweg positiv aufgefallen. Wenn man schon Mangas nominiert, dann sollte man eigentlich nicht das Manga Label shodoku von Schreiber & Leser übersehen, deren Veröffentlichungen zu den besseren in diesem Bereich gehören (übrigens ist dort mit „Barbara“ gerade der erste von zwei Teilen des beachtlichen Spätwerks von Tezuka erschienen). Und wenn man schon Editionen auszeichnet, warum dann eigentlich solche, die nur Lizenzausgaben sind? Man muss Eckart Schott zwar hoch anrechnen, dass er die „Spirit Archive“-Ausgabe tatsächlich durchhält, aber ebenso wie „Ein Vertrag mit Gott“ bei Carlsen handelt es sich dabei fast vollständig um Eins-zu-eins-Übernahmen. Da hätte man auch die „Mumins“-Ausgabe aufrufen können. Tatsächliche, vom Verlag selber erstellte Gesamtausgaben, wie etwa „Thomas der Trommler“ vom verdienstvollen Cross Cult Verlag, sind doch eher ungewöhnlich und wesentlich beachtlicher. Auch wenn man von „Thomas“ halten kann, was man will.
Alles in allem also eine durchwachsene Liste, die teilweise sehr nach Kompromiss riecht, aber doch viele auffällige und gut wahrgenommene Comics enthält. Die Ergebnisse werden abends am 4. Juni vorliegen, dann nämlich ist die Preisverleihung gelaufen und man kann sich erneut freuen oder aufregen. Denn eins ist sicher, rechtmachen wird man es so oder so nie allen.
(Felix Giesa mit Dank an KS.)