Auf dem Comic-Salon 2010 erhielt die ComFor zum ersten Mal die Möglichkeit, an drei Tagen ihr eigenes Programm zu gestalten. Unter dem Obertitel „Comic und Politik“ berichteten sechs Mitglieder der Gesellschaft aus ihrer Forschungsarbeit und stießen damit auf großes Interesse: An allen drei Terminen war der Trauungssaal im Rathaus Erlangen bis auf Boden- und Stehplätze besetzt. In die von Clemens Heydenreich moderierten Diskussionen, die jeden Vortragsblock abrundeten, flossen Nachfragen und Anregungen nicht nur von anwesenden ComFor-Mitgliedern, sondern in erfreulicher Anzahl auch vom weiteren Publikum ein.
Den Auftakt bestritten Ralf Palandt und Guido Weißhahn unter dem Obertitel „Comics totalitär“. Der erste Vortrag widmete sich den Comics einer Subkultur aus rechtsradikalen Parteien und Gruppierungen. Anhand zahlreicher Beispiele aus Fanzines, dem Internet bis hin zur Schulhof-CD der NPD konnte Palandt zeigen, dass derartige Comics, wenngleich sie kaum wahrgenommen werden, vielfältig sind. Dabei sind wiederkehrende Themen festzustellen, da sich viele der Comics vor allem mit Feindbildern der rechten Szene befassen, die in irgendeiner Form diffamiert werden. Ein häufiges Phänomen in braunen Fanzines ist die Kopie und Vereinnahmung bekannter und beliebter Comicfiguren von Superman bis zu den Panzerknackern. Ungeachtet ihrer eigentlichen Ausrichtung wird ihnen das Gedankengut und Verhalten der rechten Szene zugeschrieben. Eine zeitliche Entwicklung der Geschichten von den ersten vorliegenden Beispielen aus den 1980er Jahren bis heute konnte Palandt noch nicht beschreiben. Dafür stehe die Forschung in diesem Bereich noch zu sehr am Anfang.
Im anschließenden Vortrag von Guido Weißhahn ging es nicht um politische Comics einer Subkultur, sondern um solche Geschichten, deren politische Ausrichtung von oben vorgeschrieben wurde. In einem historischen Überblick wurden die Hintergründe der Comicproduktion in der SBZ und späteren DDR beleuchtet. Parallel zur Schmutz- und Schunddebatte in der Bundesrepublik sollten auch in der DDR Comics gegen „gute Literatur“ ausgetauscht werden, auch hier musste man jedoch einsehen, dass der Erfolg der bunten Hefte nicht einzudämmen war. Daher entschied man sich dafür, eigene Magazine produzieren zu lassen, die nicht nur unterhalten, sondern auch bilden und insbesondere sozialistische Werte vermitteln sollten. Der Schriftsteller Ludwig Renn prägte in Abgrenzung zum bundesdeutschen Sprachgebrauch die Bezeichnung Bildgeschichte. Trotz aller Reglementierung von oben gab es innerhalb der Magazine auch Freiräume, und so machten die dezidiert politischen Geschichten nie die Mehrheit der Comicproduktion der DDR aus. Weißhahn wies darauf hin, dass in der Erinnerung der damaligen Leserinnen und Leser vor allem unpolitische Serien wie die „Digedags“ oder „Fix und Fax“ verhaftet sind.
Das ComFor-Panel am Samstag widmete sich unter dem Titel „Erinnern und Erziehen“ Comics über den Holocaust. Zunächst eröffnete Martin Frenzel einen reich bebilderten Überblick „Über Maus hinaus“, so sein Vortragstitel. Er beklagte den Umstand, dass Art Spiegelmans Werk als Maßstab aller Holocaust-Comics herangezogen werde und andere Titel in den Feuilletons vor diesem Hintergrund regelmäßig verrissen würden. Dabei ging es ihm vor allem darum, auch andere Beispiele als gelungen zu präsentieren, wobei er besonders zwei hervorhob: Berni Krigsteins „Master Race“ aus dem Jahr 1955 und den jungen Comic „26. november“ des norwegischen Zeichners Mikael Holmberg, der bisher nicht in deutscher Übersetzung vorliegt. In der Auseinandersetzung mit den sehr unterschiedlichen Comics über den Holocaust plädierte Frenzel für einen differenzierteren Blick. So sei es für die Beurteilung der Geschichten entscheidend, mit welchem Anspruch und insbesondere für wen sie gezeichnet wurden – etwa für ein erwachsenes oder ein jugendliches Publikum.
René Mounajed schlug im Anschluss den Bogen zum Schulunterricht und berichtete aus seiner praktischen Erfahrung mit der Arbeit einzelner zuvor präsentierter Comics im Geschichtsunterricht. Er erläuterte das Potenzial verschiedener Comics für den Unterricht und machte deutlich, dass ein Großteil der Holocaust-Comics, wenn nicht gar alle, sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden könnten. Entscheidend sei die Formulierung der geeigneten Lernziele. Dabei wies Mounajed darauf hin, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler im Umgang mit dem Medium geübt seien. So verbinde sich mit dem didaktischen Einsatz von Comics die Notwendigkeit – aber auch die Chance –, Medien- und Rezeptionskompetenzen zu schulen. Das besondere Potenzial, dass Mounajed im Medium Comic für den Geschichtsunterricht sieht, ist das offensichtlich künstlerische und damit künstliche der Darstellung. Die SchülerInnen verfielen bei Zeichnungen nicht so leicht der Illusion, es handle sich hier um die nacherzählte Wirklichkeit. Anhand des Comics ließe sich daher leicht verdeutlichen, dass Geschichte nie mehr sein kann als eine individuelle Sicht historischer Umstände, als die Narration von Geschichte.
(Nina Mahrt)
Im dritten Panel, „Mediale Meinungskämpfe“, zeichnete zunächst Heiner Jahncke ein Jahrhundert deutscher (Mentalitäts-)Geschichte anhand propagandistischer Comics nach. Stand eine Bildgeschichte von 1915, die für Kriegsanleihen warb und von Walter Trier (!) stammt, noch für den seinerzeitigen „Burgfrieden“ der Parteien, so umrahmten ein antisemitischer Strip von 1919 und ein linker Bilder-Aufruf wider die „Harzburger Front“ von 1929 das Spektrum der Meinungskämpfe in der ersten deutschen Demokratie. Zur NS-Zeit konnte unter anderem die SS-Postille „Das Schwarze Korps“ via Bildergeschichte ihrem Hass auf Juden und Meinungsabweichler freien Lauf lassen, während der – in einem ihrer Strips sogar deutlich alludierte – „Vater-und-Sohn“-Schöpfer Erich Ohser sich mit Werbecomics etwa für KDF-Reisen durchschlug. Interessant, dass sich dann ab den 50er Jahren nahezu alle Parteien der Bundesrepublik im Wahlkampf des Comics bedienten – zu einer Zeit also, da Jugendschützer dieses Medium noch als „Schmutz und Schund“ befehdeten.
Direkt von der Front eines noch laufenden Meinungskampfes berichtete abschließend Harald Havas. Dieser Kampf spielt sich „zwischen Rechts und Links“ in Österreich ab und bedient sich des Comics vor allem in Online-Form: Der Wiener FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache stilisiert sich in Web-Strips als „HC-Man“, der nach stets gleichem Pointenschema die proeuropäische und integrationsoffene Linie anderer Parteien bekämpft. In der österreichischen Zeichner-Szene, die das Medium Comic nicht in rechtsradikaler Hand wissen möchte, hat sich dagegen Widerstand formiert. Havas berichtete, wie die Plattform www.comicsgegenrechts.at kontinuierlich wächst, ihre satirischen Attacken auf Strache auch in andere Web-Sphären wie Facebook ausweitet – und dabei, über ihren Gründungszweck hinaus, längst auch zum Schaufenster einer Szene geworden ist, die rechte Umtriebe gar nicht immer mit strikt „politischen“ Inhalten pariert, sondern auch durch ihre schlichte kreative Vielfalt.
Der große und anhaltende Zuspruch, den die ComFor beim Erlanger Publikum fand (und zwar selbst noch am vierten Salontag und bei drückenden Außentemperaturen), ist auch deshalb bemerkenswert, weil ihr Motto „Comic und Politik“ einen autarken Schwerpunkt bildete und sich nicht direkt auf jene großen Themen bezog, die das Ausstellungsprogramm setzte. Das war ein wenig gewagt, weil unüblich. Gleichwohl fiel beim 14. Comic-Salon ein allgemeiner Trend auf: Auch die übrigen Podien und Vortragsveranstaltungen hatten mehr Zuhörer, als von den Erfahrungen früherer Salons her zu erwarten gewesen war. Erst die Zukunft wird erweisen, ob dies an einer sich dauerhaft wandelnden Besucherstruktur lag oder „nur“ an der akuten gesellschaftlichen Verunsicherung des Krisenjahres 2010, die für einen erhöhten Bedarf an kultureller Sinnstiftung gesorgt haben mag. Die ComFor jedenfalls darf hoffen, in Erlangen auch künftig ein Schaufenster ihrer Arbeit zeigen zu dürfen: Auf dem Bilanz-Podium äußerte Salon-Manager Bodo Birk den Wunsch, „die ComFor-Schiene im Jahr 2012 weiter auszubauen“. Die ComFor ist hierzu gerne bereit – und dankt dem Kulturprojektbüro der Stadt Erlangen nochmals sehr herzlich: Dem Festivalleiter Bodo Birk für sein Entgegenkommen, aber auch allen organisatorischen und technischen Mitarbeitern für ihre durchweg freundliche, beherzte und gelassene Hilfsbereitschaft, die für einen perfekten Ablauf gesorgt hat.
(Clemens Heydenreich)
Kleine Linksammlung:
Auf splashcomics.de finden sich Videomitschnitte des ersten und des zweiten Panels sowie Berichte zu den Vorträgen von Martin Frenzel und René Mounajed. Auf comic.de wird vom ersten, zweiten und dritten Panel berichtet.