Die vorige Umschau ist schon eine ganze Weile her. Höchste Zeit, wieder einen Blick auf die Veranstaltungen zur Comicforschung zu werfen, von denen wir wissen — und die bewährte Frage zu stellen: Was wissen wir noch nicht?
Da sind zunächst eine Reihe vielversprechender Ausstellungen. Nur noch zwei Wochen lang sind die European Comic Strip Treasures im Belgischen Comic-Zentrum in Brüssel zu sehen. Das Zentrum nimmt die eben zu Ende gegangene EU-Präsidentschaft Belgiens zum Anlaß, eine Auswahl einzelner Strips, Folgen und Comics aus einhundert Jahren europäischer Comicproduktion zu präsentieren. Ebenfalls bereits angelaufen ist die Ausstellung Erich Ohser – Der Zeichner seiner Zeit, mit der das Erich Ohser-Haus nach einem Umzug die neuen Räumlichkeiten in Plauen einweiht. Noch bis 27. März werden auf drei Stockwerken Zeichnungen und Drucke — einige davon erstmals — sowie ein Film gezeigt. Unter dem Titel Freiheit und Geistesfreiheit zeigt das Berta Hummel-Museum in Massig schon seit Mai letzten Jahres und noch bis in den April hinein Karikaturen und Illustrationen Olaf Gulbranssons nebst Portraits von Hummel. Und noch bis 1. Mai ist die DUCKOMENTA in Hildesheim zu besichtigen.
Aber glücklicherweise kommen auch neue Ausstellungen hinzu, während die anderen schließen. Das Museum of Comic and Cartoon Art in New York eröffnet am 22. Februar die Ausstellung Will Eisner’s New York: from the Spirit to the Graphic Novel. Gezeigt werden soll Eisners gesamtes Schaffen vom Golden Age bis zu seiner Definition der ‚Graphic Novel‘ aus der besonderen Perspektive New Yorks: Der Darstellung der Stadt in seinen Comics und Gemälden, aber auch bei von ihm inspirierten Künstlern wie Frank Miller, Art Spiegelman und Harvey Kurtzman.
Wie immer bieten die englischsprachigen Veranstaltungen sehr zahlreiche Möglichkeiten für mobile Comicforscher. Unter dem Motto Comic Arts in the Classroom lädt das Rhode Island College Lehrer, Künstler und Forscher zu einem eintägigen Symposium am 26. März ein. Ein Panel auf der regelmäßigen Tagung Northeast Modern Language Association befaßt sich in New Jersey mit Serial Narratives and Temporality; gleichzeitig, nämlich auch von 7.-10. April, findet die jährlich größer werdende International Conference on Narrative in St. Louis statt, die inzwischen regelmäßig auch Comics in eigenen Beiträgen sowie als Teil des Materials unter den erzählenden Formen berücksichtigt. Die vierte Iteration der New Narrative-Tagung, die sich nicht nur, aber traditionell vor allem mit Comics und Graphic Novels beschäftigt, steht diesmal von 4.-6. Mai unter dem Motto „Image and Spectacle“.
Über den Wonder-Con samt Comic-Con Anfang April erübrigt sich fast jedes weitere Wort. Er findet also wieder statt und wird wieder ein zentraler Anlaufpunkt für Fans und Comicforscher aus aller Welt sein, wie er es schon seit der Gründung des Formats 1970 ist. Das zweite große Format für Comicforschung in den USA ist die Tagung der Popular Culture Association, die am 20.-23. April folgt und deren eigene Comic Art & Comics Area abermals eine ganze Serie von Panels für Comicforscher ebenso wie für Comicfans aus anderen Disziplinen anbietet.
Und diesseits des Atlantik, aber weiterhin auf Englisch, werden Ende Mai an der Universität von Tampere in Finnland die Themen Teaching Narrative and Teaching Through Narrative diskutiert, die wiederum ausdrücklich Erzählungen in allen Formen und Medien meinen.
In Deutschland stehen vom 30. März bis 1. April in Chemnitz die Ursprünge der Bilder auf dem Programm, so der Titel einer zweitägigen Konferenz über anthropologische Bilddiskurse. Anthropologie ist dabei einmal nicht nur Gegenstand, sondern Modus der Beschreibung: So soll die Kompetenz zum Bild als Besonderheit der conditio humana in einem „interdisziplinären Brückenschlag zwischen philosophischer Anthropologie, Kulturanthropologie, Paläoanthropologie und Entwicklungspsychologie“ beleuchtet werden. Die Veranstaltung widmet sich daher vor allem frühen Formen des Bilds in einem unter anderem archäologischen Kontext; Comics im engeren Sinne kommen zwar nicht vor, Comicforschung steht aber selbstverständlich vor teilweise ähnlichen Fragen, sofern die anthropologische Perspektive ernstgenommen wird.
Ende Juni folgt das Comicfestival in München, das im zweijährigen Wechsel zum Comic-Salon in Erlangen wieder eine Mischung aus Ausstellungen, Vorträgen, Diskussionsrunden und Messeangeboten versammelt. Auch diesmal wird die inzwischen traditionelle Podiumsdiskussion mit Mitgliedern der ComFor auf dem Comicfestival stattfinden.
Mit sehr großem Aufwand ist zur Jahresmitte die internationale Tagung „Storyworlds across Media: Mediality – Multimodality – Transmediality“ an der Universität Mainz angekündigt: Mit Marie-Laure Ryan als prominentester Veranstalterin schließt die Tagung unmittelbar an aktuelle Narrationsforschung an, wenn sie sich dem selbstgesteckten Ziel widmet, eine Öffnung der Erzählforschung zu medienüberschreitenden und -übergreifenden Perspektiven voranzutreiben. Eine eigene Seite fehlt offenbar noch — aber es ist ja auch noch eine Weile hin.
Sicher ist uns noch vieles Spannendes entgangen. Über eine entsprechende Nachricht in den Kommentaren oder per Mail freuen wir uns wie immer.
(Stephan Packard)