Tagungsbericht: Comics – Intermedial und Interdisziplinär

9. – 10. Dezember 2011, Situation Kunst / Ruhr-Universität Bochum

In Kooperation mit dem Institut für Medienwissenschaften, dem Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaften sowie dem Englischen Seminar an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) riefen die drei DoktorandInnen Véronique Sina, Christian A. Bachmann und Lars Banhold am 9. und 10. Dezember 2011 in der „Situation Kunst“ im Park von Haus Weitmar in Bochum ein Symposium unter dem Titel „Comics – Intermedial und Interdisziplinär“ ins Leben. Die Ziele waren dabei hoch gesteckt: Die seit vielen Jahren bestehende, enge Verknüpfung zwischen Comic und anderen Medien wie u. a. dem Film, Fernsehen und seit einiger Zeit auch den Computerspielen zeigt sich anhand der wechselseitigen formal-ästhetischen und inhaltlichen Beeinflussung, welche die unterschiedlichen medialen Formen aufeinander ausüben; anhand der zahlreichen Beiträge auf der Tagung sollte nun dieser „intermediale Kontext“ genauer unter die Lupe genommen und das „Potential des Comics im Verbund mit anderen Medien“ sowie „der intermediale Charakter des Comics selbst“ beleuchtet werden. Unter den nach Angaben der Veranstalter knapp 80 bis 90 Gästen befanden sich neben den ReferentInnen und Comic-WissenschaftlerInnen auch zahlreiche StudentInnen der RUB, die im November bereits mittels eines Blockseminars in die Comic-Forschung eingeführt wurden.

Tag 1
Der erste Tag des Symposiums begann nach einer kurzen Einführung durch die Veranstalter mit Prof. Dr. Dietrich Grünewald als keynote speaker, der unter dem Titel „Fluss und Bäche. Zum Thema ‚Zeit‘ im Comic“ über die vielfältigen Methoden der Darstellung von (narrativer) Zeitlichkeit in den statischen Einzelbildern des Comics, aber auch in der bildenden Kunst (und hier insbesondere auch über den Aspekt der „Zeitlosigkeit“ sowie die personifizierte Zeit anhand der Darstellung mythischer Figuren wie Chronos) referierte und hiermit zugleich eine Grundlage für die folgenden Beiträge ebnete. Nebst der obligatorischen Erwähnung des Laokoon erläuterte er die Möglichkeiten zur Visualisierung zeitlicher Abläufe im Einzelpanel wie u. a. eingefrorene Posen von Figuren, die in der Phantasie des Rezipienten zum Leben erweckt würden, aber auch die Simulation von Bewegung durch klassische Darstellungskonventionen wie Speedlines und Verdoppelung von Gliedmaßen sowie Sprechblasen und andere Texte, da die Sprache nur in der Zeit existiere. Der Rezipient werde hier beim Betrachten zum Co-Autor, er imaginiere das „Davor“ und „Danach“ des Einzelbildes in seiner Phantasie – Grünewald nennt dies die „ideelle Bildfolge“. Zeitliche Abläufe würden im Comic jedoch gleichermaßen durch das tatsächliche Aufeinanderfolgen mehrerer Einzelpanels suggeriert; zwischen zwei Bildern müsse der Rezipient ebenfalls erarbeiten, welche Aspekte neu auftreten, was sich verändert hat und was passiert ist bzw. geschehen sein könnte. Dies geschehe jedoch in der Regel ganz unbewusst beim individuellen Rezeptionsprozess, der zugleich auf der Lebenserfahrung des entsprechenden Lesers beruhe. Je nachdem, ob eine enge oder eine weite Bildfolge – die im Regelfall im Wechselspiel, abhängig von der jeweiligen erzählten Geschichte, den Verlauf durch z. B. Zeitraffer und Zeitlupen rhythmisiert – vorliegt, sei die Phantasie des Leser stärker oder weniger intensiv gefordert. Nebst der unmittelbaren Visualisierung zeitlicher Abläufe wurde jedoch auch auf die Darstellung von Zeit im Sinne von Epochen durch visuelle Indices hingewiesen, beispielsweise bestimmte Frisuren, Kleidung oder Gegenstände, die eine zeitliche Verortung ermöglichten.

Unmittelbar an das Thema „Zeit im Comic“ anschließend stellte Rolf Lohse in seinem Beitrag „Kinetisches Erzählen: 3″ (Delcourt, 2011) zwischen Comic und Film“ das erst wenige Wochen zuvor publizierte, in seiner graphischen Darstellungsform überaus experimentell anmutende Album 3″ des französischen Zeichners Marc-Antoine Mathieu vor. Lohse konnte anschaulich erläutern, dass sich einhergehend mit den neuen kinetischen und medialen (Schnitt)Techniken auch Form und Darstellungsmöglichkeiten des Comics verändert haben; auf jeder Seite des Bandes befinden sich neun rechteckige, invariable Panels, welche anhand eines Zoom-Verfahrens in Spiegeln (und spiegelnden Flächen) eine Reise über – so der Autor im Vorwort selbst – 900.000 km zurücklegen, die jedoch auf der zeitlichen Ebene lediglich drei Sekunden umfassten und dennoch in der Lage seien, anhand der zahlreichen Blickwinkel einen vielschichtigen Krimi um Manipulationen in Fußballspielen zu erzählen. Diese Bildgeschichte bleibt dabei gänzlich stumm und beinhaltet – auch ob des kurzen zeitlichen Rahmens – keinen gesprochenen oder erläuternden extradiegetischen Text. Anders als im klassischen Comic konzentrierte sich der Band in seiner Erzählung nicht auf Figuren oder einen zeitlichen Ablauf, sondern fokussierte die unkonventionelle Technik der Darstellung, die Mathieu gewählt hat. Auf seiner Webpräsenz böte der Autor zudem eine „Film-Version“ des Comics an, die jedoch nicht drei Sekunden, sondern drei Minuten umfasst; durch die Möglichkeit, die Sequenz auch rückwärts abspielen zu können, ohne einen Sinnverlust zu erleiden, werde zugleich – so Lohse – das Medium Film an sich unterminiert.

Unter dem Titel „‚Stories blossomed info deformities‘: Erzählstrukturen in der Interaktion von Sprache und Bild“ thematisierte Martin Schüwer – basierend auf seiner Dissertation „Wie Comics erzählen“ – insbesondere die Problematik der Erzählinstanz im Comic und ging im Allgemeinen der häufig diskutierten Frage nach, ob der Comic als eine „erzählerische Deformation“ überhaupt als narrativ zu kategorisieren sei – ließen sich doch klassische Erzähltheorien in der Regel aufgrund ihrer Beschaffenheit nur bedingt bzw. in modifizierter Form auf den Comic anwenden. Schüwer schließt daraus, dass der Comic auf unterschiedliche Narreme hin untersucht werden muss, anhand welcher der „Grad der Narrativität“ eines Werkes bestimmt werden kann; die meisten, aber nicht alle Comics seien (in gleichem Maße) narrativ. Er exemplifizierte dies schließlich anhand der Anwendbarkeit der Begrifflichkeit der Fokalisierung auf einige prominente Beispielwerke und konstatierte, dass das halb-subjektive Bild, welches sowohl zu einem gewissen Grad die Außen- als auch die Innensicht der agierenden Figuren darstelle, den Comic dominiere. Der Wechsel zwischen externer und interner Fokalisierung sowie der homo- und heterodiegetischen Erzählerstimme ermögliche somit überaus komplexe, aber eben auch „deformierte“ und zuweilen widersprüchliche Erzählstrukturen. Auch in der anschließenden Diskussion herrschte Konsens, dass der Comic als autonomer Untersuchungsgegenstand einer Modifizierung der klassischen Erzähltheorie bedürfe, welche seine individuellen Formen der Inszenierung mit einbeziehe. Offen blieb jedoch die Frage, ob der Comic als „Erzählung ohne Erzähler“ zu verstehen sei.

Nach der Mittagspause setzte sich Hans-Joachim Backe in seinem Vortrag „Vom Yellow Kid zu Super Mario – Comics und Computerspiele“ mit der bisher wenig beachteten Wechselbeziehung zwischen diesen beiden Medien auseinander und fokussierte dabei insbesondere die Einflüsse des graphischen Erzählens auf Videospiel-Adaptionen des gleichen Medienverbundes. Hierfür erstellte er eine aus neun (zuweilen nur marginal voneinander zu differenzierenden) Relationen bestehende Typologie, darunter u. a. die „Analoge Adaption“ (direkte Adaptionen zur Unterstützung der medialen Vermarktung bzw. Kommerzialisierung), Integration (ein Medium wird in ein anderes integriert, es finden sich beispielsweise direkte Verweise auf den Comic im Game) und Imitation (ein Medium versucht, ein anderes nachzuahmen), welche er zugleich anhand zahlreicher gegenwärtiger, popkultureller Beispiele veranschaulichen und aufzeigen konnte, dass neben dem Film und dem Theater auch der Comic einen immensen wirkungsästhetischen Einfluss auf das vergleichsweise neue Medium der Videospiele ausgeübt hat. Es konnte außerdem anhand der Adaption des Batman-Comics Arkham Asylum in Videospielform demonstriert werden, dass sich die Umsetzungen zuweilen nur marginal am „Hypotext“ orientierten, dafür jedoch vielfach Anleihen an den Darstellungsformen des Comics im Allgemeinen nehme.

Markus Engelns schloss mit seinem Vortrag „‚Gotcha them all‘ – Zur Verkörperlichung von Comic-Narrativen im Superhelden-Merchandise“ unmittelbar an den Diskurs des Superhelden-Comics und des enormen Einflusses des Medienverbundes, der zuweilen gar die Grundgesetze des Hypotextes (so z. B. die Fähigkeit zu Fliegen bei Superman) zu verändern vermag, mit an. Hierfür zog er zunächst als Beispiel die auf einem Comic basierende, jedoch durch die gleichnamige Zeichentrickserie populär gewordene Masters of the Universe-Reihe heran, welche sich über die Jahre hinweg trotz (oder gerade ob) ihrer Redundanz in der narrativen Struktur zahlreiche Merchandising-Produkte wie insbesondere Action-Figuren verkauften. Mit Hilfe dieser Figuren könnten „narrative Prinzipien“ hergestellt werden, mittels der „Action“ (Bewegung), Handlung (nach den Prinzipien der TV-Serie) sowie der Geschichtsschreibung der Figuren, die immer wieder auf den Ursprung – den Comic – rekurrierten, ihn jedoch auch manipulierten und verändern könnten. Engelns spricht hier nun vom „Gesamtsystem Superhelden“, das sich durch seine zahlreichen Medienwechsel nicht mehr auf einen einzigen Ursprungstext beziehe: Der Comic selbst mache zudem nur einen Bruchteil des Medienverbundes aus und fokussiere als Rezipientenschaft die „Nerds“, während Verfilmungen und Videospiele den Mainstream bedienten – Voraussetzung sei lediglich (wenn überhaupt) die Kenntnis der „stehenden Figuren“. Zur Erforschung der Metafiktionalität im Superheldencomic auch aufgrund der nicht selten eingesetzten Relaunches durch die Verlage fordert Engelns zudem neue methodologische Konzepte, um die unterschiedlichen Äras und Ebenen der komplexen Welten expliziter erforschen zu können.

Einem bisher fast gänzlich unbeachteten Feld widmete sich Christian A. Bachmann mit dem bezeichnenderweise mit einem Fragezeichen versehenen Titel „Radio-Comics?“: Im Vordergrund standen jedoch nicht die Bildergeschichten, die sich mit dem Rundfunk auseinander setzten, sondern vielmehr Adaptionen von Comics für das Medium Radio selbst. Während sich zwischen den beiden Medien zunächst einige Parallelen auffinden ließen – beide hätten zunächst aufgrund ihrer breiten Streuung als Massenmedium eine Abwertung erfahren –, so bleibe doch die Frage offen, inwiefern eine primär visuelle und taktile Darstellungsform auf eine rein auditive Ebene verlagert werden könne. Als Beispiel diente zunächst der „radio comic strip“ The Adventures of Superman aus den 1930er Jahren, welcher ebenso wie der comic strip in den Zeitungen insbesondere der Kundenbindung dienen sollte und einige Geschichten fast schon in Form eines Hörspiels mit Soundeffekten nacherzählte. Ein weiteres Beispiel sind die sogenannten „Hör-Comics“ des Künstlerduos „half past selber schuld“, die im Internet Hörspiel-Adaptionen von Comics wie Barfuß durch Hiroshima oder die sündenvergebmaschine einem breiten Publikum zugänglich machen. Gänzlich umgekehrt gestaltete sich dies jedoch im Falle des Radio-Comics Die Drei Musketiere des niedersächsischen Radiosenders ffn aus den 1990er Jahren; hier existierten zunächst die kurzen, lustigen Geschichten der altbekannten Helden, deren Stereotypisierung insbesondere durch die Stimmenauswahl erfolgte – und die später eine Umsetzung als Comic-Buch nach sich zog. Letztlich blieb die Frage offen, ob der Terminus „Radio-Comic“ denn nun mehr als eine bloße Worthülse sei, da sich beispielsweise eine Differenzierung vom Begriff des „Hörspiels“ als schwierig bis unmöglich gestaltete.

Den ersten Tag des Symposiums schloss das Referenten-Duo Lars Banhold und David Reis, die sich unter dem Titel „Von postmodernen Katzen, abwesenden Katzen und dinosaurierreitenden Banditen: Erzählformen, Inhalte und Geschäftsmodelle von Webcomics“ mit dieser bisher ebenfalls weitestgehend unerforschten Kategorie auseinander setzten. Bereits in den 1980ern entstanden, begann die Popularität von im Internet publizierten Comics mit dem Ansteigen der technischen Möglichkeiten und der Verbreitung des Internets insbesondere in den 1990er Jahren; heute gibt es zahlreiche, beliebte Comic-Serien, die lediglich online verfügbar sind, aber dennoch eine breite Fanbasis aufweisen – dies wurde anhand Beispielen wie Cat and Girl, Dinosaur Comics und Garfield Minus Garfield dokumentiert. Die Referenten beantworteten die Frage nach einer spezifischen Ästhetik mit den digitalen Möglichkeiten der Produktion und des Konsums, die diese Kunstform reflektiert; so ließe sich beispielsweise durch das Scrollen über Websites der Umfang einer einzelnen Seite in einer Art und Weise ausdehnen, die in gedruckten Formen nicht möglich wäre; auch könnten animierte Bilder und Soundeffekte eingesetzt werden. Die Referenten wiesen zugleich auf die tendenziell marginal ausgeprägte Kommerzialisierung des Genres hin, welche ein höheres Potential an differenzierenden Topoi und Darstellungsformen ermöglichten, da sie nicht an Vorgaben durch Verlage o. ä. gebunden seien. Die Struktur des Trägermediums Internet nutzten sie somit auf vielfältige Weise – sie seien zuweilen nicht lediglich „Comics im Internet“, sondern tatsächlich „WEBComics“, die außerhalb des Trägermediums nicht existieren könnten und sich zudem häufig an Memes (Internet-Phänomenen) bedienten, die lediglich von digital natives, die einen Großteil ihrer Zeit in der digitalen Welt verbringen, korrekt gedeutet werden könnten.

Wenngleich der dôjinshi – non-kommerzielle Comic-Projekte japanischer Fans – aufgrund von Sprachbarrieren außen vor gelassen wurde, so sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich dieses Phänomen einhergehend mit der Popularität des Manga in Deutschland mittlerweile auch hierzulande großer Beliebtheit (primär im Internet, aber auch mittels gedruckter Versionen auf Conventions) erfreut.

Tag 2
Der zweite Tag des Symposiums begann mit einem Vortrag von Monika Schmitz-Emans über „Bilder der Photographie in Comic und Graphic Novels“. Anhand von Werken wie Maus, Alice in Sunderland aber auch The Arrival wurden die zahlreichen unterschiedlichen Methoden, reale Fotografien in den Comic bzw. Graphic Novel mit einzubauen (zur Betonung authentischer Lebenserfahrungen wie beispielsweise das Foto des Vaters in Maus) oder aber durch bestimmte Darstellungskonventionen die Form der Fotografie zu simulieren – beispielsweise durch Zeichnungen von Familienfotos, Passfotos, bebilderte Zeitungsartikel, etc. Gleiches gelte für Sachcomics, welche ihre Historizität durch Bildzitate bzw. verfremdete oder nachgezeichnete Fotos unterstrichen. Schmitz-Emans konnte anhand von Bildbeispielen darstellen, dass der Einsatz und die Funktion von Fotografien in der graphischer Literatur überaus vielfältig sind: Sie können eine artifizielle Authentizität erzeugen, einen vermeintlichen Medienwechsel suggerieren, als „Erinnerung“ für die Figuren innerhalb der Geschichte dienen oder aber Menschen und ihre Erlebnisse dokumentieren. Gleichermaßen könne der Einsatz von Fotos im Comic auch für den Leser selbst als Verweis auf seine Realität verstanden werden und die Frage hervorrufen, ab welchem Grad der Verfremdung ein Medium bzw. eine Darstellungs- oder Kunstform als distinkt wahrgenommen wird.

Dem beim Symposium leider etwas vernachlässigten japanischen Comic widmete sich Bernd Dolle-Weinkauff in seinem Beitrag „Manga im Medienverbund: Ryo Mizunos Record of Lodoss War“: Dieser Fantasy-Zyklus – verfasst von Mizuno, gezeichnet jedoch von unterschiedlichen Mangaka aus dem shônen und shôjo Bereich – sei als beispielhaft zu betrachten für zweierlei: Zum einen bediene er sich zahlreicher Mythen und Traditionen aus dem anglo-amerikanischen Fantasy-Kontext des sword & sorcery (so beispielsweise die explizite Ausarbeitung der Welt Lodoss anhand von Karten, eine Einführung in die Handlung mittels eines traditionellen Liedes, die Integration feudaler Gesellschaften und magischer Wesen wie Elfen, Hexen und Dämonen, aber auch die klassische queste) und weise zuweilen eine Orientierung an der westlichen (Comic-)Ästhetik auf – dieser thematische und formal-ästhetische Synkretismus sei typisch für den modernen Manga und bedinge ihn sogar maßgeblich seit seiner Entstehungszeit. Anders als in der klassischen high fantasy zeichneten sich die Figuren jedoch durch ein hohes Maß an (Selbst-)Reflexion hinsichtlich ihrer Taten und Beweggründe aus; auch sei die Unterteilung in „gut“ und „böse“ weit weniger offenkundig, die Grenzen verschwämmen zuweilen. Der zweite, für den Manga typische Aspekt sei die enge Verzahnung der unterschiedlichen Medien; es existierten in diesem Medienverbund nicht nur die fünf Manga-Reihen, sondern auch die von Ryo Mizuno verfassten Light Novels, auf welchen die Comic- (sowie Anime-)Adaptionen beruhen sowie zahlreiches Merchandise und natürlich verschiedene Videospiele. Seinen eigentlichen Ursprung hat die Welt von Lodoss allerdings in einem Pen & Paper-Rollenspiel, dessen Regeln ebenfalls der Feder Mizunos entstammen.

Simon Dickel verglich im Anschluss unter dem Titel „Intermedialität und Soziale Ungleichheiten in Howard Cruses Stuck Rubber Baby und Samuel R. Delanys und Mia Wolffs Bread and Wine“ diese zwei Werke mit einer ähnlichen Grundthematik – Ausgrenzung, männliche Homosexualität und Homophobie, soziale Ungleichheit – anhand von close readings und analysierte neben den Inhalten auch die formal-ästhetischen Methoden sowie die intertextuellen und intermedialen Aspekte. Stuck Rubber Baby beschreibt Dickel als klassische coming of age-Geschichte, in der sich der Protagonist mit seiner eigenen (homo-)sexuellen Identität, aber auch mit Angst vor rassistisch motivierter Gewalt auseinander setzen muss; anhand von intertextuellen Anspielungen im Werk verweise der Autor zudem direkt auf die Homosexuellen-Bewegungen und -Proteste in den USA, und somit auch auf den realen Bezug der behandelten Motive. Bread and Wine wiederum thematisiere race und class noch weitaus direkter anhand der (autobiographischen) Liebesgeschichte zwischen einem schwarzen Universitätsdozenten und einem weißen Obdachlosen. Besonders ungewöhnlich erscheine die positive Akzentuierung von Obdachlosen, die hier als überaus liebens- und (sexuell) begehrenswerte Menschen gezeichnet werden. Dass es sich hierbei um eine eher untypische Darstellung handelt, führt Dickens auf die Angst vor einer potentiellen Dekonstruktion der phallogozentrischen, patriarchalen Gesellschafts- und Machtstrukturen zurück. Auch hier spielen intermediale Bezüge eine wichtige Rolle und dies nebst surrealen Erfahrungen beim gemeinsamen Fernsehen insbesondere in Bezug auf den Titel, der sich auf Hölderlins „Brot und Wein“ beziehe, welches mehrfach in der Geschichte aufgegriffen wird.

Eine erneute Rekursion zu den Superhelden brachte Andreas Rauschers Vortrag „Die X-Men-Filme als Patchwork-Narrative – Filmische Vernetzungen im Zeichen des Transmedia Storytelling“. Der Terminus des „transmedia storytelling“, entlehnt von Henry Jenkins, spiele in den vergangenen Jahren nicht nur im Kontext der Superhelden-Narrative eine wichtige Rolle; auch anhand des Medienverbundes um den Film The Matrix, der neben zwei Fortsetzungen auch noch verschiedene animierte Kurzfilme nach sich zog, kann die Relevanz des Erzählens von Geschichten auf mehreren Ebenen bzw. in unterschiedlichen Medien und mit unterschiedlichen points of entry, Einstiegen in die fiktionale Welt, exemplifiziert werden. Die unterschiedlichen Möglichkeiten des point of entry zeigte Rauscher beispielhaft an den X-Men-Verfilmungen; sie könnten beispielsweise explizit figurenbezogen sein (in Bezug auf X-Men insbesondere bezogen auf die Figur des Wolverine) als auch mittels filmischer Perspektiven eingesetzt werden, die auf die differenzierenden background storys der zahlreichen Charaktere verwiesen und mögliche weitere (filmische) Adaptionen bzw. Spin Offs nach sich ziehen könnten. Die klassische „Heldenreise“ findet in der Trilogie nicht statt, sondern wird durch die zahlreichen „Umleitungen“ fast schon irrelevant, sodass hier von einer „Patchwork-Dramaturgie“ gesprochen werden könne – einer „Heldenreise zum Selberbasteln“, bestehend aus Einzelteilen wie den Filmen, aber auch den Comics und Videospielen, die weitere Informationen über die Geschichte und Charaktere vermittelten.

Den Abschluss des Symposiums bildete Véronique Sinas Vortrag „‚Why do people want to be Paris Hilton and nobody wants to be Spider-Man?‚ – Gender Parodie und performative Subversion in Matthew Vaughns Kick-Ass“, der erstmals auch die Gender Studies in die Forschungsansätze auf der Tagung mit einbezogen hat; auch hierbei handelt es sich um ein bisher weitestgehend unbeachtetes Feld, obgleich die Darstellungen von Männern und Frauen in Comics durchaus zahlreiches Material zur Analyse anbieten. Der Film Kick-Ass – basierend auf dem Comic von Mark Millar und parallel zur Entstehung der Comic-Reihe verfilmt und produziert – scheine zunächst nicht nur das Superhelden-Genre per se zu persiflieren, sondern zugleich anhand des schwächlichen „Helden“ Dave, der immer wieder vom weitaus jüngeren „Hit Girl“ (charakterisiert als „John Rambo meets Polly Pocket“) gerettet werden müsse, bestehende Geschlechterstereotypen des Hollywood-Kinos zu dekonstruieren. Während das starke, stets unflätige Worte in den Mund nehmende und auf brutale Weise ihre Gegner tötende Hit Girl zunächst im Sinne Judith Butlers durchaus als die personifizierte „Geschlechterverwirrung“ interpretiert werden könne, münde die Geschichte dennoch im Sinne heteronormativer und geschlechterrollenkonformer Vorstellungen in die Errettung des Mädchens durch den zum Mann gewordenen Dave alias „Kick-Ass“; die Subversion ist nur eine phasenhafte, die vom jungen Mann überwunden werde und somit ein normatives Ende nach sich zöge.

Fazit
In der Retrospektive auf die gesetzten Ziele der Veranstalter, aber auch für die Comicwissenschaft in Deutschland kann die Tagung in Bochum definitiv als ein Erfolg betrachtet werden.

Die sich stets weiter entwickelnden technischen Möglichkeiten der neuen Medien(formen) spiegeln sich im Comic, sie beeinflussen sich gegenseitig und die inter- bzw. transmedialen Vernetzungen zeigen sich in den vergangenen Jahren immer deutlicher. Auf der Tagung konnte veranschaulicht werden, dass auch die Comic-Forschung diesen steten Fortschritt mit einbezieht und versucht, ihren Analyseapparat zu modifizieren, um den neuen Tendenzen gerecht zu werden. Mehrere ReferentInnen haben sich auf der Tagung als „fanboys“ oder „fangirls“ geoutet – anstatt aufgrund der Begeisterung für die unterschiedlichen Werke jedoch eine verklärte Sicht auf die Narration, die Figurenkonzeptionalisierung oder den kommerzialisierten Medienverbund zu haben, scheint sich dieser explizite und auch kritische Blick auf die Werke in Form von intensiven close readings und der Erkenntnis intertextueller und intermedialer Aspekte aufgrund des umfangreichen Wissens als überaus positiv zu erweisen und erbrachte substantielle Ergebnisse, die der weiteren Forschung dienlich sein können.

Nicht selten wird in comicwissenschaftlichen Publikationen der vergangenen Jahre eindringlich gefordert, neue Erzählmodelle und Theorien zu entwickeln oder die bestehenden anzupassen bzw. zu modifizieren, um den differenzierenden Formen des Comics gerecht zu werden. Einige der Beiträge kamen dieser Forderung nach und beinhalteten neue Ideen und Ansätze – so beispielsweise die Kategorisierung von Hans-Joachim Backe zur Einordnung der unterschiedlichen Grade von Comic-Adaptionen und -Transformationen im Videospiel. Auch die close readings und expliziten formal-ästhetischen und inhaltlichen Analysen der Werke konnten die Diversität der stofflichen und visuellen Inhalte und Formen des graphischen Erzählens bestätigen und zeugen von dessen enormen Potential für die Forschung.

Möchte man nach einem Manko der Tagung suchen, so wäre (neben den fensterlosen, grauen und eher uninspirierenden Räumlichkeiten) die mit einer Ausnahme eher spärlich gesäte Thematisierung des japanischen, aber auch des deutschsprachigen Comics zugunsten einer starken Fokussierung auf den Superhelden-Kosmos zu nennen; doch handelt es sich hierbei um eine Beschwerde auf hohem Niveau, die hoffentlich auf kommenden Tagungen obsolet wird.

Offen und zu beweisen bleibt, ob und inwiefern die vorgestellten neuen Ideen und Analysestrategien auf die unterschiedlichen Formen des Comics angewendet werden und inwieweit sie sich tatsächlich als fruchtbar erweisen können. Dennoch ist ein wichtiger, weiterer Schritt in der Comic-Forschung getan; es bleibt zu hoffen, dass dem Comic-Symposium ähnlich inspirierende und gehaltvolle, sowohl methodologisch als auch inhaltlich ertragreiche Veranstaltungen folgen werden.

Kristin Eckstein

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