Das „Lexikon der Comics“ war als umfangreiche Loseblattsammlung in der deutschsprachigen Comicforschung eine singuläre Einrichtung. Nach zwanzig Jahren ist das Lexikon im vergangenen Jahr eingestellt worden. René Mounajed hat lange Jahre am Lexikon mitgearbeitet und hat auf Einladung der Redaktion einen sehr persönlichen Nachruf verfasst.
Das „Lexikon der Comics,“ hrsg. von Marcus Czerwionka im Corian-Verlag, ist Geschichte: Nach der 76. Ergänzungslieferung erklärten sowohl der Herausgeber als auch der Verlagschef Heinrich Wimmer das „Aus“ eines Standardwerkes der Comic-Forschung in Deutschland.
Dabei war es genau das, was es immer sein wollte: Das Lexikon der Comics fungierte einerseits als Nachschlagewerk für Experten und Laien, andererseits aber sollte und wollte es weitergeschrieben werden, animierte durch seine bloße Existenz zur Weitergabe des eigenen, nicht selten gerade durch das Schreiben erst entwickelten Expertenwissens.
So bin auch ich zum Lexikon gekommen und daran hängengeblieben: Als ich mich zur Fertigung einer geschichtsdidaktischen Dissertation zum Thema Comics entschied*, fand ich es bei der ersten panischen Recherche im Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und es wurde nicht selten im Laufe der weiteren Forschungsjahre zum Anker für meine Forschungen. Die Comicforschung konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mit sonderlich viel Sekundärliteratur aufwarten; daher war das Lexikon für mich so wichtig. Später habe ich – gemeinsam mit meinem Kollegen und Freund Reginald Rosenfeldt – eigene Artikel zu Serien bzw. Künstlern verfasst, die dem Lexikon bis dahin noch fehlten. Ich darf hier anmerken, dass wir noch zahlreiche weitere Artikel hätten schreiben können und dies auch getan hätten.
Das Lexikon blieb bis zuletzt eine Loseblattsammlung mit Stehordnern. Bei einem Werk, das sich selbst erst erschaffen musste, war das auch gar nicht anders planbar. Alle Vierteljahre – bzw. so ungefähr – wurde eine Ergänzungslieferung produziert und an die – wohl nie ganz üppige – Abonnentenschar verschickt. So stellt sich das Lexikon der Comics am Ende als ein 11-Ordner-starkes Produkt dar, das über 285 Werk-Einträge, 191 Comickünstler-Biografie-Einträge und 40 Themen-Einträge verfügt.
Die Preise blieben moderat, allerdings war die Finanzierung des Vorangegangenen gerade für Neueinsteiger erst einmal zu leisten. Auch ich musste schlucken, als ich mich entschied, mir das Lexikon selbst anzuschaffen , um jederzeit – die Muse küsst ja bekanntlich nicht unbedingt im Gleichklang mit Bibliotheksöffnungszeiten – mit dem Lexikon arbeiten zu können.
Das „Aus“ des Lexikons 2011 bleibt für mich ein schlechter Scherz: Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, dass ein Standardwerk zur Comicforschung in Deutschland dann eingestellt wird, wenn die Comic-Forschung in Deutschland zu boomen beginnt. Ich selbst konnte die Ablehnung des Mediums in wissenschaftlichen Kreisen noch selbst erleben, so z. B. als mich einer meiner Universitätsprofessoren nach Bekanntgabe meines Promotionsthemas frug, ob ich allen Ernstes die Geschichtsdidaktik trivialisieren wolle. Inzwischen kann ich mich vor Anfragen zu Vorträgen und Aufsätzen kaum retten. Dass ich keinen Einzelfall darstelle, zeigt z. B. auch das Wachsen der Gesellschaft für deutsche Comicforschung (COMFOR), deren Mitglied ich bin. Der Comic boomt in der Wissenschaft quer durch alle Disziplinen.
Nun, nicht alle Artikel im Lexikon genügen wissenschaftlichen Standards. Aber eines haben sie wohl alle gemein: Das Herzschlagen für die jeweilige Serie bzw. den jeweiligen Künstler – und Informationen, die man noch nicht hatte, fand man immer.
Auch für AutorInnen war das Lexikon sehr attraktiv: Herr Wimmer zahlte akzeptable Seitenpreise und das auch konstant und zuverlässig; wo findet man diese Prozedur innerhalb der Comic-Sparte, wo doch in der Regel die Ehrenamtlichkeit erste Forscherpflicht ist? Doch um nicht missverstanden zu werden: Sicher hätten viele Autoren des Lexikons auch Gehaltseinbußen für den Fall einer Fortführung in Kauf genommen; doch das wurde gar nicht erst erfragt …
Zugegeben, die Vermarktung des Lexikons war ein schwacher Punkt; hier sieht der Verleger den Hauptgrund für das „Aus“. Aber sind denn alle Comic-Kreise überhaupt in Kenntnis vom Lexikon gewesen? Kein regelmäßiger Auftritt des Lexikons in Erlangen, kein Zugehen auf die COMFOR, keine Strategie zur Neukundenbindung.
Auch fürchte ich, dass das Medium „Internet“ für den Verlag nach wie vor mehr als „Teufelszeug“ denn als „Marktlücke“ konnotiert gewesen sein muss; alle sich aus der digitalen Welt resultierenden Vermarktungsstrategien blieben ungenutzt: Wie viele Comicforschende oder Fans hätten sich gern diesen oder jenen Artikel „downgeloaded“ und dafür gern auch was bezahlt – Teufelszeug …
Auch der Herausgeber hatte wohl Skrupel vor weiteren Schritten: Man hätte vielleicht mal aktiv auf mögliche Neukundenkreise zugehen können, man hätte den Kreis der Herausgeber zu Qualitätssicherungszwecken und zur Schonung eigener Ressourcen erweitern müssen (Kandidaten gab es, man hätte gekonnt) – aber Kommunikation war wohl des Herrn Czerwionkas starke Seite nicht …
Ich persönlich finde die Sterbehilfe, die dem Lexikon da von seinen zwei wichtigsten Erziehungsberechtigten geleistet worden ist, schier skandalös: Das Lexikon hätte, da bin ich mir sicher, eine Zukunft im Verbund mit der COMFOR oder anderen Einrichtungen gehabt.
Aber man kann ja auch alles Schönreden. So schreibt der Herausgeber Czerwionka in einer diesbezüglichen Mail vom 12. Februar 2012 an mich sehr schön:
„Zwanzig Jahre Lexikon der Comics, das ist weit mehr als ich Anfangs erwartet hatte. So schwer der Abschied jetzt auch fällt muss man doch sagen, das es wenige Werke gibt, die überhaupt so lange durchgehalten haben. Dazu kommen viele interessante Kontakte und nette Bekanntschaften, die ich während meiner Arbeit schließen konnte. Also ein durchweg positives Fazit.“
Mir persönlich ist, das wurde wohl deutlich, mehr nach verständnislosem Greinen zumute.
René Mounajed
* René Mounajed: Geschichte in Sequenzen. Über den Einsatz von Geschichtscomics im Geschichtsunterricht, Frankfurt/Main 2009.
Zur Homepage des Corian Verlags, in welchem das „Lexikon der Comics“ erschienen ist, gelangen Sie hier.
Macht ein Wiki draus und/oder stellt die Texte unter CC-BY-SA-Lizenz. Oder eine wichtige Referenz unserer Kunstkultur geht für immer unter.
Die Digitalisierung hätte das Lexikon möglicherweise vor dem Aus retten können. Unsere Universitätsbibliothek stand einer Anschaffung im Prinzip positiv gegenüber, winkte aber ab, als man von der Publikationsform hörte. Loseblattsammlungen sind bei Bibliothekaren begreiflicherweise wenig beliebt, die Versuchung seitens der Nutzer, einen länger benötigten Artikel ›auszuleihen‹, vielleicht zu groß, zu leicht durchführbar und kaum zu kontrollieren.
Bei wem verbleiben denn die Rechte der Artikel? Es wäre doch schade, wenn das Lexikon jetzt völlig in der Versenkung verschwindet. Mit einem Einzugscanner und OCR ließe sich das Lexikon zumindest in einfacher Form innerhalb von einem Tag online stellen. Mit Etwas mehr Aufwand auch in dem Web angemessener Form.