Eine Ausstellung basierend auf einer Sammlung von 5.000 frühen britischen Comics (Comic-Zeitschriften), die sich im Besitz der Oldenburger Universitätsbibliothek (BIS) befindet.
Die Ausstellung zeigt bedeutende Beispiele britischer Comics aus den 1870er Jahren, als Comics für erwachsene Leser entstanden sind, bis hin zu den 1930er Jahren, einer Zeit, in der fast nur noch Comics für Kinder veröffentlicht wurden. Zu jener Zeit wurden Comics oft als „Schund“ beschimpft, als „billig“ und „verdorben“ abgetan. Sie galten, in einem Wort, als „vulgär“. Dennoch – oder gerade deshalb – wurden sie mit Begeisterung gelesen. Bezeichnend dafür steht ein Ausdruck Charlie Chaplins, der als Titel dieser Ausstellung gewählt wurde: Rückblickend auf seine Kindheit im London der 1890er Jahre nennt Chaplin diese Comics eine Quelle der Unterhaltung und Inspiration und beschreibt sie pointiert als „wonderfully vulgar – wundervoll vulgär“.
Dies ist ein gemeinsames Projekt der Universitätsbibliothek (BIS) und des Instituts für Anglistik und Amerikanistik an der Universität Oldenburg.
Ort: Universitätsbibliothek, Uhlhornsweg, Oldenburg.
Kurator der Ausstellung ist Kevin Carpenter.
Die Internetpräsentation dieser Ausstellung beinhaltet einen umfassenden Katalog. Website (zugänglich ab 14. März 2013):
www.wonderfullyvulgar.de
Die Ausstellung gliedert sich in acht Abteilungen (A bis H). Alle Ausstellungstücke sind Teil einer Sammlung von 5.000 frühen britischen Comics, die sich im Besitz der Oldenburger Universitätsbibliothek (BIS) befindet.
A: Ally Sloper der „Gassenschleicher“ (Exponate von 1873-90)
Faulenzer, Schwindler, Trunkenbold: Ally Sloper war der erste proletarische Held – oder besser: Antiheld – des britischen Comics. Schon sein Name („ally“ = Gasse, „to slope“ = schleichen) deutet auf eine seiner oft und gern gepflegten Gewohnheiten hin: Wann immer ihm Schuldeneintreiber und andere Gläubiger im Nacken saßen, schlich er sich einfach durch die Gassen davon. Im Jahr 1873 erschienen die gezeichneten Abenteuer dieses Nichtsnutzes in broschierter Form, in einem „comic book“ mit dem ironischen Titel Ally Sloper: A Moral Lesson (Ally Sloper: Eine Lektion in Sachen Moral). Bald darauf erschienen in Großbritannien wöchentliche „Humor-Zeitschriften“ mit einer unterhaltsamen Mischung aus Geschichten, Witzen, Anekdoten, Karikaturen und „Comic Strips“. 1874 gebrauchte dann die Zeitschrift Funny Folks zum ersten Mal den Begriff „Comic“ als Bezeichnung für eine solche Veröffentlichung. Zu diesem Zeitpunkt bediente man sich meist noch ziemlich frei bei Zeichnern aus dem kontinentalen Europa oder aus Amerika und druckte deren Werke einfach ab. Ab 1890 veröffentlichten erfolgreiche Zeitschriften wie Comic Cuts und Illustrated Chips hauptsächlich Comic-Strips britischer Zeichner.
B: Tramps, schräge Vögel und kauzige Gesellen (Exponate von 1891-1910)
1896 schuf der Zeichner Tom Browne mit dem dicken Weary Willy und dem dünnen Tired Tim zwei äußerst liebenswerte Landstreicher-Figuren. Dreist, gerissen und keck strotzten diese „Tramps“ nur so vor Frohsinn und Selbstbewusstsein. Die immense Popularität von Brownes komischem Duo sorgte binnen kürzester Zeit dafür, dass sich die wöchentlichen Verkaufszahlen der Zeitschrift Chips verdoppelten. Viele der anderen Figuren, die der britische Comic zu dieser Zeit hervorbrachte, lassen sich hingegen wohl am ehesten mit dem Adjektiv „skurril“ charakterisieren. Einige von ihnen stammen aus der Feder des irischen Zeichners Jack B. Yeats, der eine regelrechte Vorliebe für schrullige und kauzige Charaktere hatte. So schuf Yeats 1894 die Figur des Chubblock Holmes, eine Parodie auf Sherlock Holmes, dessen Geschichten im Strand Magazine erschienen waren. Außerdem kreierte er den erfolglosen Gauner Hiram B. Boss (1897), das sonderbare Kamel Fairo the Second (1898), den komischen Roboter Who-Did-It (1907) und den geflügelten Rächer Dickey the Bird-Man (1910).
C: Lausbubenstreiche (Exponate von 1890-1914)
Die Bilderbögen Wilhelm Buschs enthielten zahlreiche gezeichnete Lausbubenstreiche, von denen viele in verschiedenen Comics in ganz Europa nachgedruckt wurden – ohne den Namen ihres geistigen Vaters zu erwähnen. Bald darauf erschienen in britischen Comics eigene Adaptationen von Buschs Geschichten. Unter den „bad boys“, „wicked boys“ und „naughty boys“ fanden sich auch Little Willy und Tiny Tim, die spitzbübischen Nachfahren von Tom Brownes liebenswerten Landstreichern. 1902 schuf Julius Stafford Baker gleich eine ganze Bande „ungezogener Bengel“, die „Casey Boys“. Trotz Hunger, Armut, zerrissener Kleider und ausgelatschter Schuhe ließen sich diese Kinder aus dem Londoner Arbeiterviertel nicht unterkriegen und nahmen alle widrigen Umstände mit einem Lächeln und gutgelaunt in Kauf. Auch heute noch kann man sich an der Gewitztheit und dem Einfallsreichtum dieser Lausbuben erfreuen und den sprichwörtlichen Hut vor ihrer Loyalität gegenüber Freunden und ihrem Zusammenhalt gegenüber der feindseligen Welt der Erwachsenen ziehen.
D: Comics im Ersten Weltkrieg (Exponate von 1914-18)
Um 1914 setzten sich Comics – genauso wie die populäre Presse – noch eher scherzhaft euphemistisch mit dem Kriegsgeschehen auseinander. So wurden die ersten Kriegsjahre in Zeitschriften und Magazinen etwa als „a schoolboy’s lark“, „ein lustiges Abenteuer für Schuljungen“, bezeichnet. Die nicht enden wollenden blutigen Kämpfe an der Front und ihre zahllosen Todesopfer sorgten jedoch dafür, dass die Verleger ihre gezeichneten Helden bald ‚aus dem Krieg abzogen‘ und ihre Späße und Eskapaden wieder in altbekanntem Umfeld treiben ließen. Inmitten des Kriegsgeschehens schaffte ab 1915 dann ein allseits bekannter Landstreicher den Schritt vom Stummfilm in den Comic: Charlie Chaplin. Der Zeichner Bertie Brown widmete dem Mann mit Gehstock und Melone gleich eine langjährige Serie von Comic- Strips. Und weitere Landstreicher-Figuren folgten Chaplin auf dem Fuße. Während der Krieg weiter seine Schrecken verbreitete, kam es zu einer entscheidenden Differenzierung im Genre des Comic: Die schwarz-weiß gedruckten Comics richteten sich weiterhin an eine gemischte Leserschaft, während die farbig gedruckten Comics mehr und mehr zur reinen Kinderlektüre wurden.
E: Comics für Haus und Hof (Exponate von 1920-37)
Der Verleger von The Rainbow, einem Comic für Kinder, erklärte eben diesen voller Stolz zum „Magazin für Haus und Hof“ (der Begriff „Magazin“ erschien ihm wohl ‚sicherer‘ als der ‚riskante‘ Ausdruck „Comic“). Die „Häuser“, auf die sich besagter Verleger bezog, waren die des Bürgertums, mit „Hof“ war hier der Buckingham Palace gemeint – waren doch die jungen Prinzessinnen Elizabeth und Margaret Mitte der 1930er begeisterte Leserinnen des Rainbow. Wegen der enormen Beliebtheit dieser exklusiven und eher hochpreisigen Veröffentlichungen brachten bald zahlreiche Verleger eine breite Auswahl an farbenfrohen Comics speziell für die Kinder bessergestellter Familien heraus. Die meisten Comics dieser Art handelten von den „vergnüglichen Späßen“ sprechender Tiere mit doch sehr menschlichen Wesenszügen, wie etwa dem besonders beliebten „Tiger Tim“. Auch das lukrative Weihnachtsgeschäft entdeckten die Verleger dieser Zeit schnell für sich: Alle Jahre wieder buhlten sie mit dicken, farbig gedruckten und gebundenen Comic-Büchern für Kinder um Gunst und Geld der zahlungskräftigen Kundschaft.
F: Gezeichneter Slapstick (Exponate von 1921-37)
„Irgendwer wurde immer vermöbelt, kriegte was hinten drauf, wurde hin und her geschubst“ erinnerte sich der Comic-Zeichner Bertie Brown in einem rückblickenden Interview, offenbar selbst überrascht über das wohl charakteristischste Merkmal seiner eigenen Arbeit in den 1920er und 30er Jahren: Slapstick. Dieser derbe, ungestüme Humor – dessen Ursprünge in die 1890er Jahre zurückreichen – war in den 1920ern zum unverzichtbaren Stilmittel der sogenannten „black comics“, also der billigen Comics für die Kinder der Arbeiterklasse geworden. Die Verbreitung dieser Comics war enorm: So ging in seiner Blütezeit in den 1930er Jahren beispielsweise alleine das Magazin Chips etwa eine Million Mal pro Woche über die Ladentheke – zum Preis von einem Penny. Und nicht nur in England, Schottland, Wales und Irland erfreuten sich diese Comics großer Beliebtheit: In speziellen „Übersee- Ausgaben“ wurden sie auch in Kanada, Australien, Neuseeland und Südafrika verbreitet. Der gezeichnete Slapstick war ein regelrechter Exportschlager.
G: Der Abenteuer-(S-)Trip (Exponate von 1920-39)
Mit dem ganzseitigen Comic-Strip „Rob the Rover“ aus der Feder von Walter Booth erschien am 15. Mai 1920 in der Zeitschrift Puck der erste Comic-Strip Großbritanniens mit einem Abenteurer als Titelheld. Die Geschichte begann in althergebrachter Manier zunächst als Robinsonade, in der der schiffbrüchige Rob sein Leben auf einer einsamen Insel bestreiten musste. Später führten seine Reisen ihn dann kreuz und quer durch das Britische Empire – per Schiff, per Flugzeug und, in den späten 1930ern, gar an Bord eines fliegenden U-Boots. Lange Zeit galt der Abenteuer-Strip jedoch, zumindest in Großbritannien, eher als ungeliebtes, wenig beachtetes Stiefkind des Genres, das bestenfalls auf den letzten Seiten eines Comic-Magazins seinen bescheidenen Platz fand. Das änderte sich erst 1934 mit drei neuen, wöchentlich erscheinenden Magazinen, die mit Fug und Recht als die ersten britischen Abenteuer-Comics bezeichnet werden können: Jingles, Sparkler und Tip Top. Bald darauf erschienen in der Londoner Mickey Mouse Weekly (1936) und im konkurrierenden Magazin Happy Days (1938) auch erste britische Abenteuer-(S)Trips in Farbe.
H: Comics und Kino (Exponate von 1914-38)
Mit dem Comic-Strip „Charlie Chaplin, the Scream of the Earth“ („Charlie Chaplin, weltweit beliebter Leinwandkomiker“), der 1915 in The Funny Wonder veröffentlicht wurde, betrat der erste von vielen Stummfilmstars die Welt des britischen Comics. Noch im gleichen Jahr hatte auch Charlies Bruder Sid im Magazin The Firefly seinen ersten Comic-Auftritt. Nach Ende des ersten Weltkrieges erdachten findige Verleger bald weitere Wege, um die immense Popularität des Stummfilms und seiner Akteure für ihre Zwecke zu nutzen. So veröffentlichte etwa Film Fun, der erfolgreichste britische Comic in den 1920er und 1930er Jahren, zahlreiche schwarz-weiße Slapstick-Strips mit bekannten Charakteren des zeitgenössischen amerikanischen Films. In den 1930ern basierten diese Comics bisweilen auch direkt auf der Handlung erfolgreicher Hollywood-Thriller oder -Western. Diese enge Verbindung zwischen Comics und Kino besteht bis heute.
Text: Carpenter/Glade
[…] an exhibition on early British comics, opens at Oldenburg University Library on the 14th March. Link (12/02/2013, German, […]