Clemens Heydenreich
Goldgräber und Schatzwächter: Die dritte „ComFor“-Tagung in Koblenz
Reinkommen, umgucken, große Augen machen. Minutenlang ging das so, als in Koblenz die dritte Wissenschaftstagung der „Gesellschaft für Comicforschung“ (ComFor) begann und deren Alt-Stammgäste den Saal betraten – denn siehe: der war so voll wie nie. Über 50 (statt zuletzt 30) Teilnehmer, darunter Japanologen, Juristen und Sportsoziologen, zeigten: Die Comicforschung boomt. Da könnte man die Phrasendreschmaschine anwerfen und von „Goldgräberstimmung“ sprechen. Vielleicht aber trifft „Schatzwächterstimmung“ es eher. Denn wer am Comic forscht, spekuliert ja nicht nur vage über den Wert seines abgesteckten Claims – sondern weiß, dass dieser Gold birgt.
Spätestens seit dem „Jahr der Geisteswissenschaften“ 2007 liegt es in der Luft der Hochschulpolitik: Jene Forscher, die den Menschen anhand seiner Kulturtechniken definieren, tanken Selbstbewusstsein für den Drittmittelkampf gegen die Weißkittel im Bio-Labor. Sie sagen: Auch das Humangenom ist nur ein Text, auch das „Spiegelneuron“ nur ein (Wort-)Bild. Und so erklären der „Iconic turn“ und die Narratologie es für zentral, wie Menschen Bilder wahrnehmen bzw. Texte gestalten. Ein Forscher also, der sich mit Text UND Bild befasst, darf geradezu dankbar sein für jeden Kollegen, der das Feld „Comic“ noch immer schmunzelnd links liegen lässt.
In Koblenz etwa zeigten vier Vorträge die Text-Bild-Erzählung als gemeinsamen Nenner zwischen Kulturkreisen, wie sie kaum verschiedener sein könnten. Dietrich Grünewald verglich europäische „Totentanz“-Zyklen aus fünf Jahrhunderten, Stephan Köhn führte vom japanischen „Nara“-Bildbuch des 12. Jahrhunderts über das „Papiertheater“ bis hin zum Manga. Rike Bolte sprach über Lateinamerika (wo etliche Comic-Serien aus einer Abwehr des US-Kulturimperialismus heraus entstanden), Mareike Späth über Tansania (dessen „Katuni“ sich inhaltlich um West-Einflüsse kaum zu kümmern scheinen). Über „nationalliterarische“ Themen hinaus ging es aber auch um den Comic als Kommunikationssystem – und um dessen Akteure.
Etwa um den Autor: Martha Zan zeigte, wie Jean Giraud in „Blueberry“ die Filmästhetik des Italo-Western aufgreift. Und um den Leser: Sigrun Galter fragte, was eigentlich genau passiert beim allerersten Simultanblick auf die Comic-Seite. Und um den kulturellen Rang des Systems: Thomas Becker beleuchtete mit Bourdieus Feldsoziologie, wie sich der Comic dem Kultur-Kanon teils anpasst, teils widersetzt. Ein (noch: geringer) Grad an Wertschätzung zeigt sich, wenn der Akteur „Bibliothekar“ ins Spiel kommt: In deutschen Büchereien, so Matthias Harbeck, herrsche blankes Comic-Chaos. Deren Notationsprogramme wissen nicht, wohin mit „Szenaristen“ oder „Koloristen“, und so werden mal vorhandene Comic-Bestände erst gar nicht digital erschlossen, mal eintrudelnde Pflichtexemplare schlicht verschenkt. Schlecht für die Forschung.
Und so überlegt die ComFor nun, ob, wie und wo eine zentrale deutsche Comic-Bibliothek aufzubauen wäre. In der würden dann natürlich auch die Publikationen der ComFor selbst stehen: Etwa ihr erster Sammel-Tagungsband, der 2009 erscheinen soll. Oder das Jahrbuch „Deutsche Comicforschung“. Dessen neuester Band enthält übrigens – neben Texten zu Alfred von Meysenbug oder zur Anti-Comic-Debatte in der DDR – auch einen Beitrag Eckart Sackmanns zu Kaspar Braun, der nicht nur Wilhelm Busch verlegte, sondern auch selbst zeichnete. Eine Originalskizze Brauns hat Sackmann im Internet ersteigert – für einen Euro. Na gut, vielleicht kann man also doch sagen: Goldgräberstimmung.